Zeitgenössische Existenzen

Ständig selbst

d'Lëtzebuerger Land du 07.10.2016

Mein erstes Mal in einem Supermarkt, ich finde es gar nicht super. Eingeschüchtert trotte ich an den Regalen entlang, in der Hand ein schmerzhaft eckiges Körbchen, das rotkäppchenschöne Wort Körbchen passt überhaupt nicht, alles drängt sich mir auf und schreit: Kauf! Gott sei Dank hab ich nur wenige Sternthaler in der Tasche.

Neben mir schnappen Hausfrauen nach Beute und nach Luft, sie schleppen und schieben und machen alles selber, das scheinen sie großartig zu finden. Statt artig vor einer Theke zu warten, ihre Litanei herunter zu beten, zu beobachten, wie die Chefin der irdischen Schätze etwas in eine Tüte schaufelt, Erbsen und Münzen zählt, und gratis noch was murmelt, über das Wetter oder die Welt oder eine dumme Kuh.

Ist es nicht viel schöner, vor bauchigen Glasbehältern, in denen süß Buntes schimmert, feierlich den Moment zu erwarten, seine Hostien, vier für einen Franken, von einem griesgrämigen Graukittel in Empfang zu nehmen, der einem noch ein „Da géi lo schéin heem!“ mit auf den Lebensweg gibt? Wie sie zum ersten Mal vor dem sich schamlos anbietenden und pietätlos ausgestellten Zeug steht, schwant der kleinen Zeitzeugin nichts Gutes.

Was soll denn daran berauschend sein, alles selber zu machen? Dass man auf eigenen Beinen steht, das hat die Zweijährige irgendwann verinnerlicht, es ging nicht mehr anders, dass man sich die Schuhe selber schnürt, damit hat sich die Siebenjährige unter den Blicken der ferngesteuerten Peer Group abgefunden. Aber Selbstbedienung, das ist ja wohl ein Widerspruch in sich. Warum soll ich mich selber bedienen, ich beherrsche mich nicht mal! Gut, die Sklaverei ist offiziell abgeschafft, und immer hat mensch nicht einen freundlichen Assistenten an der Seite, der die großen Brocken und die kleinen, lästigen Dinge aus dem Leben räumt, damit muss man sich abfinden, zwischen infantil und senil liegt eine Zeitspanne, die Mensch überbrücken muss, irgendwie. Und nicht jeder ist ein Künstler, damit meine ich ein Wesen männlichen Geschlechts, das sich so nennt und zumindest eine zumeist weibliche Person davon so überzeugt, dass sie die Rundumbetreuung übernimmt.

Wir leben schließlich in einem Zeitalter, in dem Selbstständigkeit das Thema ist. Ständig sollen alle selbstständig sein, es ist das Motto, das Losungswort der Zeit. Das schärfen Mütter den Töchtern ein, den Söhnen eher weniger, die finden dann bestimmt eine Frau, die Auto fährt und die Kohle herbei schafft und nebenbei selbstständig noch ein paar Kinder großzieht. Zugleich selbstständig und selbstlos, Frauen können so einen Spagat bewältigen, wer, wenn nicht sie? Die Selbstverwirklichung, so hieß mal der Mega-Auftrag, nicht vergessen!

Alle sind immer selbstständiger, nicht nur auf Facebook, auch im Leben, das man das wirkliche nennt, Do-it-yourself-women, wo man hinschaut, es riecht nach Freiheit, Vogelfreiheit, du kannst jederzeit fliegen!

Also alles schön selber machen und auch noch stolz drauf sein. Nicht mehr nur schleppen und schieben im Supermarkt, auch cool vor Computerinnen einchecken. Hungernde flehen die McDonalds Computerin um den magischen Code an, Flughafengestrandete stehen bettelnd vor Geschöpfen, adretten, sie sollen den Alien aus der Antike retten. Bei Hunger und bei Durst, die letzten Störrischen kooperieren, kollaborieren, bevor sie kollabieren.

Sich selbst fotografieren, sich selbst hochladen, wie mühsam klingt das, irgendwann geht es leicht über die Lippen, geht doch, geht doch, gar nicht schwer, wer trägt einen schon auf Händen hoch? Außer vielleicht einen Selfie lang. Und sich selber leiken, weil alle anderen ja damit beschäftigt sind, sich selber zu fotografieren, sich selber hochzuladen, sich selber zu leiken.

Sich seine aus dem Netz selber gefischten Möbel selber zusammenstellen, die man sich selber bestellt hat, es gibt alles, gar nicht schwer. Vom Katzenbaum bis zum Sarg, der aber viel witziger heißt. Es sich selbst besorgen und sich dann selbst entsorgen. No problem.

Bald sind alle total selbstständig!

Michèle Thoma
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