Heute loben wir das Literaturparadies Luxemburg. Lieber Rosch, du hast dich ein paar Stunden zu früh in die ewigen Jagdgründe abgesetzt. Um genau einen halben Tag hast du so den Ausbruch der elysischen Zustände verpasst. Ein Jammer, dass du nicht mehr erleben durftest, wie sich die staatliche Literaturwüste plötzlich in einen üppig blühenden Garten verwandelte. Jetzt wirst du leider nie mehr erfahren, dass dieser Staat seine Dichter über den schwarzen Klee lobt und ihnen mit Begeisterung rhetorische Denkmäler baut.
Das erste Wunder geschah zur besten Sendezeit auf RTL. Urplötzlich entdeckte der Staatsmann Juncker den bedeutenden Schriftsteller Roger Manderscheid. Er hat uns alle beschämt mit seiner posthumen Laudatio. Sag mal, Rosch, wie konnten wir nur bei unseren wöchentlichen Lästerrunden so elend über Herrn Juncker herfallen? Wieso waren wir uns einig, dass Herrn Juncker der Trauerflor – besser: der dichte Trauerteppich – immer dann schnell auf der Zunge liegt, wenn er sich hemdsärmelig profilieren kann? Sind wir noch zu retten, Rosch?
Wieso sind wir so fahrlässig dem Irrglauben verfallen, Herr Juncker, der immerhin von Rilke abstammt, habe während deiner ganzen Schriftstellerlaufbahn nie auch nur in Ansätzen das Bedürfnis signalisiert, dich kennenzulernen, dich zu kontaktieren oder wenigstens eine deiner öffentlichen Lesungen zu besuchen? Si mir da vum Lämmes gebass? Die Wahrheit ist für uns ernüchternd und fürs Literaturvolk eine himmlische Nachricht: Herr Juncker war da, regel-mäßig und ausdauernd. Er saß stets in der letzten Zuhörerreihe, diskret und dezent in ein Tarnkostüm gehüllt und wahrscheinlich auch maskiert, damit ihn keiner als Politiker erkennen konnte, sondern nur als Kulturmensch, ein still beseelter Genießer deiner „Verdienste um die Nation und das Nationale“. Wieso bleibt jetzt immer noch das Gefühl, die schwindsüchtige Literaturpolitik von Herrn Junckers Regierung stehe im eklatanten Widerspruch zum dick aufgetragenen Kondolenzschmalz, mit dem er im Rundfunk auftrumpfte? Wir sind wohl wirklich bedauernswerte „Hysteriker“, wie Herr Gaston Carré einmal im Luxemburger Wort feststellte. Uns fehlt der Glaube, das ist der Grund allen Übels.
Im Luxemburger Wort, unser aller Zensuranstalt, plädiert die Kulturministerin jetzt urplötzlich für „eine verstärkte Präsenz von Roger Manderscheids Texten in den Schulbüchern“. Sie weiß zwar selber nicht, von welchen Büchern sie da spricht, und wir sind so abgrundtief dumm, dass uns diese Schulbücher noch nie aufgefallen sind. Immerhin kommt es jetzt zu einer verstärkten Präsenz von Schulbüchern mit einer verstärkten Präsenz deiner Texte. Das ist doch das reinste Eldorado! Frohlocken wir also, Punkt, Schluss!
Auf deinem Begräbnis sagte der Bürgermeister, als er endlich mit beträchtlicher Verspätung herbeihastete, in seiner hölzern tristen Ansprache: „Kee wosst besser Bescheed iwwert d’ Manipulatiounsméiglechkeete vun der Sprooch wéi de Roger Manderscheid.“ Das hat er natürlich nicht so gemeint. Nein, nein, er wollte dich nicht nachträglich zum Manipulierer stempeln. Wir wissen ja, dass Politiker nie das meinen, was sie sagen, sondern alles Gesagte immer ganz anders meinen, als wir meinen, dass es gesagt wurde. Das war nur ein kleiner Spaß für die Trauergemeinde. Man muss die Hinterbliebenen ja ein bisschen aufheitern, die Zeiten sind schwer und bedrückend genug.
Auch der nette Scherz mit dem Weihwassernapf gleich neben deiner Urne liegt genau auf dieser Linie. Ganz bestimmt hat sich deine Weihwasserallergie längst bis in die Totenhalle des Itzigers Friedhofs herumgesprochen. Als uns der Zeremonienmeister also beschied „Da kënnt dir hien härno alleguer nach eng Kéier seenen“, hat er das selbstverständlich nicht so gemeint. Es war nur ein kleiner, antiklerikaler Seitenhieb. Man greift eben gern auf die lustigen Requisiten aus der pfäffischen Rumpelkammer zurück. Das ist cool, die intelligenten Gemeindeväter wissen ja genau, wie sie ein ziviles Begräbnis zu gestalten haben. „Hei héiert de klerikale Staat ni op“, hast du 2003 in einem offenen Brief geschrieben. Genau diesen Satz wollte die Hesperinger Gemeindeverwaltung mit tiefer Ehrfurcht honorieren. Alles verlief eben exakt wie in einer letzten, surrealen Manderscheid-Geschichte: bedrohlich grotesk und abgrundtief lächerlich.
Arrivederci in der Hölle, Rosch! Das höllische Gelände haben wir ja schon mal spielerisch erkundet. Dort ist es nicht nur jahraus, jahrein gemütlich warm, dort fließt nicht nur Tag und Nacht unser geliebter Battin’s Béier, dort ist vor allem auch die Heimat der endlosen Literatursalons mit unzähligen intelligenten Teufelinnen im Publikum (was wäre die Literatur ohne die wunderbaren lesenden Frauen?). Und nicht zu vergessen: in der Hölle gibt es keine Pfaffen. Wo die bleiben, müssen wir dann nicht länger erörtern. Fast hätte ich gesagt: Sie sollen alle zum Teufel fahren!