Der Tag danach

Eine Frau belädt ihren Porsche mit Klopapier
Photo: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land du 28.02.2025

Es ist Montag, 13:00 Uhr, der Parkplatz vor dem Drogeriemarkt dm in der Dörrwiese in Perl ist halb voll. Gut gefüllte Einkaufswagen werden über den Parkplatz geschoben, Menschen treten mit vollen Armen hinter der Schiebetür des dm-Ausgangs hervor, Autos werden beladen. Einige spazieren an dem gegenüberliegenden Kik vorbei, andere holen sich was zu essen beim Asia Imbiss nebenan. Das Land verbringt den Nachmittag auf dem Parkplatz, um sich mit Passanten über die Wahl zu unterhalten.

„Zufrieden? Ja, das bin ich. Der Politikwechsel und dass es eine Zweiparteienmehrheit gibt, stimmen mich zuversichtlich. Zu zweit ist es einfacher zu regieren“, erzählt ein älterer Herr, der neben seinem Auto steht. „In Deutschland ist es so, dass wenn Schwarz an der Macht ist, die Wirtschaft besser läuft als bei Rot. War schon immer so. Und wenn die Wirtschaft brummt, dann geht es auch den Leuten gut. Außerdem komme ich aus Bayern, da wählt man schwarz. Egal wie die Situation gerade ist“, führt er aus. Zur SPD merkt er an, die brauche „neue Politiker, die was darstellen. Die haben zurzeit keine Sympathieträger“. Danach verweist seine Frau ungeduldig auf die Zeit. Das Paar verabschiedet sich und zieht weiter Richtung dm.

Am Dreiländereck gelegen, ist der dm in Perl mit seinen 1 250 Quadratmetern der größte in Europa. Billiges Klopapier, Windeln und Putzmittel sowie eine breite und günstige Auswahl von Kosmetikprodukten und Lebensmitteln garantieren große Beliebtheit in der gesamten Umgebung: Auf dem Parkplatz stehen Autos mit Kennzeichen aus Deutschland, Frankreich, Belgien, Luxemburg, den Niederlanden und sogar der Schweiz. Vom gelben Porsche-Cabrio bis zum kleinen Toyota sind Autos jeder Preiskategorie vertreten.

Die Wahlplakate in den umliegenden Straßen erinnern an den vorherigen Tag: Deutschland hat gewählt. Der Wahlsieg der Union hat einen bitteren Nachgeschmack – die Volkspartei hatte sich mehr als nur 28 Prozent erhofft. Die SPD hat eine historische Niederlage erlitten, die FDP ist aus dem Bundestag raus und die Grünen haben im Vergleich zu den Ampelpartnern wenig verloren. Nur an den Rändern des politischen Spektrums wurde gejubelt. Die AfD konnte ihren Stimmenanteil auf 20 Prozent verdoppeln und Die Linke ist mit ihren acht Prozent überraschenderweise nicht aus dem Parlament geflogen. Das BSW, das zum ersten Mal bei einer Bundestagswahl angetreten ist, scheitert an der Fünf-Prozent-Hürde. In den an Luxemburg grenzenden Wahlkreisen Saarlouis, Trier und Bitburg wurde die CDU dreimal stärkste Kraft. Alle andern Parteien schnitten ähnlich ab wie auf der Bundesebene.

„Ich bin gar nicht zufrieden mit den Ergebnissen, nein. Die hohe AfD-Zustimmung finde ich ganz schrecklich. Dass der Osten komplett blau ist, finde ich schlimm“, meint Christina, die gerade ihren Einkaufswagen abstellt. Sie wohnt in Perl und arbeitet in der Pflege psychisch kranker Menschen. „Da ist ein totaler Rechtsruck“, stellt sie fest. „Ich meine, es ist viel schiefgelaufen und man hätte sicher einiges anders machen können. Aber ich finde die momentane Entwicklung nach rechts schlimmer. Für die Wahl 2029 habe ich ein sehr beängstigendes Gefühl. Vor allem wegen der Kleinen hier“, erzählt die junge Frau, während sie sich über den Bauch fährt. „Ich war wählen, aber es ist mir sehr schwergefallen, mich mit einer Partei zu identifizieren. “ Im Endeffekt habe sie die gleiche Partei gewählt wie 2021. „Bei den großen Parteien habe ich immer das Gefühl, zwischen Pest und Cholera zu entscheiden. Ich denke aber, dass da die SPD das kleibe Übel ist“, erklärt sie.

Für sie gab es kein spezifisches Thema, das ihr besonders wichtig war bei der Wahlentscheidung. „In erster Linie ging es mir darum, diesen Rechtsruck nicht zu unterstützen und dagegen zu steuern. Wenn so viele schlimme Dinge passieren, kann man nicht immer nur eine Gruppe dafür verantwortlich machen und den Schuldigen bei den Schwachen suchen. Da muss der Einzelfall mehr betrachtet werden“, erklärt sie. „Ich bin froh, dass Die Linke noch reingerutscht ist. Mal schauen, ob die noch bisschen die Waage halten können bei diesem ganzen braunen Mist.“

Zwei Jugendliche verlassen gerade mit einigen Snacks in den Händen das Geschäft. Wie sie zum Wahlergebnis stehen, können sie nicht sagen. „Wir sind Zeugen Jehovas. Natürlich ist es schlimm, was gerade in der Welt passiert, aber wir wählen keine Regierungen. Wir vertrauen darauf, dass Gott sich um alles kümmert. Deswegen dürfen wir auch nicht über Politik reden”, erklärt der Ältere der beiden. Er erzählt, sie seien vor ungefähr drei Jahren aus der Ukraine nach Deutschland gekommen. Der Jüngere der beiden gehe in Perl zur Schule.

Weiter hinten auf dem Parkplatz, vor dem Kik, stehen ein Mann und zwei Frauen um ihr Auto und rauchen. Als die Verfasserin dieser Zeilen sie auf die Wahl anspricht lachen alle drei. Die beiden Frauen verweisen auf den beistehenden Mann, der sich als Thorsten mit Th vorstellt. „Ich bin sehr zufrieden mit den Wahlergebnissen“, sagt er gelassen. „Es ist klar, dass sich was ändern muss. Ich finde es nur schade, dass man immer noch versucht, die AfD überall zu isolieren. Ich hoffe, dass die Leute das nicht mehr hinnehmen und sich dafür einsetzen, berücksichtigt zu werden. Man merkt ja, die Leute wollen, dass da was passiert.“

Das restliche Gespräch enthält viele Wiedersprüche. Die Wirtschaft hat, ähnlich wie für den älteren Herrn, auch für Thorsten eine zentrale Rolle bei der Wahlentscheidung gespielt. „Es muss wieder mehr in Deutschland produziert werden. Das Produzieren im Ausland und die Abhängigkeit von anderen Ländern wie Russland, das darf nicht sein“, erklärt er. „Deutschland sollte wieder selbst für sich sorgen. Und zwar für sich und nicht für andere. Was Deutschland alles im Ausland bezahlt, das geht doch nicht. Wir Deutschen schicken Geld nach Spanien, wenn es da brennt, aber ich habe keinen Spanier gesehen, der im Ahrtal geholfen hat. Wir haben da immer noch diesen Schuldstempel von damals. Wir kriegen den aufgedrückt, damit wir zahlen. Wir Deutschen sind immer noch die bösen Nazis.“ Auf die Nachfrage, wann genau man ein Nazi ist, antwortet er: „Keine Ahnung. Ich bin deutsch und das sollte man sehen. Ich mag das Radikale nicht.“

Thorstens Partnerin, deren kurzen Haare blau gefärbt sind, meint: „Mir gefällt es nicht, wie die AfD immer schlecht gemacht wird. Egal was sie machen, nichts ist gut genug“. Sie beklagt, dass die Partei von den Medien immer in die rechte Szene geschoben werde. „Man muss bei der Frau Weidel nur die Freundin ankucken. Also bitte. Ich finde das nicht in Ordnung. Die Frau Weidel ist eine klasse Frau, und die könnte schon was bewegen“, beteuert sie. Thorsten fügt hinzu: „Die Medien erzählen nur, wie schlecht und böse die AfD ist. Propaganda hieß das früher.“ Er schaue hauptsächlich den lokalen Sender, N-TV oder N24. „Dann nehme ich mir bei jedem Sender das raus, was für mich passt. Was ehrlich ist und keine Propaganda ist“, erklärt er.

Thorstens Partnerin verabschiedet sich, sie muss zur Arbeit. Nach der kurzen Unterbrechung erzählt er rauchend weiter. „Wenn ich diese Kontrollen da oben auf der Autobahn sehe, frage ich mich, was der Spaß gekostet hat und was es uns bringen soll. Es muss in dem Land anfangen, wo die Leute herkommen. Das sind alles junge Männer aus irgendwelchen Ländern und deren Familie sitzen dann da noch im Krisengebiet. Warum kämpfen die nicht für ihr Land? Warum ändern die nicht was? Die wollen hier dann Geld, um das nach Hause zu schicken, damit man da leben kann. Geändert hat sich dadurch aber nichts. Die nehmen alles hin, ohne was zu ändern. Das kostet den Staat Geld ohne Ende, und das kann ich nicht vertreten. Hier sind die Grundnahrungsmittel unfassbar teuer. Der Führerschein zum Beispiel kostet zwei- bis dreitausend Euro. Geht’s noch? Was berechtigt denn solche Preise? Irgendwann sind wir ein Entwicklungsland.“ Der Rückfrage, ob linke Parteien nicht eher Politik für Menschen mit weniger Geld machen, weicht er aus. Zum Abschied meinte er noch: „Hat mich gefreut. Ich mag Menschen. Ich liebe es mit Leuten zu reden“.

Neben den Einkaufswagen steht Anna, eine Luxemburgerin, die in Perl wohnt und in Deutschland arbeitet. Wie die Wahl ausgegangen ist, wusste sie noch nicht. „Ich hatte in letzter Zeit nicht die Kapazitäten, mich viel mit der Wahl zu beschäftigen. Ich bin nicht wahlberechtigt hier, sonst hätte ich den Wahlkampf aktiver verfolgt“, erklärt sie. „Generell bin ich eher für linkere Regierungen, die konservativen Parteien stagnieren mir zu sehr. Man muss auch die kleinen Leute berücksichtigen, die für ihren Mindestlohn schwer arbeiten gehen.“

Die Grenzkontrollen sind für Anna ein zentrales Thema. Die seien „totaler Quatsch“, betont sie. „Das spaltet nur. Ich habe ein deutsches Kennzeichen und man kriegt die Unzufriedenheit und Wut der Menschen zu spüren, wenn man in Luxemburg mit dem Auto unterwegs ist. Während Corona war es noch schlimmer. Die deutschen Arbeitskollegen meiner Mutter, die in Luxemburg lebt und arbeitet, haben die Reifen aufgeschlitzt bekommen. Es treibt die Menschen auseinander und gegeneinander. Im Moment haben wir genug Probleme mit Hass und Wut, das muss nicht auch noch vom Staat gefördert werden“, erzählt die junge Frau, bevor sie ihren Einkauf beginnt.

Carsten Becker, der AfD-Kandidat für den Wahlkreis Saarlouis, in dem auch Perl liegt, ist nicht unbekannt dafür, Hass gegen bestimmte Menschengruppen zu schüren. 2023 schrieb er in einem Gastbeitrag bei dem rechtsextremen Medium Info-Direkt im Juni werde mit dem Pride Month „der Regenbogenterror auf Steroide gesetzt und die Propagandatrommel aus dem Hause Globohomo nochmal richtig angekurbelt“. Der Begriff „Globohomo“ stammt aus einem antisemitischen Computerspiel, das in Deutschland verboten ist. Die vom deutschen Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestufte Identitäre Bewegung verbreitet besagtes Videospiel, wie der Saarländische Rundfunk (SR) in einem Beitrag über Becker schreibt. Der Begriff werde nicht außerhalb der rechtsextremen Szene genutzt, woraus man schließe, dass Becker der Gruppierung nahe stehe, schreibt der SR. Becker erhielt 21,7 Prozent der Stimmen in Saarlouis.

Claire Meyers
© 2025 d’Lëtzebuerger Land