Luxemburg in Cannes

Der unsichtbare Eine

d'Lëtzebuerger Land du 20.05.2010

North by Northwest ist ein alter Hitchcock-Klassiker. Im Deutschen hieß er Der unsichtbare Dritte und avancierte zu einem Lieblingsfilm von François Biltgen (CSV), luxemburgischer Minister, unter anderem zuständig für Medien, Kommunikation und Hochschule. Er reiste am vergangenen Wochenende – wegen angekündigter Regenschauer mit Regenschirm – an die Côte d’Azur, um sich im gleißenden Sonnenschein der diesjährigen Ausgabe des Filmfestivals von Cannes wiederzufinden. Eine Rolle, die Biltgen nicht unbedingt behagt, die er aber nutzt. Denn der Minister weiß, wie er den luxemburgischen Film in Szene zu setzen hat. Dass er dabei nicht unbedingt die Hauptrolle spielen muss, ist ihm nur lieb.

François Biltgen ist ein wenig der unsichtbare Eine, der ohne achtzig Badges um den Hals seine Wichtigkeit demonstriert, sondern mit klaren Worten das Drehbuch für die Filmwirtschaft in Luxemburg schreibt. Dabei profitiert er von den Erfahrungen, die er auch in einem seiner vorherigen Ressorts, dem Arbeitsministerium, sammelte. Biltgen erkennt das Potenzial, das der Filmwirtschaft heutzutage innewohnt. Es geht nicht darum, wunderbare Dinge auf die Leinwand zu zaubern, sondern es geht vielmehr um handfestere Interessen: um Arbeitsplätze. Biltgen hat eine klare Vorstellung davon, dass das Metier nicht nur aus anstrengenden Diven, gelangweilten Tonassistenten und überkandidelten Regisseuren besteht, sondern dass die Produktion eines Films – vom Kostümbildner bis zur Cutterin – viele Menschen beschäftigt. Darin sieht er die Chancen, dem Großherzog ein anderes Image inklusive wirtschaftlichem Standbein zu geben. Das Land ist nicht immer nur Kochkäse und Billigtanken, und „Films made in Luxembourg“ sind nicht irgendwelche Spielereien eines Kulturministers, sondern mit ökonomischen Vorteilen für das Land verbunden. Denn die Industrie bindet vor allem auch junge, gut ausgebildete Arbeitskräfte. Derzeit sind es bereits 500 Jobs, die der Sektor geschaffen hat. Tendenz: zunehmend.

So ganz nebenbei zieht François Biltgen auch eine wichtige Konsequenz aus der Finanz- und Wirtschaftskrise. Wenn die Zeiten schlecht sind, dann will der Mensch unterhalten werden. Warum nicht dabei mitmischen? Und schwelgen! Der luxemburgische Minister ist sich sicher, dass in Cannes der eine oder andere gute Film läuft, den er sich gerne anschauen würde, aber noch wichtiger sind ihm die Länderpavillons, die sich am Mittelmeer­strand aufreihen. Dort lassen sich Kontakte knüpfen. „Wir brauchen noch weitere Kooperationsabkommen“, gibt Biltgen unumwunden als einen Grund für seine Reise ans Mittelmeer an, und sieht sich innerlich schon beim Pavillon-Nachbarn Kanada oder Irland. Solche Abkommen sind wichtig, denn es reicht nicht, Filmen ein luxemburgisches Sujet aufzukleben. Luxemburg braucht im internationalen Filmgeschäft die Welt – mit den Kinogängern in Luxemburg allein lässt sich kein Filmprojekt rechtfertigen – und die Welt braucht Luxemburg, nicht nur als Geldgeber, sondern auch als Ideenschmiede und Expertenstandort. Biltgen promoted sein Land ruhig und unaufdringlich, aber nicht weniger eindringlich.

Dennoch wird Zeit bleiben für den luxemburgischen Beitrag. Auch wenn es in diesem Jahr nichts werden wird, hegt Medienminister Biltgen einen nicht unbescheidenen Wunsch: eine Palme für das Großherzogtum. Ohne zwischen Halbtotaler und amerikanischer Einstellung entscheiden zu sollen, weiß er, dass Filmemacherei zwischen künstlerischem Anspruch und Erfolg an den Kinokassen lavieren muss. Schön, wenn beides zusammen kommt, was selten genug der Fall ist. Filme müssen zunächst Kasse machen, nicht nur an der Kinokasse, sondern auch im DVD-Nachgeschäft und mit vermarkteten Fernseherechten. Es wird keine Filmerei ins Blaue geben – auch wenn diese noch so malerisch ist. Doch wenn sich einer mit einem überzeugenden Drehbuch und einer guten Geschichte daran wagt, dann steht die Unterstützung des Ministers. Denn dann wird dieser Film vielleicht sogar international reüssieren können und doch den einen oder anderen Preis eines wichtigen Festivals einheimsen. Für das Renommee ist Cannes da, denn das bringt nicht nur wichtige Trophäen, sondern auch weitere Möglichkeiten bei der Finanzierung von Filmprojekten.

Luxemburg will ein Stern im international anerkannten Filmgeschäft werden, ein mutiger und weiser Schritt für das Großherzogtum; wenn die Politik dies mit der gleichen stillen, beharrlichen und weitsichtigen Leidenschaft macht wie Medienminister Biltgen, wird die Goldene Palme von Cannes kein bloßes Wunschdenken mehr sein. Und Biltgen lächelt, mit der gleichen Verschmitztheit mit der seine Lieblingsschauspielerin Katherine Hepburn in ihren Screwball comedies mit Cary Grant. Sie wusste, dass sie ihn früher oder später wird kriegen, so wie ein luxemburgischer Film die Goldene Palme von Cannes.

Martin Theobald
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