Die Luxembourg Sustainable Finance Initiative hat eine Neuauflage ihres Plans für einen nachhaltigen Finanzplatz vorgestellt. Viel Konkretes enthält er nicht

Grün, wenn’s nützt

CSV-Finanzminister Gilles Roth: Der Finanzsektor müsse „an vorderster Front“ gegen Klimawandel, Umweltzerstörung und soziale Ung
Photo: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land du 28.02.2025

Am Luxemburger Finanzplatz vergehen gefühlt keine zwei Wochen, in denen nicht auf irgendeiner Tagung oder in einer öffentlichen Stellungnahme der Kampf gegen den Klimawandel beschworen wird. Konzediert wird dabei zuweilen, dass der Finanzsektor in der Vergangenheit nicht immer seinen gesellschaftlichen Verpflichtungen nachgekommen sei. Jetzt aber wolle man mit einer an Nachhaltigkeitskriterien orientierten Finanzwirtschaft, mit sustainable finance, Teil der Lösung sein.

Eifrig verbreitet wird dieses Narrativ auch von der Politik. Liest man die Vorworte der Minister Gilles Roth (Finanzen, CSV) und Serge Wilmes (Umwelt, CSV) zur Luxembourg Sustainable Finance Strategy 2030, die Anfang dieses Monats präsentiert wurde, könnte man auf den ersten Blick meinen, es mit Aktivisten von Fridays For Future zu tun zu haben statt mit Vertretern des politischen Establishments: „Klimawandel, Umweltzerstörung und soziale Ungleichheit“ erforderten, dass der Finanzsektor an „vorderster Front für positive Veränderungen“ wirkt, schreibt Roth. Und Wilmes verlangt, Investitionen in Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Biodiversität „erheblich“ auszuweiten. Gekoppelt werden derartige Forderungen allerdings an das Versprechen, der Finanzplatz werde von dieser Entwicklung profitieren. Investitionen in die Umwelt seien nicht nur richtig, schreibt Wilmes weiter, „sondern auch eine Chance, Renditen zu erzielen“.

Damit dürfte der eigentliche Grund der seit einigen Jahren wie Pilze aus dem Boden schießenden Roadmaps, Strategien und Punktepläne für einen nachhaltigeren Finanzplatz benannt sein: Wechselnde Regierungen sowie maßgebliche Akteure des Sektors wollen in einer breiten Allianz Luxemburg gegenüber anderen Finanzplätzen einen strategischen Vorteil verschaffen. Hierfür wurden in den letzten 20 Jahren eine ganze Reihe von Agenturen kreiert, deren vornehmste Aufgabe zu sein scheint, die vermeintliche Nachhaltigkeit des Finanzplatzes zu bewerben. Gemeinsam haben diese Private-Public-Partnership-Organisationen, dass sie sich nach außen als unabhängig präsentieren, ihre Verwaltungsräte jedoch allesamt von Staat und Finanzsektor kontrolliert werden. Das trifft auch auf die im Jahr 2020, unter anderem von Umwelt-, Finanzministerium und Luxembourg for Finance, geschaffene Luxembourg Sustainable Finance Initiative (LSFI) zu – die Autorin des jüngst veröffentlichten Strategiepapiers.

Der Hintergrund der LSFI lässt bereits erahnen, dass dem neuen Fünfjahresplan weniger eine ernstzunehmende – da unabhängig entwickelte – Analyse zugrunde liegt, aus der dann eine Nachhaltigkeitsstrategie abgeleitet wird, sondern es in erster Linie um Finanzplatz-Marketing geht. Verstärkt wird dieser Eindruck dadurch, dass sich die immerhin acht Mitarbeiter zählende LSFI bei der Entwicklung ihrer Strategie maßgeblich von der Beratungsfirma Oliver Wyman unterstützen ließ – in der Finanzwelt eine große Nummer bei Fragen zu Regulierung, Risikomanagement und Geschäftsstrategien. Dass ein Unternehmen, das selbst hochgradig vom Finanzsektor abhängig ist, kritische Aspekte betont oder gar einen Strategieentwurf vorlegen würde, der zu einer stärkeren Kontrolle schädlicher Finanzinstrumente und damit ihrer eigenen Kunden aufruft, ist eher unwahrscheinlich. In der Vergangenheit trat Oliver Wyman vielmehr gegenteilig in Erscheinung: Im Jahr 2005 etwa drängte sie die Citigroup, ihre Geschäfte mit sogenannten Collateralized Debt Obligations (CDOs) deutlich auszuweiten – einem Finanzprodukt, das es zwei Jahre später zu trauriger Berühmtheit bringen sollte. Die Citigroup folgte der Empfehlung und wurde zu einem der weltweit größten Händler dieser Wertpapiere, die man sich als gebündelte, handelbare Pakete von Schulden vorstellen kann. Ab den 2000er Jahren füllte man diese Pakete fatalerweise mit Hypothekendarlehen, darunter vielfach mit wertlosen Subprime-Krediten. Deren massenweiser Ausfall löste 2007 die globale Finanzkrise mit all ihren bis heute spürbaren ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Folgen aus.

Wer sich durch die 56-seitige Strategie liest, findet also – durchaus erwartbar – lediglich vage gehaltene Ziele. Dafür aber zahlreiche PR-Floskeln und ein penetrant vorgetragenes Bekenntnis zur Vorreiterrolle Luxemburgs. Es sollen „Chancen“ genutzt, „Stakeholder“ eingebunden sowie „Best Practices“ gefördert werden. In schönster Marketingprosa werden „Leadership“, „Innovation“ und „Transformation“ beschworen, ohne diese Begriffe auch nur ansatzweise inhaltlich zu definieren. Was das aktuelle Papier von der 2021 erschienen ersten Fassung unterscheidet, ist, dass nun kurioserweise die Entwicklung der LSFI selbst im Zentrum der Strategie steht. Der Plan: Die Organisation soll in den kommenden Jahren zu einem „Centre of Excellence“ und „Knowledge Hub“ ausgebaut werden. In verständliche Sprache übersetzt bedeutet das, dass man die LSFI zu einem Koordinierungs- und Informationszentrum machen will für alles, was mit nachhaltigen Finanzen zu tun hat. Speziell soll sie Finanzmarktakteuren als eine Art Serviceprovider bei der Bewältigung von EU-Vorgaben zur Seite stehen. Denn nur, indem Luxemburg den hier angesiedelten Unternehmen bei der Umsetzung neuer Regularien helfe, könne das Land seinen Wettbewerbsvorteil erhalten, heißt es. Angeboten werden sollen unter anderem „praktische Leitfäden“ und „Coaching“, um Unternehmen dabei zu helfen, ihre „Compliance-Kosten“ zu senken. Eigene regulatorische Vorschläge der LSFI sucht man in dem Papier vergebens.

Aufgezählt werden stattdessen einige Bereiche, bei denen es sich anscheinend besonders lohne („key areas of opportunity“), kommenden regulatorischen Anforderungen voraus zu sein. Neue Investitionschancen böten unter anderem „Blue Economy“ (Investitionen in den Erhalt maritimer Ökosysteme), „Transition Finance“, der Handel mit aufgrund ihrer zweifelhaften Auswirkungen hochumstrittenen CO2- und Biodiversitätszertifikaten sowie generell die Bereiche „Natur“ und „Biodiversität“. Was das im Einzelfall bedeuten soll, erfährt man in der stichwortartigen Aufzählung nicht.

Dafür werden noch einige weitere vage Ideen aufgetischt. In den Bereichen Privatbanking, Versicherungen und Trusts ließen sich „neue Marktchancen“ erschließen und Kapital für nachhaltige Investitionen generieren. Zudem solle das Kapital von High- und Ultra-High Net Worth Individuals, philanthropischen Organisationen, Privatbanken und Stiftungen für nachhaltige Zwecke mobilisiert werden. Nahezu unvermeidlich weisen die Autoren auch auf die Chancen neuer Technologien wie KI für die Automatisierung von Compliance-Prozessen im Finanzsektor hin. Deren Einsatz solle Luxemburg fördern. Die Private-Public-Partner-ship-Initiativen, die in den letzten Jahren aus der Taufe gehoben wurden, weiter zu pflegen, biete ebenfalls Chancen.

Angesichts der doch recht dürren Strategie, die gerade einmal die Hälfte des Textes ausmacht, wundert es nicht, dass in dem Papier das Feiern vermeintlicher Erfolge und die Präsentation angeblich jetzt schon weitgehend nachhaltiger Bereiche des Finanzplatzes breiten Raum einnimmt. Explizit hervorgehoben werden unter anderem der Investmentfondssektor, nachhaltige Anleihen und die Mikrofinanz, die sich bei genauerer Analyse jedoch als Luftschlösser herausstellen. Besonders stutzig macht die Einschätzung des mehr als 5 000 Milliarden Euro schweren Fondsstandorts. Sage und schreibe 72 Prozent aller in Luxemburg ansässigen Ucits sollen bereits ESG-Kriterien berücksichtigen – also ökologische, soziale und Governance-Standards. Woher kommt diese Zahl?

Die Luxembourg Sustainable Finance Initiative war seit ihrer Gründung nicht untätig und hat als „Knowledge Hub“ drei größere Studien initiiert, die die „Ergrünung“ des Finanzplatzes wissenschaftlich belegen sollen. Ähnlich wie beim Strategiepapier ließ man sich auch hier von einer Beratungsfirma unter die Arme greifen, in diesem Fall von PWC. Aus der letzten Studie dieser Reihe (Sustainable Finance in Luxembourg 2024. A Maturing Ecosystem) stammen die 72 Prozent angeblich nachhaltiger Fonds. Wer die vorherigen Papiere kennt, dürfte über diese hohe Zahl nur mäßig überrascht gewesen sein. Kam man in der ersten Auflage im Jahr 2022 zu dem Schluss, dass schon damals 54 Prozent aller Fonds ESG-Richtlinien berücksichtigten, wuchs diese Zahl im darauffolgenden Jahr rapide auf 68 Prozent an. Eine weitere Erhöhung schien nur folgerichtig – jede Strategie braucht schließlich ihre regelmäßigen Erfolgsmeldungen.

Wer versucht, die Zahlen aus den verschiedenen Studien zu vergleichen, stößt auf ein unüberwindbares Problem: Die Methodik zur Datenerhebung hat sich von Studie zu Studie gewandelt. Ein Vergleich ist schlichtweg unmöglich. Das scheint allerdings nicht weiter zu stören, solange die Zahlen selbst in die richtige Richtung deuten. Bei der Politik kommen die jährlichen Berichte denn auch gut an. Serge Wilmes lobt sie in seiner Einleitung zur neuen Nachhaltigkeitsstrategie als Ressourcen „von unschätzbarem Wert zur Messung des Fortschritts“.

Zweifelhafte Studien sind, was den Fondsstandort angeht, jedoch noch das geringste Problem. Die in Luxemburg domizilierten Fonds investieren die Mehrheit ihres Kapitals auf dem globalen Aktienmarkt, der, technisch ausgedrückt, lediglich ein Sekundärmarkt ist – mit begrenzten Auswirkungen auf wirtschaftliche Prozesse. Denn am Aktienmarkt kauft ein Marktteilnehmer – zum Beispiel ein Fonds – eine Aktie einem anderen Marktteilnehmer ab, um sie später, möglichst mit Gewinn, wiederum an einen weiteren Marktteilnehmer zu verkaufen. Ein direkter Kapitaltransfer zu einem Unternehmen findet, vom Tag des Börsengangs abgesehen, de facto nicht statt. Das bedeutet, dass die realwirtschaftlichen Effekte, die von ESG-Fonds ausgehen, sofern sie denn nicht-nachhaltige Unternehmen überhaupt aus ihren Portfolios verbannen, kaum messbar sind.

Dass man mit ESG-Investing das Klima retten könne, war also immer schon eine von Banken und großen Vermögensverwaltern geschürte, lukrative Illusion. Sie veranlasste den wohl berühmtesten Renegaten der Finanzwelt, Tariq Fancy, einst Chef für nachhaltiges Investieren bei Blackrock, frustriert das Handtuch zu werfen und ESG insgesamt als „gefährliches Placebo“ zu bezeichnen. An Luxemburg, dem zweitgrößten Investmentfondsstandort der Welt, scheint diese Debatte gänzlich vorbei gegangen zu sein.

Die beiden anderen vermeintlichen Erfolgsgeschichten des Strategiepapiers, die Mikrofinanz und grüne Anleihen, entfalten im Gegensatz dazu tatsächlich realwirtschaftliche Wirkungen – allerdings selten die erwünschten. Gerade zu grünen Anleihen ist in den letzten Jahren eine kaum noch überschaubare kritische Literatur entstanden. Die Kritik reicht von systematischem Greenwashing über fehlende Additionalität – die meisten Projekte wären auch mit konventionellen Anleihen finanzierbar – bis hin zu mangelhafter Regulierung. Vor allem bleiben aber die tatsächlichen Umwelteffekte meist im Dunkeln. Die seit 2016 bestehende Green Exchange als Erfolgsgeschichte zu präsentieren, erscheint angesichts dieser fundamentalen Probleme gewagt.

Auch die Mikrofinanz, mit der sich Luxemburg gerne als Vorreiter bei der Armutsbekämpfung präsentiert, steht seit Jahren in der Kritik. Denn die Zinsraten von teilweise über 100 Prozent, die den Ärmsten der Armen dieser Welt von Mikrofinanzinstituten und ihren Luxemburger Finanziers abgepresst werden, sind nur schwerlich dazu geeignet, Armut zu reduzieren. Sie führen die Kreditnehmer im globalen Süden nur vielfach weiter ins Elend.

Eine Nachhaltigkeitsstrategie, die es ernst meint, müsste sich mit genau diesen Aspekten beschäftigen. Sie müsste zuallererst eine Bestandsaufnahme der Schäden liefern, die vom luxemburgischen Wirtschaftsraum, in diesem Fall vom Finanzsektor, ausgehen – und Vorschläge erarbeiten, wie sie zu reduzieren wären. Wie gering die Bereitschaft dazu ist, zeigt jedoch die von der LSFI lancierte Pacta-Studie aus dem Jahr 2021. Die Studie sollte messen, inwieweit die Investitionen und Kredite Luxemburgischer Finanzinstitute mit den Pariser Klimazielen übereinstimmen. Bis heute haben weder die LSFI noch die teilnehmenden Finanzinstitute konkrete Ergebnisse veröffentlicht. An dieser Inszenierung von Nachhaltigkeitsbemühungen dürfte sich auch künftig wenig ändern – zu eng sind die Verflechtungen der LSFI mit genau jenen Akteuren aus Finanzsektor und Staat, deren Aktivitäten sie kritisch überprüfen müsste.

Julian Bernstein ist Koordinator von Etika

Julian Bernstein
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