OECD-Bericht über Forschung und Innovation

Soweit, aber nicht gut genug

d'Lëtzebuerger Land du 29.01.2006

"Things happened simply because they could happen." So steht es im zusammenfassenden Kapitel des OECD-Berichts über Luxembourg's Innovation Policy. Seit November letzten Jahres liegt er dem Forschungs- und Hochschulministerium vor; er ist der erste Teil eines umfassenden "Monitorings" der öffentlich finanzierten Forschung und ihrer praktischen Anwendung, das die Regierung bei der OECD bestellt hat. Teil zwei, eine vertiefte Analyse einzelner Fragen, soll gegen Ende dieses Monats folgen und eine Synthese beider Papiere bis zum Sommer klären helfen, inwiefern "das System" anders organisiert werden muss, damit die geplante Steigerung der staatlichen Ausgaben für Forschung und Innovation auf ein Prozent des BIP bis zum Jahr 2010 Wirtschaft und Gesellschaft optimal dient.

Vor allem der Wirtschaft, beziehungsweise der sozio-ökonomischen Leistungskraft der Gesellschaft: Das Wiener Consulting-Unternehmen der internationalen Technopolis Group befasst sich für OECD und Regierung weniger mit Fragen, wie etwa die neu gegründete Uni Luxemburg zu wissenschaftlicher Exzellenz geführt werden kann, als mit dem Zusammenwirken der öffentlichen Forschungszentren und der Uni mit den heimischen Betrieben und der Steuerung dieser Kooperation. Wenn "im System" bisher alles geschah, weil es halt geschehen konnte, besteht offenbar Verbesserungspotenzial.

Die am häufigsten getroffene Feststellung in dem knapp hundertseitigen Bericht lautet: "mangelhafte Kooperation und Koordination". Darüber könne man klagen, so der Bericht, andererseits habe es seit Verabschiedung des Forschungsrahmengesetzes 1987 und der anschließenden Gründung der drei öffentlichen Forschungszentren CRP Henri Tudor, CRP Gabriel Lippmann und CRP Santé, mit der Gründung des Fonds national de recherche 1999 und der Gründung der Uni im Jahr 2003 überwiegend eine Institutionen-Bildung gegeben. Dazu würden auch Inkubatoren für Start-up-Firmen zählen, wie der vom CRP Henri Tudor verwaltete Technoport Schlassgoart in Esch oder der vom Wirtschaftsministerium eingerichtete Ecostart-Park in der Gewerbezone Foetz. Institutionen-Bildung bei zugleich steigenden Forschungsausgaben der öffentlichen Hand sei ein im Grunde guter Ansatz, doch Institutionen hätten aus sich selbst heraus weniger die Tendenz zur Kooperation als die zur Betonung ihrer jeweiligen Einzigartigkeit. Wer Kooperation wolle, müsse sie koordinierend steuern.

Denn immerhin hat Luxemburg die Lissabon-Agenda der EU zur Schaffung einer "Wissensgesellschaft" übernommen, die zu "Innovation" und gar "Vollbeschäftigung" führen soll. Die Aktivitäten in Forschung und Entwicklung wachsen hier zu Lande stark; kein Wunder eigentlich, wenn Luxemburg zwischen den Jahren 2000 und 2005 mit einem Plus von knapp 22 Prozent den im OECD-Vergleich mit Abstand höchsten Zuwachs an öffentlichen Forschungsgeldern aufweist. Die Zahl der wissenschaftlichen Publikationen pro eine Million Einwohner wächst um jährlich 6,7 Prozent, während der Zuwachs im EU-Schnitt nur 2,1 Prozent beträgt, und die Zahl der von Luxemburg aus angemeldeten Patente lag laut den letzten Statistiken innerhalb der Top ten der OECD und über dem EU-15-Durchschnitt. Vor allem im öffentlichen Sektor wuchs die Zahl der Forscher: die Steigerungsrate betrug 45 Prozent zwischen 2000 und 2003. Gleichzeitig aber hat das Wachstum der Arbeitsproduktivität sich abgeschwächt, der jährliche Zuwachs an Wertschöpfung in den besonders wissensintensiven Wirtschaftssektoren – die Nachfrager für Forschungs-Zuarbeit sein könnten – liegt mit 3,6 Prozent unter dem EU-Durchschnitt von 4,6 Prozent und weit hinter den führenden Staaten Großbritannien (17,6), Irland (15) und Schweden (elf Prozent).

So dass sich schon aus makro-ökonomischen Gründen die Frage stellt, welchen Austausch es insbesondere zwischen den drei Centres de recherche publics und der Privatwirtschaft gibt. Ihre Beantwortung wird aber auch zu einem Politikum, wenn noch in diesem Jahr die Diskussion über die Forschungs-Aufgabenteilung zwischen den CRP und der Universität geführt werden soll. Die Rolle der CRP soll im zweiten Teil des OECD-Monitorings gesondert untersucht werden. Dass es dort um die Festlegung von Schwerpunktachsen gehen dürfte, deutet Teil eins schon an. Sind die drei CRP doch von Gesetz wegen zur Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft angehalten. Doch wenn schon im September letzten Jahres der erste vom Wirtschaftsministerium vorgelegte Rapport sur l'innovation ergab, dass zwischen 1998 und 2000 nur große Industriebetriebe sowie kleine und mittlere Dienstleistungsfirmen mit den öffentlichen Zentren kooperierten (d'Land, 21.10.2005), hatte sich das laut neuesten Erhebungen des Statistikamts Statec, auf die der OECD-Bericht zurückgriff, zumindest bis 2003 noch nicht geändert.

Damit werden die Aktivitäten der CRP in ihrer Sinnhaftigkeit und Effizienz zur Diskussion stehen. Ihre Bandbreite ist zum Teil enorm. Sie reicht etwa am mit 280 Mitarbeitern größten Forschungszentrum CRP Henri Tudor und seiner generell starken Orientierung am Privatsektor und technologischer Innovation von Forschung in den Bereichen Informationstechnik und Informatik, Materialwissenschaft, Umwelttechnologien und Gesundheitstechnologien über den Betrieb des Hightech-Inkubators Technoport Schlassgoart bis hin zu vielfältigen Leistungen in Beratung und Weiterbildung. Das CRP Gabriel Lippmann ist spezialisiert in der Materialanalyse im Nanometerbereich, der biotechnologischen Forschung an Naturressourcen sowie in den Informationstechnologien. Das CRP Santé ist nicht nur aktiv in der molekularbiologischen, immunologischen und virologischen Forschung, sondern auch in der Analyse und Evaluation des öffentlichen Gesundheitssystems.

Der erste OECD-Bericht trifft noch keine Aussagen darüber, inwiefern Arbeitsbereiche der CRP einander überlappen und Restrukturierungen angebracht wären. Angedeutet wird lediglich, dass die Arbeit des CRP Santé über das öffentliche Gesundheitssystem der am Differdinger Ceps betriebenen Sozialforschung ähnele und in diesem Bereich eine Fusion erwogen werden könnte. Darüber hinaus könnte die Informatikabteilung des CRP Gabriel Lippmann eventuell als spin off aus dem Zentrum ausgegliedert werden. Weiterentwickelt werden sollen solche Überlegungen ebenfalls erst in Teil zwei des OECD-Berichts, denn sie betreffen ein CRP nicht nur in seinem Management eines komplexen Leistungs-Portfolios: stark auf heimische Wirtschaftspartner zugeschnittene Dienste wie der informationstechnische des CRP Gabriel Lippmann garantieren immerhin einen Zugang zu privaten Geldern, wenn die öffentlichen Zuwendungen noch nicht in ausreichendem Maß die Finanzierung einer Kernbelegschaft an Forschern erlauben.

Dem eher die "Governance"-Perspektive analysierenden ersten OECD-Bericht dienen die diversen Aktivitäten der CRP vor allem zur Formulierung der Frage, wer in Luxemburg strategische forschungspolitische Weichenstellungen vornimmt. Im Grunde tut das niemand so richtig, lautet die Antwort, denn gegenüber dem 1999 eingerichteten nationalen Forschungsfonds FNR, der in seinen ersten Programmen zwischen den Jahren 2000 und 2004 knapp 43 Millionen Euro an Projektgeldern vergab, hätten sich zunächst Angebot und Opportunität durchgesetzt: der Bottom-up-Ansatz des FNR ging bei der Aufstellung der Forschungsprogramme überwiegend von den bis dahin bestehenden Aktivitäten der CRP und ihren Wünschen zur Weiterentwicklung aus. Das hält der OECD-Bericht für einen legitimen Ansatz in der Startphase eines Forschungsfonds. Da der FNR aber im Unterschied zu vielen Forschungsfonds im Ausland ein aufwändiges Monitoring der von ihm geförderten Projekte und Programme vornimmt, konzentriere er zunehmend "strategische Intelligenz" und erhalte damit tendenziell einen Vorsprung gegenüber dem Forschungsministerium, das eigentlich die politische Richtlinienkompetenz besitzt.

Strategiebildung auf Ministeriumsebene aber vermisst die OECD. Der Mangel hätte freilich auch zu tun mit der Personalausstattung der Abteilung für Forschung im Ministerium für Kultur, Hochschule und Forschung, mit ihren zwei leitenden und lediglich sechs nachgeordneten Mitarbeitern. Wobei sich zwei von diesen sechs ausschließlich um die Luxemburg nach seiner im letzten Jahr eingegangenen Mitgliedschaft in der Europäischen Luft- und Raumfahrtagentur ESA entstandenen Aufgaben und Möglichkeiten kümmern. Personell zu schwach besetzt sei eventuell auch die für Forschung und Innovation in der Privatwirtschaft zuständige Abteilung im Wirtschaftsministerium. Dass beide Ministerien zu Forschung und Innovation wenig kooperieren, liege wahrscheinlich nicht an mangelnder Bereitschaft der Beamten, sondern an hoher Arbeitsbelastung.

Auch in der an die Privatwirtschaft gerichteten Innovationspolitik sieht der OECD-Bericht Verbesserungsmöglichkeiten in Strategie und Koordination. Wenn rund 90 Prozent der öffentlichen Fördermittel für privatwirtschaftliche Forschung, Innovation und Patentanmeldung von einer kleinen Zahl von Betrieben überwiegend aus den Branchen Metallverarbeitung sowie chemische und para-chemische Industrie bezogen werden, sollten nicht nur start ups noch stärker gefördert, sondern auch Anreize geschaffen werden, um den Finanzsektor in die Innovationsbemühungen einzubinden. Dabei könnten vor allem Forschungskooperationen mit der Universität viel versprechend sein.

Kritisch betrachtet der Bericht die drei Innovations-Cluster, die von Luxinnovation, dem 1984 von Regierung, Fedil, Handels- und Handwerkskammer gegründeten Groupement d’intérêt économique, vor drei Jahren mit Betrieben in Schlüsselbereichen wie Oberflächenbehandlung oder Informationstechnik eingerichtet wurden: dass die öffentlichen Forschungszentren von der Mitarbeit an den Clustern bislang ausgeschlossen sind, schwäche die partnerschaftliche Forschung von öffentlichem und privatem Sektor unnötig. Nur partnerschaftliche Forschung aber könne dem kleinen Großherzogtum dazu verhelfen, dass innerhalb des Landes ein Absorptionspotenzial für jenes Wissen entsteht, das sich in den nächsten Jahren bei steigenden öffentlichen Forschungsausgaben erhöhen wird. Partnerschaftliche Forschung könne auch zu einer Mobilität von Forschern zwischen öffentlichem und privatem Sektor führen. Eine solche Mobilität hält die OECD in Luxemburg für ebenso wichtig wie es die Gründung der Universität war. Dafür aber dürfe die Koordination von Forschung und Innovation nicht länger zu einem großen Teil "informell" und stark beeinflusst von "peer groups" erfolgen.

Peter Feist
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