Vor der Debatte um Juncker und den Srel

Chronik eines angekündigten Todes

d'Lëtzebuerger Land du 05.07.2013

„Am Tag, als sie ihn töten wollten, stand Santiago Nasar um halb sechs Uhr morgens auf, um auf den Dampfer zu warten, auf dem der Bischof kam.“ (Gabriel García Márquez, Chronik eines angekündigten Todes) Obwohl drei Viertel der Wähler ihn verantwortlich machten, verlange nur ein Drittel ­Junckers Kopf. Das sei nicht viel. So das Fazit der am Freitag von RTL vorgelesenen Ergebnisse einer Meinungsumfrage. „Für eine demokratische Gesellschaft ist es in der Tat untragbar, weil die Fäulnis des vereinnahmten Staatskörpers offenbarend“, ekelt sich Tageblatt-Leitartikler Alvin Sold am Samstag. Die Escher LSAP-Sektion setzt mit einer Pressemitteilung ihre Parteiführung unter Druck: „Die politische Verantwortung für die Missstände im SREL liegt seit 1995 beim aktuellen Staatsminister. Bestenfalls kann man annehmen, dass der Staatsminister diesen Dienst ohne die nötige Sorgfalt geführt hat. Politische Verantwortung übernehmen bedeutet aber, auch die persönlichen Konsequenzen dieser Verantwortung zu tragen. Sollten sich die verschiedenen, in den letzten Monaten enthüllten Verstöße gegen den Rechtsstaat bestätigen und das Parlament aufgrund einer demokratischen Debatte zu der gleichen Schlussfolgerung kommen, ist die LSAP Esch der Meinung, dass Neuwahlen unausweichlich sind.“ Auch LSAP-Präsident Alex Bodry rechnete in einem Radiointerview ab: „Der Staatsminister muss die politische Verantwortung für die Dysfunktionen im Srel übernehmen? – Ja! Es kommt meiner Meinung nach noch dieses Jahr zu vorgezogenen Neuwahlen? – Ja, aber eine hohe Fehlerquote in dieser Prognose. In der LSAP werden diese Neuwahlen schon vorbereitet? – Ganz knapp.“ „Das hier ist eine ganz verfaulte Lage und die ist dabei, immer fauler zu werden, und es fault munter vor sich her“, ekelt sich RTL-Journalist Nico Graf am Sonntag im Fernsehen. CSV-Abgeordneter Paul-Henri Meyers: „Ich könnte mir vorstellen, dass das, was die Wähler gesagt haben, auch eintreten würde. Das heißt, dass es nicht zu Neuwahlen kommen würde.“ Das deutsche Magazin Der Spiegel meldet am Montag: „Dem Premierminister, oberster Dienstherr der Agenten, wird vorgeworfen, Informationen zu der Affäre nicht an Parlament und Ermittler weitergeleitet zu haben. Junckers Büro wurde bereits zweimal von der Staatsanwaltschaft durchsucht, auch vor einem Untersuchungsausschuss musste der Premier schon aussagen.“ „Ach, bis jetzt – das muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen –, wenn der Text festgehalten wird, mit der Verantwortung, die ganz klar festgestellt ist...“, kaut der grüne Berichterstatter François Bausch nach der Sitzung des Ermittlungsausschusses auf den Wörtern. „Ich glaube, dann braucht man bloß in der Geschichte zu schauen: Alle Minister, wo das bisher der Fall war, die haben von sich aus die Konsequenzen selbst gezogen.“ „Clotilde Armenta tauchte hinter Pablo Vicario auf und schrie Cristo Bedoya zu, er solle sich sputen, denn in diesem Dorf von schwulen Memmen könne nur ein Mann wie er die Tragödie verhindern. Alles, was dann geschah, ist allgemein bekannt. Die Leute, die vom Hafen zurückkehrten und durch das Geschrei aufmerksam geworden waren, nahmen auf der Plaza Aufstellung, um dem Verbrechen beizuwohnen.“ (Gabriel García Márquez, Chronik eines angekündigten Todes) Am Dienstag kündigt die CSV in der Agenda auf ihrer Internet-Seite an: „Braderie zu Rodange. D’CSV Péiteng invitéiert Iech den 2/07 op hire Stand op der Braderie zu Rodange.“ „Es gehört zu den parlamentarischen Gepflogenheiten“, bemüht sich DP-Fraktionssprecher Claude Meisch am Mittwoch um Zurückhaltung, „dass der Staatsminister die Gelegenheit erhält, sich zu erklären. Erst dann wollen wir uns festlegen.“ Ausschusspräsident Alex Bodry drohte: „Der Premier wird sich, glaube ich, schon von Ausschussmitgliedern informieren lassen. Ich meine, er weiß, in welche Richtung das dann geht.“ Müde hatte Premier Jean-Claude am 13. Juni vor dem Parlament gestanden und angekündigt: „Ich will heute schon sagen, dass ich mich meiner politischen Verantwortung nicht entziehen werde. Ich finde niemand anders, der dafür verantwortlich gemacht werden kann. Und wenn die Kammer zum gegebenen Zeitpunkt der Auffassung ist, dass ich da Sachen nicht richtig gemacht habe, ich hätte mich schuldig gemacht, ich wäre Schuld an vielem, was da nicht richtig ging, ja, dann muss man daraus die politischen Schlussfolgerungen ziehen, die normalerweise in einem solchen Fall gezogen werden. Ich laufe in dieser Sache nicht vor meiner Verantwortung davon, und wenn es so weit ist, dann stelle ich mich dieser Verantwortung.“ Dann hatte er das Rednerpult verlassen. „Santiago Nasar hätte nur noch wenige Sekunden gebraucht, um ins Haus zu gelangen, als sich die Tür schloss. Er konnte gerade noch mehrmals dagegen hämmern, dann wandte er sich um und stellte sich mit bloßen Händen seinen Feinden. [...] „‚Santiago, mein Junge‘, schrie sie ihm zu. ‚Was ist mir dir!‘ Santiago erkannte sie. ‚Sie haben mich getötet, Fräulein Wene‘, sagte er. Er stolperte auf der letzten Stufe, richtete sich aber sofort wieder auf.“ (Gabriel García Márquez, Chronik eines angekündigten Todes)mai

Romain Hilgert
© 2024 d’Lëtzebuerger Land