Die Fallen jener Halle

It's too late to stop now

d'Lëtzebuerger Land du 12.04.2001

Das Phänomen ist jedes Mal das gleiche. Man spaziere mit einem bunten Haufen von Künstlern und Jungunternehmern über ein staubiges, verlassenes Fabrikgelände, und im verklärten Anblick der ersten, majestätischen Stahlbauten werden die Phantasien unserer ahnungsloser Spaziergänger aufblühen wie die duftenden Rosen im Morgentau.

Es entwickeln sich augenblicklich ein Dutzend standhafter Eingebungen, wie die zigtausend Kubikmeter-Kolosse mit einem ausgeklügelten Mix von Kultur, Kunst und Kommerz unbedingt zu neuem Leben zu erwecken seien. Je größer, undichter und unheimlicher sich der erkorene Industriekomplex anbietet, desto ungezügelter arbeitet die Einbildungskraft des Kreativen oder Kommerziellen im Angesicht des Objekts.

Man könnte Actionfilmstudios hier einrichten, schwärmt ein Jemand, oder riesige Künstlerateliers. Ein Anderer glaubt, ein Schießgelände müsse her, mit Kriegsschauplatzkulissen für die Paintballsportler, oder aber ein Aquadrom. Ein Dritter würde sofort einen Motorcrossring aufbauen, mit monatlichen Monstertruckevents und Mudwrestlingveranstaltungen.

Ernstlich möchte ich hier nicht erwägen, wovon die hiesigen Theaterleute und ihre hungrige Schauspielermeute wirklich träumen und was die Limpertsberger Utopia-Besitzer alles in Zukunft auf einer sanierten Industriebrooch zu vermarkten gedenken.

In diesem unserem Fall ist das Objekt der allgemeinen Begierde eindeutig eine ausrangierte Arbedgebläsehalle in Esch-Belval, die schleichend langsam aber beharrlich zum ominösen Phantomprojekt d'Rockhal mutiert ist. Was zum Teufel aber, fragen sich viele und greifen sich jetzt an den Hinterkopf, ist eine Rockhal?

Mein Name sei Hase, und es wird mir ein Leichtes sein, Ihnen zu erklären, was die Rockhal nicht ist. Die Rockhalle ist mitnichten der klassische Konzertsaal, der auf Kirchberg vor dem Hochhaus entsteht und das Orchestre philharmonique du Luxembourg beheimaten wird. Die Rockhalle wird auch nicht das brandneue, polyvalente Kuppelgebäude neben der Piscine olympique sein, das sehr wohl vielzweck-mäßig ausfallen soll, aller Wahrscheinlichkeit nach aber nicht flexibel genug sein wird, um als Rockhal Jang Bon Jovi, DJ Bobo oder Madonna zeitgemäß aufzunehmen.

Die Rockhal soll ein dritter, noch neuerer und noch größerer Saal werden, der anscheinend ins Minett gehört, nur einen Schlackenwurf entfernt von der Escher Kulturfabrik, die den zweifellos besten und teuersten Konzertsaal beinhaltet, den wir hier im Lande kennen. Aber der Rocksaal in der Kufa ist halt nur ein Saal (Kapazität: 1 200 Zuschauer) und keine Hal (Kapazität, schwindelerregend).

Wie zum Teufel aber, frage ich mich an dieser Stelle und greife mir irritiert an den Hinterkopf, soll sich unsere Rock-, Pop- und Jazzszene mit einer monstruösen Arbedhalle identifizieren, wenn ein durchschnittliches Konzertpublikum für Rockmusik made in Luxembourg 13 bis 330 Köpfe zählt? Die selbige Frage stellte ich dem nationalen Punkrockmusiker Steve 'Diff' Differding: "Eng Rockhal? Dat gëtt dach just e protzegen Oflenkungsmanöver, fir sech an der Jugendpolitik ze profiléieren." 

Diff ist Musiker aus Leidenschaft, und Leidenschaft ist, was Leiden schafft. Mit seiner Band Petrograd (Stilrichtung: Punkpop) hat er seit 1996 über 350 Konzerte absolviert, davon etwa 90 Prozent im Ausland. Im Falle Petrograds ist der Begriff Ausland nicht nur auf unsere direkten Nachbarn zu beziehen. Petrograd hat bereits in sieben europäischen Ländern richtig getourt und im August sind 18 Konzerte in Südamerika (!) geplant und gebucht. Fünf Tonträger hat die Band in Eigenregie produziert, und Diff vertreibt seine low-budget Produktionen nicht nur im Inland. Von Profit kann dennoch keine Rede sein: bei Petrograd geht alles Null von Null auf.

Auf meine berechtigte Anfrage, ob er für seine künstlerische Exporte und Exkurse Förderungshilfen beim Kulturministerium beantragt habe, lächelte Diff nur müde (es handelte sich um ein Telefongespräch) und er erklärte, seine Exfreundin habe sich vor einiger Zeit mit Briefwechseln um offizielle Unterstützung bemüht. Doch die Leihgebühren für einen Kleintrans-porter nach Holland oder die Erstattung von vier Flugtickets für eine Minitour nach Spanien kamen den Behörden wohl zu spanisch oder zu holländisch vor, denn der aktivsten und international bekanntesten Rockband aus heimischen Gefilden blieben bislang alle Tresortüren des Kulturfonds versperrt.

"Keng Sau intresséiert sech fir eis", schloss Diff. "D'nächst Woch gi mer véier Deeg an d'Baskeland spillen. Mir misste scho vun der ETA gekidnäppt gin, fir dass d'Regirung gezwonge wier, e Su fir eis Band op den Dësch ze leeën." 

Ist Petrograd ein Einzelfall solch verfehlter rockpolitischer Subventionierung?

Ich tätigte einen weiteren Telefonanruf auf der Suche nach der rock-politischen Wahrheit und wandte mich an Vic, einen jungen Minetter Rockmusiker südländischer Ab-stammung. Er hat vor sechs Monaten mit seinen Kumpanen Sim, Gianni und Valentin das Plattenlabel Own Records (Internetadresse: schlicht und einfach ownrecords.com) aus der Taufe gehoben. 

Das Plattenlabel ist ein typisches Überschussprodukt der lebhaften Minetter Szene, die sich konkret zwischen einem kommerziell aktiven Proberaumkomplex in Schifflingen (Dank sei Gott für dieses Überbleibsel der früheren Audioproduktionsfirma One World), einigen wenigen Vereinshauskellern der kleinen Südgemeinden und der übergewichtigen Kulturfabrik in Esch situiert. 

Auf Own Records haben sich eine Clique von inspirierten und innovativen Postrockbands (Tiger Fernandez, Sugarcane, Chief Mart's, Circle Around The Zero, e.a.) zusammengeschlossen, um ihre Platten gebündelt in belgische, französische oder deutsche Verteilernetze einzuschleusen. Kontakte mit benachbarten Labeln sind schon geknüpft, erklärte Vic, aber Own Records steckt noch bis Ende des Jahres in den Kinderschuhen: "Mir hunn eréischt grad en Affekot ageschalt an eis Statuten opgesat. Vum Kulturministär erwaarde mer eis eigentlech nach näischt. Mee den Direkter vun der Sacem, de Bob Krieps, huet eis scho vill mat Rotschléi weidergehollef."

Wünschenswert wäre es allerdings, wenn Own Records die Grenzbarrieren für lokale Plattenprodukte mit internationalen Verteilerkon-takten durchbrechen könnte. Eine Heerschar von heimischen Bands würde mit Ab-, An- und Nachfragen Vics E-Mailbox zukleistern, so bedeutend wäre dieser Schritt für unsere kleine Szene. "Ech bedaueren et net, zu Lëtzebuerg ze liewen", philosophiert das Labelhead. "Hei ass et net méi schwéier, eppes ëmzerappe wéi am Ausland. Du muss einfach op si fir alles, wat nei ass, a mat positivem Idealismus un d'Saach erugoen." Solche Worte sprach Vic, ein kühlender Balsam auf jede gekränkte Musikerseele hierzulande im neuen Jahrtausend. 

Zustimmen tat der adoptiv-Minettsdapp Victor trotzdem mit meiner (bisher unveröffentlichten) Stellungnahme: Wenn man eine Rock-hal mit konsensuell vereinbarten Trennwänden, multifunktionellen Bühnen und einem hart erkämpften Proberaumtrakt bauen wollte, so sollte man sie wohl eher in der oberen Hälfte unseres nationalen Territoriums ansiedeln. Auch wenn die Halle in Belval bereits steht, so wäre sie, dezentralistisch betrachtet, ideal auf der Höhe der Stadt Diekirch anzusiedeln, wo sie die rebreiche Moselgegend, wie auch das windige Hundsösling soziokulturell be-trächtlich aufwerten könnte. (Denn das Ettelbrücker Centre des arts pluriels dürfte auf den zweiten Blick und in diesem Zusammenhang auch nicht als Rockhal in Frage kommen, und dies bedeutet zugleich das Ende meiner aufgesetzten Meinung.) 

Eine Heerschar heimischer Bands wird sich hindes am 27. und 28. dieses Monats in der Escher Kufa zusammenraufen, um für die zweite Ausgabe des internationalen Talentrockwettbewerbs Emergenza aufzuspielen. An die 30 Gruppen nahmen und nehmen Teil, und wer einem der bisherigen Emergenza-Konzerte beiwohnte, konnte nur staunen über die Polyvalenz und das Know-how unserer jüngeren Popmusiker. 

Mit Low Density Corporation schick-te Luxemburg letztes Jahr einen würdigen Vertreter nach Deutschland zum internationalen Emergenza-Kräftemessen. Low Density Co. belegte dort einen äußerst erfreulichen dritten Platz. Mit Rocco Russo, dem Songwriter und Sänger dieser Band, die durchaus intelligenten und wohlklingenden Modern Pop produziert, führte ich ein letztes Gespräch über Illusion und Desillusionen im lokalen Popgeschäft. 

Rocco ist seit zehn Jahren in Probekellern und auf Bühnen aktiv. Ist er in dieser Zeit schon in den Genuss staatlichen Sponsorings gekommen? "Bei eiser éischter Bänd Galliver krute mer direkt 30 000 Frang fir d'CD-Produktiou bäigesteiert. Mat Low Density Co. wor den Timing méi schlecht; wéi mer eisen Disk bis fäerdeg haten, woren all d'Suen scho verginn." 

Haben sich die Medien genügend für seine Musik interessiert? "Radio Ara an den 100,7 maache gutt Aar-becht. Beim Eldoradio wäerte mer eng vun dene rare Lëtzebuerger Gruppe sin, déi an d'Rotatioun kom-men, an RTL huet sech eréischt richteg gemellt, wéi mer den Emergenza bis gewonn haten." Hat sich nach dem Emergenza-Festival vieles für Low Density Co. geändert? "Eigentlech net. Mir si bei der däitscher Musekszeitung Visions op der Demo-CD vum Mount gewiescht an hunn eng Partie E-Maile vun Labele kritt, déi an eisen Longplay eralauschteren wollten. Eng richteg Distributiou probéiere mer eréischt  fir den nächsten CD an der Belsch ze organiséieren."

Was hält der Musikamateur von einer Rockhalle auf hiesigem Grund und Boden? "Ech ginn heiandsdo an de Galaxy op Amnéville. Dat ass mam Auto just eng hallef Stonn wäit ewech. Mee ech hunn déi kleng Säll eigentlech léiwer, wéi den Atelier oder déi zwee Raim an der Kufa. Do kann nach eng intimistesch Clubatmosphär opkommen, an dat fannen ech wichteg bei engem Concert."

Abschließende Frage an den Lu-xemburger Musiker: Glaubt er an rockpolitische Finanzunterstützung, an privates Sponsoring oder eher an die Eigeninitiative innerhalb der Szene? "Am Ausland ginn déi talentéiert Leit scho méi systematesch ënnerstëtzt. Am Rockbusiness ass et jo net wéi an der Molerei oder beim Theater. Fir eng normal Rockgrupp muss no fënnef, sechs Joer konkret eppes lafen oder de Buttek ass zou. Mee mir sinn och vläicht- zevill passiv. Mat méi Asaz wär och méi dran. Op kee Fall brauche mer eis ze verstoppen, wat de qualitative Vergläich mam Ausland ugeet. Dat kann ech der bestätegen."

Postscript: Die Gerüchteküche brodelt und ließ unlängst verlauten, dass das Hollericher Atelier einen Umzug in Erwägung ziehe, falls sich der Städtische Gemeinderat nicht besser um die Belange dieser Rockhalle und ihres Publikums kümmere. Als alternativer Standort schwebt den Atelier-Inhabern eine Ortschaft im Süden des Landes vor. Unweit der Kufa und des hypothetischen Rockhal-Geländes gelegen, soll sich in Esch ein geeignetes Immobil gefunden haben, das man mühelos in eine kleine Rockhalle, pardon, in einen mittelgroßen Rocksaal umstrukturieren könnte. Das einzig und wahrlich Gute an dieser Aussicht wäre, dass die Autobahn in Richtung Esch bereits vollständig ausgebaut ist.

 

Berny Z. ist 37, Englischlehrer, Freelance-Journalist und Rockmusiker.

 

Berny Z.
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