Zukunft der Landwirtschaft

„Wir werden von Brüssel gelenkt“

d'Lëtzebuerger Land du 23.09.2010

„Die Idylle gehört der Vergangenheit an.“ Sagt Bauer Gilles Noesen aus Simmer (Septfontaines). Die Landwirtschaft funktioniert nicht abgekoppelt von der typisch städtischen Hektik und dem alltäglichen Druck. Die ländliche Wirklichkeit hat nicht mehr ihren eigenen Rhythmus, sondern wurde von der urbanen Mentalität eingeholt. Nicht nur, dass der urbane Lebensstil längst aufs Land exportiert (oder importiert) wurde, auch die Arbeit derer, die die Felder bewirtschaften, hat sich gewandelt. Genoss ein Bauer früher Selbstständigkeit als sein größtes Gut, so ist sie heute immer mehr Wunsch als Wirklichkeit.

Christiane und Gilles Noesen-Hess aus Simmer erleben ihren Beruf jedenfalls als tagtägliche Herausforderung. Es gilt, flexibel zu sein und sich den Veränderungen anzupassen. Mit der Zeit mitzugehen, scheint heute umso wichtiger – weil es überlebenswichtig ist. „Die Bauern hängen am Brüsseler Tropf“, ärgert sich Gilles Noesen. Viel Freiraum besitzen sie nicht. Wenn Brüssel etwas entscheidet, dann überlegt man sich gut, ob man nicht mitgehen will.

„Man hat den Eindruck, in Brüssel könnten sie sich nicht entscheiden. Heute kommen sie mit dies, in ein paar Jahren mit das.“ Seit einiger Zeit lutet der Trend Umweltschutz. Deshalb düngen Christiane und Gilles Noesen auf einigen Feldern nicht mehr, mit dem Resultat, dass sich der Ertrag halbiert hat. Doch für ihr Engagement erhalten sie eine finanzielle Spritze. Wobei die Regel-Subven-tionen sinken, seit die Europäische Union immer öfter wegen ihrer Agrarpolitik am Pranger steht. Noch werden die Ausfälle durch Sonder-Subventionen ausgeglichen.

Auch das Milch-Quotensystem schränkt die Landwirte ein, so Gilles Noesen: „Der Bauer darf nicht mehr produzieren, als erlaubt ist. Wir werden von Brüssel gelenkt. So kann die EU kontrollieren, wie viel und was produziert wird.“ Die Landwirte haben immer weniger Handhabe über ihre eigene Geschäfte. Von weit her kommandiert Brüssel, wo es lang geht, und teilt finanzielle Strafen aus, wenn sich ein Landwirt nicht an die Spielregeln hält.

Gilles und Christiane Noesen bedauern diese Abhängigkeit. Nach dem Motto: man geht mit, um nicht unterzugehen. Gilles Noesen betont aber, dass er nur für sich spricht. Jeder Bauernbetrieb sei anders und hätte seine eigenen Probleme und Herausforderungen. Auch die Antworten fallen unterschiedlich aus: Wer Gilles und Christiane zuhört, bekommt den Eindruck, sie führten eher ein hochkomplexes Unternehmen als einen Bauernhof. Der Bauernhof wird zu einem Ort der Investitionen; der Bauer zu einem Manager. Denn „du investierst eigentlich permanent dein Kapital in deinen Betrieb. Alles was du verdienst, geht wieder zurück in den Betrieb.“ Da heißt es, unermüdlich innovativ und kreativ zu sein. Der Bauer kann sich nicht mehr so einfach zurücklehnen und zufrieden sein, mit dem was er hat.

„Wir stehen unter permanentem Druck“, seufzt Christiane Noesen. Das Wetter sei sehr viel unbeständiger als früher, was den Landwirten große Sorgen bereitet. Störungen im Betriebsablauf, wie Maschinenpannen, treten oft gerade dann auf, wenn man schon am meisten Arbeit habe. Wiederkehrende Tierkrankheiten machen den Job zusätzlich unberechenbar. Das gilt auch für den Hof von Familie Noesen: Sie haben sich auf Fleischproduktion spezialisiert.

Es gibt noch andere Risikofaktoren für die Landwirtschaft von heute. Viele Bauern sind verschuldet. Es sei nicht einfach, ein Darlehen zu bekommen. Viele Banken fragen eine Garantie, seit der Krise sind sie noch vorsichtiger geworden. Viehzucht sei ihnen oft zu unsicher, man müsste Boden haben: „Am besten gutes, teures Land, um die Stadt herum“, so Gilles Noesen. Doch Land ist nicht nur teuer, sondern es wird auch rarer, denn „es wird sehr viel verbaut“.

Unter Druck fühlen sich Christiane und Gilles auch wegen der Auflagen aus Brüssel. Den Papierkram für die Anträge zu erledigen, nehme viele Abende in Anspruch, so Christiane. „Wenn andere Leute Sport machen, fernsehen oder einem Hobby nachgehen, setzen wir uns vor den Computer.“ Den Aufwand sehe keiner: „Oft müssen wir uns Vorurteile anhören, wir bekämen ja Subventionen aus Brüssel. Aber wir haben es uns nicht ausgesucht, etwas zu produzieren, was Defizit macht“.

Um sich in der globalen Preisschlacht behaupten zu können, suchen sich immer mehr Landwirte Nebenverdienste. Gilles und Christiane Noesen beteiligen sich am Programm eines luxemburgischen Supermarkts, der ihnen höhere Preise garantiert. Aus derselben Überlegung haben in Luxemburg viele Bauern auf Bio-Landwirtschaft umgestellt.

Eine weitere Nische sind die erneuerbaren Energien. Familie Noesen unterhält seit kurzem eine Photovoltaïkanlage. Die wird zwar erst in ein paar Jahren rentabel sein, amortisiert haben wird sie sich erst in etwa neun Jahren. Auch trägt Gilles Noesen zur Biogasproduktion in Kehlen bei, welche er mit Energiepflanzen speist und die ihm Gülle für seine Felder bringen.

Bei so vielen strategischen Entscheidungen, die getroffen werden müssen, ist die alltägliche Arbeit im Stall und auf dem Feld fast schon eine angenehme Abwechslung. Für Gilles Noesen besteht sie hauptsächlich aus Viehzucht und Felderbewirtschaftung. Ein Angestellter hilft ihm, und Christiane springt in der Hauptsaison und bei gutem Wetter ein, wenn es viel zu tun gibt. In vielen Betrieben lebt die dritte Generation, die Eltern, von denen man den Hof übernommen hat, mit im Haus. Die packen dann oft auch eine Hand mit an.

Für Christiane und Gilles ist das eine der schönen Seiten ihres Broterwerbs: Die Familie mache viel zusammen. Abgesehen von der Erntezeit, wo jede Hand gebraucht wird, versuchen sie sonntags nicht zu arbeiten – allerdings: das Vieh muss täglich gefüttert werden. Trotzdem gönnt sich die Familie einen Luxus, den nicht jeder Hof hat: Zweimal im Jahr geht es zusammen ins Ausland in die Ferien. Möglich macht es die Genossenschaft „Maschinenring“, die nicht mehr nur Arbeitsmaterial und Maschinen verleiht, sondern auch Aushilfskräfte vermittelt.

Das Klischee von der Landwirtschaft als harten Beruf, der keinerlei Raum für Freizeit lässt, stimmt also nicht ganz. Auch wenn Privates und Arbeit schwieriger zu trennen sind als in vielen anderen Berufen und die Arbeit oft noch am Essenstisch präsent ist – die meisten Bauern leben ihren Beruf schon lange nicht mehr so wie ihre Großeltern. Wie die anderen Wirtschaftsbranchen hat sich auch der Agrarsektor in den vergangenen Jahrzehnten weiter entwickelt und professionalisiert. Arbeitsteilung und Maschinen prägen den Alltag. Hochspezialisiertes technologisches Material gehört zum Bild des modernen Landwirts fast genauso dazu wie sein Vieh. Dem Bauer ergeht es wie den meisten Erwerbstätigen: Er ist in ein ökonomisches System eingebunden, das Freiheit verspricht und Kontrolle ausübt.

Trotzdem bleibt dem Bauer ein immer kostbarer werdendes Gut: der Kontakt zur Natur. Deshalb schätzen Christiane und Gilles ihren Beruf und schauen optimistisch in die Zukunft. Denn auch wenn Luxemburg nicht die besten Böden habe, um intensive Landwirtschaft zu betreiben, so „müssen die Menschen doch nach wie vor essen“.

Nathalie Oberweis
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