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Systemrelevant

d'Lëtzebuerger Land du 20.03.2020

Die Große beantwortet E-Mail-Anfragen ihres Chefs, die Kleine macht ihre Rechenaufgaben, alles am selben Wohnzimmertisch. Noch nimmt die Tochter, zweiter Zyklus in der Grundschule, das Lernen neben Mutti gut auf. Nur der Spielplatz fehlt ihr. Am Mittwoch hatte Premier Xavier Bettel angekündigt, im Rahmen der Schutzmaßnahmen zum Coronavirus jetzt auch die Spielplätze zu schließen und alle Bewohner ermahnt, stets nur in kleinen Gruppen zu zweit oder zu dritt an die frische Luft zu gehen.

Andere Mütter haben für ihr Kind eine kleine Lerngruppe organisiert. Pedro, 12 Jahre, diskutiert mit seinem Freund aus dem Zyklus 4.1., hochbegabt wie er, über den Kurvenverlauf des Coronavirus, wenn keine Schutzmaßnahmen unternommen würden. Der Vater hat die gemeinsame Studienzeit organisiert. Für Pedros Mutter eine willkommene Entlastung: Sie kann in der Zeit im Homeoffice wichtige Telefonate für den Betrieb führen. Für die verbleibende Zeit hat sie außergewöhnlichen Familienurlaub angefragt– sie ist eine von mehreren Tausend, wie die Gesundheitskasse CNS dem Land mitteilte. Dort stapeln sich die Urlaubsanträge und zugleich ist das CNS-Personal, um den Berg abzutragen, denkbar knapp. Die Mitarbeiterin am Telefon unterstreicht: Der Congé pour raisons familiales sei jenen Eltern vorbehalten, „die ihr Kind nicht selbst betreuen können, weil sie arbeiten müssen“ und niemand anders da ist, um für den geschlossenen Kindergarten einzuspringen. Oma oder Opa kommen als Ersatz nicht in Frage, weil über 60-Jährige zur Risikogruppe zählen. Wer sich stundenweise von der Arbeit freistellen lassen wolle, könne dies selbstverständlich tun: „Der Arbeitgeber muss die Stunden nur aufschreiben und uns das Dokument zuschicken“, erklärt sie.

Den Job mit den Kindern und, seitdem die Schulen geschlossen sind, zusätzlich mit Fernunterricht daheim zu vereinbaren, ist für viele Alleinerziehende und für Großfamilien mit mehreren Kindern bereits in gewöhnlichen Zeiten ein Problem. Jetzt bringt es sie rasch an ihre Grenzen. Längst nicht jede/r kann sich einen Babysitter leisten, außerdem haben die oft ebenfalls Kinder, die sie jetzt daheim versorgen müssen. Viele Paare müssen nun im Home office arbeiten, aber wie soll das gehen, wenn es außer dem Wohnzimmer- und dem Küchentisch kein eigenes ruhiges Arbeitszimmer gibt, Kinder ihre Hausaufgaben machen sollen oder noch ein tüdeliger Opa gepflegt wird? In den sozialen Medien kursieren Homeschooling-Witze, in denen sich verzweifelte Eltern etwas Luft und Lachen verschaffen – oder Rat suchen.

Das hätten sich die DemonstrantInnen, die am 7. März im Rahmen des ersten landesweiten Fraestreik für eine faire Verteiliung und Entlohnung von Erziehungs- und Pflegetätigkeiten auf die Straße gingen, sicher nicht ausgemalt: Wie wichtig Fürsorgearbeit für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und für das Funktionieren der Wirtschaft ist, wird mit der Coronavirus-Pandemie schlagartig deutlich. Auch, dass der Mammutanteil der kostenlosen oder schlecht bezahlten Erziehungs-, Pflege- und Betreuungstätigkeiten überwiegend von Frauen geschultert wird. Die Regierung hat für Eltern, die beide in systemrelevanten Berufen arbeiten, neun Kindertagesstätten eingerichtet, wo sie ihre Kinder abgegeben können. Nach Angaben des Erziehungsministeriums werden dort bisher 48 Jungen und Mädchen betreut. Außerdem stehen insgesamt rund 2 000 Hotelzimmer und einige Privatwohnungen bereit für den Fall, dass Familien aus dem Grenzgebiet nach Luxemburg umziehen und hier übergangsweise wohnen wollen, um schneller im Spital, in der Arztpraxis oder im Pflegeheim zu sein. Interessierte sollen sich an ihre Stationsleitung beziehungsweise die jeweiligen Personalabteilungen der Spitäler wenden, die Krankenhausföderation sammelt die Anfragen zentral und je nach Nachfrage würden dann die Zimmer zugewiesen, heißt es aus dem Mittelstandsministerium. Ines Kurschat

Ines Kurschat
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