Der Konflikt in der Baubranche spiegelt die allgemeine Tendenz in den Beziehungen zwischen Sozialpartnern wider: vom Frieden zum Waffenstillstand

Streikbereit

d'Lëtzebuerger Land du 05.07.2013

Gestern Abend versammelte sich das Streikkomitee des OGBL ein erstes Mal. Bis Redaktionsschluss waren die Stimmen in einer Mehrheit der rund 20 Betrieben, in denen die Mitglieder befragt wurden, ausgezählt. Ergebnis: Über 98 Prozent Zustimmung für den Arbeitskampf, sagt OGBL-Sekretär Jean-Luc De Matteis. Bestätigt die interne Prüfungskommission das Ergebnis am heutigen Freitag, kann die Mehrheitsgewerkschaft beim Schlichtungsamt, wo die Verhandlungen um das Tarifabkommen für die Branche anhängig sind, die non-conciliation beantragen und damit den Weg für einen Streik am 17. Juli frei machen. Das kann der OGBL laut Arbeitsgesetzbuch auch, wenn der LCGB nicht mitzieht. Wie lange sie streiken werden, ob es bei einer Aktion von einem Tag bleibt, oder ob sie vor der Sommerpause länger die Arbeit niederlegen, wollten sich die OGBL-Vertreter diese Woche offen lassen. Mit dem Streik wollen sie sich gegen die Forderung der Arbeitgeber nach einer flexibleren Arbeitszeitorganisation durch eine Änderung an der Schlechtwetterbestimmungen (Congés intempéries) wehren – mehr Arbeit im Sommer, weniger im Winter. Sie würde in ihren Augen zu erheblichen Einkommenseinbußen führen würde.

Dass im Bausektor überhaupt gestreikt werden soll, hat Signalwirkung. Denn abgesehen vom Warnstreik der Stahlarbeiter von Rodingen und Schifflingen 2011, hat es schon länger keinen Streik im für seinen dauerhaften sozialen Frieden bekannten Luxemburg gegeben. Dabei ist fraglich, ob augenblicklich überhaupt noch von Frieden oder eher von Waffenstillstand die Rede sein kann. Denn die Entwicklung in der Baubranche spiegelt eigentlich nur die Situation auf Landesebene wider.

Die beiden Gewerkschaften OGBL und LCGB sind sich nicht einig. LCGB-Präsident Patrick Dury teilte auf einer Pressekonferenz am Dienstag mit, die Befragung der eigenen Mitglieder hätte nur 25 Prozent Zustimmung für einen Streik ergeben. Damit wäre das nötige Quorum von 75 Prozent nicht erreicht. Dass der OGBL in der Baubranche die Mehrheit hat, bestreitet auch die christliche Gewerkschaft nicht. Doch darüber, wie hoch sie ist, gehen die Meinungen auseinander. Der OGBL beansprucht 80 Prozent der Delegierten für sich, der LCGB sagt, das Verhältnis liege bei 60-40 Prozent für den OGBL. Wobei OGBL-Sekretär Jean-Luc de Matteis berichtet, auch LCGB-Mitglieder würden sich an der Abstimmung des OGBL beteiligen und einen Streik befürworten.

Derweil verhärten sich die Fronten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. In der neuesten OGBL-Newsletter vom 28. Juni wirft OGBL-Präsident Jean-Claude Reding die Frage auf, ob man von einer „strategischen, konzertierten Aktion“ von Seiten der Arbeitgeberverbände ausgehen müsse. Denn während die Streikvorbereitungen in der Baubranche laufen, sind die Sozialpartner zudem wegen der Tarifabkommen in der zivilen Luftfahrt beim Schlichter. Auch in der Stahl- und der Tabakindustrie, so Redings Vorwurf, werde versucht, die Krise zu nutzen, um das Rad zurückzudrehen. Die Verhandlungen im Reinigungs- und im Sicherheitsgewerbe drohten zu scheitern. „Knackpunkt ist fast überall der Wille der Arbeitgeber, die Arbeitszeiten zu verlängern oder zumindest einseitig und zu Ungunsten der Löhne und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten zu flexibilisieren“, schreibt Reding. Dahinter vermuten auch andere OGBL-Gewerkschafter ein auf UEL-Ebene abgesprochenes Vorgehen. „Totalen Quatsch“ und „völlig aus der Luft gegriffen“ nennt das Patrick Koehnen, beigeordneter Direktor der Handwerkerföderation (FDA), räumt aber ein, dass das Aménagement du temps de travail (ATT) oft Gegenstand der Verhandlungen zwischen Sozialpartnern ist. Für das Tarifabkommen der Baubranche hatten die Arbeitgeber ursprünglich eine maximale Wochenarbeitszeit bis 56 Stunden, dann 54 Stunden verlangt, um schließlich von der Forderung abzurücken, die weder mit nationalen, noch mit EU- oder internationalem Recht vereinbar ist. Auch im Rahmen der strategischen Analyse der Frachtgesellschaft Cargolux war kurzzeitig überlegt worden, ob das Arbeitsrecht nicht den Bedürfnissen der Firma angepasst werden könnte. Allein in der erweiterten Baubranche wird neben dem Tarifabkommen der Maurer um die der Fliesenleger, der Maler, der Decken- und Fassadenarbeiter, der Liftbauer, der Installateure, der Dachdecker und der Schreiner verhandelt. Alles Verhandlungen, die mehr oder weniger ins Stocken geraten sind und die zwischen 2002 und 2008 begonnen haben.

Doch auch in diesem Punkt sind sich die Gewerkschaften uneinig. Dass es sich beim Vorgehen der Arbeitgeber um eine abgesprochene Strategie handeln soll, könne er „sich nicht vorstellen“, so Patrick Dury am Dienstag. „Dann würde sich das Patronat selbst schaden.“ Ohne Tarifabkommen seien die Spielregeln für alle Parteien aufgehoben, „das wäre ja selbstmörderisch“. Denn das Tarifabkommen schütze nicht nur die Beschäftigten, sondern auch die Arbeitgeber, so Dury. Nämlich vor der Konkurrenz aus dem Ausland, die, wenn sie Aufträge in Luxemburg durchführt, die allgemein gültigen Tarifabkommen einhalten muss. Gibt es diese nicht, öffne das der Billiglohnkonkurrenz Tür und Tor, argumentiert der LGCB-Präsident. Das wissen auch die Arbeitgeber nur zu gut. „Wir wollen keinen vertragslosen Zustand“, unterstreicht Koehnen.

Die Regierung sendet ihrerseits widersprüchliche Botschaften. „D’Aarbechtsrecht gëtt net flexibiliséiert. Méi Flexibilitéit bedeit net automatesch méi Aarbecht. Ech wëll keng däitsch Verhältnisser zu Lëtzebuerg“, hatte Staatsminister Jean-Claude Juncker in seiner Rede zur Lage der Nation gesagt. Um kurz darauf hinzuzufügen: „Ënner anerem wier ech frou, wa géif driwwer nogeduecht ginn, ob et wierklech gescheit ass am Summer wann d’Wieder gutt ass an ee schaffe kann, de Betrib zouzemaachen an am Wanter wann d’Wieder schlecht ass an een net schaffe kann, sech d’Net-Schaffen deelweis vum Staat bezuelen ze loossen. Ech wier frou, wann a rouege Gespréicher kënnt iwwer d’Bäibehalen oder d’Ofschafe vum Congé collectif geschwat ginn.“

Dabei wollen auch die Arbeitgeber nicht, dass ihre Beschäftigten individuell in den Urlaub fahren können statt kollektiv, weil ihnen das die Personalplanung und die Organisation der Baustellen erleichtert. Der Regierung geht es darum, den Beschäftigungsfonds zu entlasten, der die Schlechtwetterentschädigungen für die Bauarbeiter übernimmt. Für das laufende Jahr, in dem das Wetter bis in den Frühling hinein winterlich blieb, wurden bereits 15,5 Millionen Euro ausgezahlt. 2008 waren es hingegen nur 4,2 Millionen Euro, 2007 2,9 Millionen. Für dieses Jahr ist das Ende noch nicht in Sicht. Denn noch sind nicht alle Entschädigungsanträge für die vergangenen Monate aufgearbeitet und ob das Wetter im November und Dezember das Arbeiten auf den Baustellen erlaubt, bleibt abzuwarten. Um vorzusorgen, hat man im Arbeitsministerium die maximale Anzahl der Stunden, die einer Firma jährlich entschädigt werden kann, von 350 auf 500 erhöht. Der ministerielle Erlass soll in Kürze vom Regierungsrat angenommen werden. Auf Nachfrage im Arbeitsministerium heißt es, an eventuellen Änderungen der Schlechtwetterentschädigungen beziehungsweise den Kollektivurlaubsbetimmungen werde ansonsten nicht gearbeitet.

Unterdessen fühlen sich die Mitarbeiter der Branche im Stich gelassen. Weil die Verhandlungen seit 2009 andauern, haben sie seit 2009 Nullrunden bei den Tariflöhnen gedreht. Auch diese Entwicklung liegt im allgemeinen Trend. Die Zentralbank stellte in ihrem neuesten Bulletin fest, dass ohne Index die Lohnentwicklung seit fünf Quartalen negativ sei. „Mit uns können sie es ja machen,“ so die OGBL-Personaldelegierten nach der Pressekonferenz vergangenen Freitag. „Die meisten von uns haben ja kein Wahlrecht.“

Michèle Sinner
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