EU-Agrarreform

Wohl bekomms!

d'Lëtzebuerger Land du 02.06.2011

Lebensmittelsicherheit und Lebensmittelversorgung, das sind nach Vorstellung der EU-Kommission und des Agrarausschusses des Euro-päischen Parlaments (EP) die obersten Ziele der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik (GAP), deren Reform für die Zeit nach 2013 in Brüssel diskutiert wird. Die Themen sind aktueller denn je. In Norddeutschland, vor allem in Hamburg, grassiert die Angst vor spanischen Gurken, die mit dem lebensgefährlichen Ehec-Erreger infiziert sein sollen. Den letzten Meldungen zufolge waren bis Dienstag allein in Hamburg rund 570 Infektionen oder Verdachtsfälle gemeldet.

Vergangenen Freitag sicherte Staatsminister Jean-Claude Juncker (CSV) den Luxemburger Bauern, die angesichts der anhaltenden Trockenheit mit hohen Ernteausfällen rechnen und Probleme haben, ausreichend Futter für ihr Vieh herbeizuschaffen, Unterstützung zu, obwohl sie diese noch gar nicht konkret angefragt haben. Aus Polen oder Dänemark könnten Futtermittel importiert werden; dass Frankreich den Export nicht stoppe, ließ sich Juncker am Montag vom französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy persönlich zusichern. Ansonsten wird es zu Notschlachtungen kommen. Schon jetzt, warnt Josiane Willems von der Bauernzentrale, gibt es vom Schlachthof weniger Geld für das angelieferte Schlachtvieh.

In den Internetforen, dem Stammtisch des 21. Jahrhunderts, regt sich bereits der Widerstand gegen die angekündigte öffentliche Unterstützung. O-Ton: „Die finden jedes Jahr eine Ursache, noch mehr Subventionen zu verlangen.“ Dabei verdeutlicht sich aktuell wiederum nur, wie variabel und unsicher die Einkommensverhältnisse in der Landwirtschaft sind. Nach dem Absturz der Milchpreise 2009 fiel das landwirtschaftliche Einkommen der Luxemburger Höfe gegenüber dem Vorjahr um 46,4 Prozent. 2010 stieg es wiederum um 48,2 Prozent. Das Jahreseinkommen einer landwirtschaftlichen Arbeitskraft stieg von 34 400 Euro 2009 auf 45 000 Euro 2010, lag damit aber immer noch unter dem nationalen Referenzeinkommen. Dabei werden die Bauern immer abhängiger von den Zuschüssen: 2010 waren die erhaltenen Subventionen über ein Viertel höher als die zum Jahresende verbuchten Gewinne. Buchhalterisch ist die landwirtschaftliche Produktion in Luxemburg ein Verlustgeschäft.

„Die Frage ist, wie viel uns Lebensmittelsicherheit und -versorgung auch in Zukunft wert sind“, fasst Christophe Hansen, Mitarbeiter der Europa-Abgeordneten Astrid Lulling (EVP), Mitglied im EP-Agrarausschuss, die Herausforderungen der Agrarreform zusammen. Vergangenen Mittwoch verabschiedete der Ausschuss einen Initiativbericht unter der Federführung des bayrischen EVP-Abgeordneten Albert Deß, der in diesem Monat dem Plenum zur Abstimmung vorgelegt wird. Es geht um viel Geld; 55 Milliarden Euro, 40 Prozent des EU-Etats, fließen in die GAP, die den Rahmen definiert, innerhalb dessen Europas Landwirte ausreichend und qualitativ hochwertige Lebensmittel für die EU-Bevölkerung produzieren sollen. Lebensmittel, die durch die Bezuschussung erschwinglich bleiben sollen. Denn nicht nur in Luxemburg verdienen die Bauern verhältnismäßig wenig: Das Prokopfeinkommen der EU-Bauern sei unter das Niveau von vor 15 Jahren gefallen, heißt es im Deß-Bericht, und 40 Prozent geringer als in den anderen Wirtschaftsbranchen.

Dass sich die EP-Abgeordneten gegen eine Kürzung dieses Etats für die Zeit nach 2013 sperren, freute vergangene Woche die europäi-schen Bauernverbände deswegen besonders. Zwar ist die Bedeutung des Berichts eher symbolisch als juritisch verbindlich. Doch noch im Juni soll die EU-Kommission ihre Vorschläge für das in EU-Beamtensprache „Finanzperspektiven“ genannte Budget der Union für die Jahre 2014 bis 2021 vorlegen. Und nirgendwo sonst kann das Parlament so viel mitreden wie beim Budget und der Agrarpolitik.

Auch für die Luxemburger Landwirtschaft steht bei der Reform, deren konkrete Bestimmungen noch dieses Jahr vorgestellt werden sollen, viel auf dem Spiel. Als Landwirtschaftskommissar Dacian Ciolos vergangenen Herbst erste Ideen für die GAP post-2013 vorstellte, sah es so aus, als ob Luxemburgs landwirtschaftliche Flächen ihren Status als benachteiligtes Gebiet verlieren könnten (d’Land, 22.10.2010). 2010 wurden laut Rechenschaftsbericht des Landwirtschaftsministeriums 15,6 Millionen Euro Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete an die Luxemburger Landwirtschaft ausgezahlt, ohne die das Einkommen entsprechend geringer ausgefallen wäre.

Nun macht sich allerdings ein gewisser Optimismus breit. Einerseits, weil sich nach einer Mehrheit der EU-Agrarminister auch der EP-Agrarausschuss dafür ausgesprochen hat, die GAP weiterhin auf zwei Säulen aufzubauen – einer ersten, zu 100 Prozent EU-finanzierten, und einer zweiten, von den Mitgliedstaaten mitfinanzierten Maßnahmensäule. Das wäre die Vorraussetzung dafür, dass die Mitgliedstaaten überhaupt eine Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete im Rahmen der zweiten ­Säule mitfinanzieren dürften. Zudem fordern die EP-Abgeordneten explizit den Fortbestand eben jener Ausgleichszulage.

Weil aber andererseits die EU-Kommission für diesen Fall vorgesehen hat, die Kriterien zu verändern und auf die Bodenbeschaffenheit und die Morphologie des Geländes zu beschränken anstatt, wie bisher auch soziale Faktoren, wie Einkommensunterschiede zwischen ländlicher und urbaner Bevölkerung, zu berücksichtigen, hat der Service de l’économie rurale (SER) vorsorglich neue Berechnungen nach diesen Kriterien aufgestellt. Über das Ergebnis schweigt man beim SER. Offiziell aus Vorsicht, weil die endgültige Kriterienliste erst nach der Abstimmung der reformierten GAP festgehalten wird. Ganz pragmatisch aber wohl auch, um nicht zu viel Aufmerksamkeit auf das günstige Resultat zu lenken. Zwischen 95 und 97 Prozent der Gebiete, die aktuell als benachteiligt gelten – das ist fast die gesamte Luxemburger Anbaufläche – meint Christophe Hansen, könnte auch in Zukunft so eingestuft werden. Im Osten und Norden könnten die Hanglagen in den Produktionsflächen geltend gemacht werden, im Süden die ungünstigen Arbeitsbedingungen auf dem schweren Lehmboden. Im Westen, ergänzt Josiane Willems, könnten einige Flächen ihren Status als benachteiligtes Gebiet verlieren.

Kritik übt die Direktorin der Bauerngewerkschaft dennoch an den im Deß-Bericht zurückbehaltenen Vorschlägen. Da ist einerseits die von der Kommission angestrebte und vom EP-Ausschuss unterstützte Deckelung der Betriebsprämien. Durch eine Staffelung der Betriebsprämien je nach Größe der Anbaufläche will man künftig verhindern, dass Großgrundbesitzer ungerechtfertigt riesige Summen kassieren. Stattdessen soll es eine Basisprämie für alle geben – auf diesem Weg sollen die auf die historischen Produktionswerte zurückgehenden Unterschiede zwischen Ost- und Westeuropa ausgeglichen werden. Damit Großbauern dennoch Unterstützung erhalten, will man die Anzahl der Beschäftigten im Betrieb als zusätzliches Kriterium einführen.

Die Abschaffung der historischen Referenzwerte fürchtet man in Luxemburg wenig. „Diese Umverteilung wird zwar in einigen Ländern zu spüren sein, bei uns in Luxemburg aber fast gar nicht, da wir punktgenau auf dem europäischen Durchschnitt von ungefähr 280 Euro pro Hektar liegen“, ließ Astrid Lulling nach der Abstimmung mitteilen. Denjenigen, deren Betriebsprämien aufgrund ihrer hohen Produktion in der Vergangenheit mit bis zu 600 Euro pro Hektar über dem Mittelwert liegen – auch das gibt es in Luxemburg –, dürften dennoch Einbußen drohen. „Die Frage ist, auf welchem Niveau gedeckelt wird“, gibt ihrerseits Willems zu bedenken. Je nachdem, wie hoch die Basisprämie ausfällt, könnten auch größere einheimische Betrieb, obwohl sie im internationalen Vergleich eher mittelgroß sind, bereits mit Abstrichen rechnen.

Problematisch ist für Willems, das ist nicht neu, zudem das Vorhaben, die Finanzierung der „grünen“, also Umweltmaßnahmen, von der zweiten in die erste Säule zu verlagern. Die Absicht der Brüsseler Institutionen: Dadurch sollen die visierten Umweltmaßnahmen nicht länger optional sein, sondern Pflicht für alle EU-Bauern werden. Deren ­Einhaltung müsste dann im Rahmen der ohnehin hinsichtlich der Aus­zahlung der Betriebsprämien durch­geführten Cross-Compliance-Kontrolle überprüft werden, fordern die Parlamentarier, um allen Parteien Extra-Kontrollen und zusätzlichen Papierkrieg zu ersparen. Die Lobbyistin befürchtet dennoch Mehrkosten und Auskommensausfälle.

Zu den „grünen“ Maßnahmen, welche die Bauern durchführen sollen, gehören neben dem Einsatz von Präzisionstechniken und der Pflanzung von Hecken und Büschen am Feldrand, der Ausweisung von Dauerweideland, wie sie jetzt auch schon oft üblich sind, auch solche die auf die Reduzierung, sprich, der Erfassung von Treibhausgasen abzielen. „Das geht relativ weit“, sagt Willems, die hohe Investitionen zur Umsetzung prophezeit. Weil sich diese Maßnahmen zum Teil mit denen deckten, die den Luxemburger Bauern mittels Landschaftspflegeprämie entlohnt würden, befürchtet sie außerdem, dass jene Landschaftspflegeprämie damit nicht mehr zu rechtfertigen sei und ausfallen könnte. Dann, argwöhnt sie, müssten die Bauern „grüne“ Maßnahmen durchführen, die Mehrkosten verursachten, ohne dafür entschädigt zu werden.

Roger Negri (LSAP), Vorsitzender der Landwirtschaftskommission im Parlament, hofft, dass es beim Status quo der ­Prämienzahlung bleibt. „Wer öffentlich Fördermittel bekommt, muss aber im Gegenzug Kontrollen in Kauf nehmen“, sagt der LSAP-Abgeordnete. Für ihn sind eigentlich Ausbildung und Beratung die wichtigsten Elemente, wenn es darum geht, die Landwirtschaft auf die Zukunft einzustellen. Dafür soll es auch in Zukunft noch Fördergelder geben. Doch bei der Agrarreform liegt der Akzent auf dem bevorstehenden Generationenwechsel, den die Europaparlamentarier vor allem finanziell begleitet sehen wollen. Nur sechs Prozent der europäischen Bauern seien jünger als 35; 4,5 Millionen EU-Landwirte würden sich innerhalb der kommenden zehn Jahre zur Ruhe setzen.

Auch in Luxemburg sind von 3 497 aktiven Beschäftigten in der Landwirtschaft knapp 970 jünger als 40 Jahre. Seit 1990 ist die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe um fast 1 300 Einheiten gefallen. Zwar seien die Übernahmebedingen für Erben in Luxemburg ziemlich günstig, räumt Willems ein. Doch oft stünden die Jungbauern vor der Wahl, sich vor oder nach der Übernahme zu verschulden, um zu modernisieren. Für einen neuen Stall für 70 bis 80 Milchkühe, mit moderner Technik ausgestattet, beliefen sich die Baukosten schnell auf 1,5 Millionen Euro. Die nicht eben günstigen Grundstückspreise seien eine zusätzliche Barriere beim Betriebsausbau. Kein Wunder, dass beim Posten „Schuldentilgung“ in der Buchhaltung der Luxemburger Höfe laut Ministerium im Schnitt 47 500 Euro anfallen. Bis solche Investitionen rentabilisiert sind, muss viel Milch gemolken werden. „Wir müssen den Jungbauern eine Perspektive bieten“, sagt Willems. Doch dass sich bei diesen Aussichten immer weniger junge Leute in die Landwirtschaft trauen, kann eigentlich niemanden überraschen.

Michèle Sinner
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