ZUFALLSGESPRÄCH MIT DEM MANN IN DER EISENBAHN

Windmühlen

d'Lëtzebuerger Land du 19.04.2024

Vorigen Monat wählte der Nationalkongress der ADR eine neue Führung. Präsident wurde erstmals eine Präsidentin, die Abgeordnete Alexandra Schoos. Der scheidende Präsident Fred Keup tröstete die Pantoffelhelden: Er ereiferte sich über „de Radikalismus, deen haut ausgeet vun de sougenannte Woken, dat ass deen, deen een haut fënnt bei de Gréngen, bei de Rouden, bei de Lénksen“.

„Wokeness“ ist eine Phantasmagorie bei den Reaktionären, bei den Rechtsradikalen, bei den Faschisten. Fred Keup fürchtet sie als symbolische Bedrohung traditioneller Hierarchien von Geschlechtern, Hautfarben, Staatsangehörigkeiten, Religionen. Als Verschwörung zur Abschaffung der Nation, Kirche, Monarchie, Rechtschreibung. „Déi Woke hunn an hirer Frustratioun decidéiert, fir de Mënschen eng nei Sprooch opzezwéngen, mat Stärecher [...] Si schwätze vun 30, 40 verschidde Geschlechter.“

Woke kommt von „to wake“: wachsam sein für Diskriminierungen. Rechte Rüpel würden „Nazi-Partei“ johlen. Die Woken wollen die Gefühle der ADR nicht verletzen. Sie nennen die Partei „populistisch“. Alte weiße Männer würden einen ADR-Abgeordneten als „Stotterer“ niederbrüllen. Junge woke Frauen nehmen Rücksicht auf seinen „gestörten Redefluss“.

Die ADR-Führung hasst Wokeness. Weil sie Sitte und Zucht der Vorväter in Frage stellt. Als der Pfarrer dem Chorknaben den Rosenkranz um die Ohren schlug. Die ADR-Wählerschaft kann sich unter dem modischen Fremdwort nichts vorstellen. Sie hält die ganze Aufregung für den Windmühlenkampf einiger Klugschwätzer. Sie plagen andere Sorgen.

Fernand Kartheiser kam 2008 zur ADR als Präsident eines antifeministischen Vereins. Fred Keup kam 2018 zur ADR als Kreuzritter gegen die Gleichstellung Eingewanderter. 2021 schlug die ADR Alarm: das Adoptionsrecht schaffe die Wörter „Mamm“ a „Papp“ ab. Elektroautos grenzen für die ADR an Wokeness.

Wenn Präsidentin Alexandra Schoos „woke“ erklären muss, ist sie mit ihrem Latein am Ende (RTL, 27.3.24). Sie hält die Diskussion für unsinnig: „Ich würde mich nicht so ausdrücken wie Fred Keup. [...] Ich möchte, dass wir wieder zeigen, dass es nicht unsere einzigen Themen sind“ (Wort, 29.3.24).

„Woke“ ist ein Schlachtruf zum Kulturkampf. Die ADR hat ihn geborgt: „Vedo l’ideologia woke distruggere le basi della famiglia naturale, attaccare la vita, insultare la religione, cambiare le parole e persino imporre nuovi segni grafici.“ Klagte Neufaschistin Giorgia Meloni (Vista, 27.2.22). Ihre Gleichgesinnte Marine Le Pen gründete am 12. April 2023 eine „association parlementaire contre le wokisme“. Beider Vorbild Donald Trump klagte, dass der Mickey-Mouse-Konzern Disney „a Woke and Disgusting shadow of its former self“ sei (Truth Social, 23.5.23).

ADR und Woke ähneln sich: Sie verteidigen Identitäten. Die einen nationale, die anderen sexuelle, ethnische, religiöse. Beides ist borniert: Identitäten dienen der Trennung, Abgrenzung, Ausgrenzung.

ADR und Woke unterscheiden sich: Woke wollen Vorurteile bekämpfen. Vorurteile sind der Geschäftsfundus der ADR. Woke nehmen Rücksicht auf die Schwächeren. Die ADR verteidigt das Recht der Stärkeren. Sie hat kein Verständnis für Black Lives Matter, Me Too, Palästinenser.

Fred Keup klagt: „D’Meenungsfräiheet gëtt ugegraff.“ Seine Vorurteile sind nicht bedroht. Im Schulhof ist „Opfer“ ein Schimpfwort geworden. ESG ist eine Werbemasche. Karrieremenschen, Entscheidungsträger, Führungspersönlichkeiten sind nicht woke. Die Rücksichtslosigkeit ihres Neoliberalismus heißt: The winner takes it all. Keine Gnade für die Besiegten, Schwachen, für Bettler, Obdachlose. Nicht einmal in dürren Worten. Luc Frieden, Léon Gloden sehen das nicht anders.

Romain Hilgert
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