Zehn Jahre Südspidol: Eine Chronologie des Scheiterns

Avantgarde

d'Lëtzebuerger Land du 17.09.2021

Rückblick Eigentlich sollten auf dem Gelände der einstigen Schrebergartenanlage Elsebréch zumindest schon die Umrisse des neuen Südspidols zu erkennen sein. Bislang ist das acht Hektar große Grundstück aber nichts weiter als eine Brache. Vor zehn Jahren hatte der Regierungsrat den Bau genehmigt, der die drei Standorte des Centre hospitalier Emile Mayrisch (Esch/Alzette, Düdelingen, Niederkorn) in einer modernen und effizienten Krankenhausanlage zentralisieren soll. 2012 wurde das Großprojekt offiziell von der damaligen Escher Bürgermeisterin Lydia Mutsch (LSAP) vorgestellt. Ein Jahr später wurde Mutsch Gesundheitsministerin. Bis 2020 sollte das Südspidol stehen, doch es kam immer wieder zu Verzögerungen.

Im Oktober 2015 ging das Konsortium Health Team Europe (HTE) als Gewinner des europäi-schen Architektenwettbewerbs hervor. Neben dem österreichischen Architektenbüro von Albert Wimmer gehören auch der britische Landschaftsplaner Martha Schwartz Partner sowie die luxemburgischen Ingenieurbüros Felgen et Associés und Schroeder & Associés dem Health Team Europe an. Die Fertigstellung war inzwischen ins Jahr 2023 verschoben worden. Im Juli 2017 wurde Wimmers Entwurf für das Südspidol auf dem Weltkongresses für Design und Gesundheit mit dem International Academy Award in der Kategorie Future Healthy Built Environment Project prämiert.

Im Juli 2018 nahm das Parlament das Finanzierungsgesetz für das Südspidol einstimmig an. Abgeordnete aller Parteien schwärmten von dem avantgardistischen Projekt, bei dem Ein-Bett-Zimmer zur Regel würden, viel Wert auf „personalized and predictive Medicine“ gelegt werde und Synergien mit der Uni Luxemburg fest eingeplant seien. Laut Gesetz übernimmt der Staat 80 Prozent der Baukosten, insgesamt 433,5 Millionen Euro (nach derzeitigem Bauindex sind es 522 Millionen Euro). Die restlichen 20 Prozent soll die CNS bezahlen. Die Öffentlichkeit finanziert aber nur den Bau der drei Hauptgebäude. Der frühere CHEM-Direktor Michel Nathan hatte zusätzlich ein Ärzte-
haus eingeplant, in dem die im CHEM Dienst leistenden Mediziner krankenhausnahe Praxisräume anmieten könnten. Dieses Ärztehaus und ein dazu gehörendes Parkhaus, die beide vom Escher Architekten Jim Clemes gebaut werden sollen, will die CHEM-Stiftung selbst vorfinanzieren und die Kosten durch die Mieteinnahmen decken.

Gesundheitspolitik Fünf Wochen bevor das Finanzierungsgesetz gestimmt wurde, hatte das Wort über einen Bauskandal um das Krankenhaus Nord in Wien berichtet, in den mutmaßlich auch der Südspidol-Architekt Albert Wimmer verwickelt gewesen sei. Mangelnde Erfahrung und eine zu große Nähe zur in Wien regierenden SPÖ wurden ihm in einem Bericht des Rechnungshofes vorgeworfen. Infolgedessen setzte die Stadt Wien eine Untersuchungskommission ein, deren im April 2019 veröffentlichter Bericht Wimmer von den Vorwürfen entlastete. Politische Einflussnahme bei der Auftragsvergabe wurde in dem Bericht ebenso widerlegt wie eine Mitschuld Wimmers an der Kostenexplosion. Stattdessen wurde festgehalten, dass die Planung und Umsetzung des Projekts von einem „Generalplaner“ hätte übernommen werden müssen, der sämtliche Prozesse überblickt. Dies wurde in Wien jedoch versäumt.

Der gleiche Fehler passierte offenbar beim Südspidol. Nach der Pensionierung von Michel Nathan übernahm Hansjörg Reimer im Januar 2018 die Generaldirektion des CHEM. Nathan willigte aber ein, sich vorerst noch gemeinsam mit Reimer um die Planung des Südspidols zu kümmern. Nach Ablauf seiner Probezeit erklärte Reimer Mitte 2018 das Südspidol zur „Chefsache“. Nathan zog sich immer weiter zurück, bis er Ende 2019 ganz aufhörte. Was auch daran lag, dass Reimer sich zu sehr mit der Ärztevereinigung AMMD eingelassen hatte. Deren Präsident Alain Schmit, Gas-troenterologe am CHEM, unterhielt lange Zeit ein angespanntes Verhältnis zu Nathan. Dabei standen vor allem unterschiedliche Auffassungen über das Gesundheitswesen im Mittelpunkt. Die AMMD kritisiert seit Jahren, das Luxemburger System sei zu „spitallastig“ und spricht sich für private Behandlungszentren aus, in denen Ärzte andere Ärzte beschäftigen können. Der in der Zwischenzeit auch zum Gesundheitsminister avancierte Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP) hatte diese als Modernisierung des Gesundheitswesens angepriesene Out-of-Hospital-Strategie unterstützt und sie 2018 in den Koalitionsvertrag der Regierung einschreiben lassen. In den kommenden Wochen will Schneiders Nachfolgerin Paulette Lenert (LSAP) ihren Gesetzentwurf für die Gründung kommerzieller Ärztegesellschaften im Parlament hinterlegen.

Nachdem die frühere Escher Bürgermeisterin und heutige LSAP-Oppositionsrätin Vera Spautz, zugleich Verwaltungsratsmitglied beim CHEM, im Dezember 2019 im Gemeinderat preisgegeben hatte, dass Reimer unter dem Einfluss der AMMD mutmaßlich medizinische Dienste aus dem Südspidol auslagern wolle, war schon klar, dass der Generaldirektor nicht mehr haltbar sein würde. Reimer sei mindestens zwei Mal ohne Mandat des Verwaltungsrats nach Wien gefahren, um sich mit Wimmer zu treffen, heißt es aus krankenhausnahen Quellen. Um was es bei diesen Treffen genau ging, ist wegen fehlender Sitzungsprotokolle nicht bekannt.

Exklusiv Ab 2017 haben das Gesundheitsministerium und die Leitung des CHEM mehrere tiefgreifende Änderungen am Projekt Südspidol vorgenommen; und das obwohl das detaillierte Vorprojekt bereits abgeschlossen war. Ferner hat das CHEM in den vergangenen Jahren ganze 115 kleinere Änderungen beantragt, über die zum Teil noch nicht entschieden wurde. Dadurch musste etwa die Hälfte der Planungen von HTE überarbeitet werden. Diese Änderungen waren wohl der Hauptgrund, weshalb die Kosten um 15 Prozent überschritten wurden und es immer wieder zu Verzögerungen beim Baubeginn kam. Vieles deutet darauf hin, dass der Verwaltungsrat des CHEM über diese Änderungen nicht immer in Kenntnis gesetzt wurde oder nicht viel davon hielt. Auf jeden Fall wurden Entscheidungen darüber immer wieder vertagt. Erst im August 2020 wurde Reimer vom Verwaltungsrat kaltgestellt. Schon damals wurden Vorwürfe laut, der Verwaltungsrat habe zu lange gezögert, der CHEM-Präsident und Escher Bürgermeister Georges Mischo (CSV) habe sich zu lange hinter Reimer gestellt.

Nach Reimers Rücktritt wurde Finanzdirektor Daniel Cardao übergangsweise zum Generaldirektor ernannt. Schon kurz darauf begann er damit, die Arbeit von HTE zu hinterfragen. Bereits Anfang 2020 (also noch unter Reimer) hätten Schweizer Experten ein Audit durchgeführt, das Probleme in der Ausführungsphase aufgezeigt habe, sagte der aktuelle CHEM-Direktor René Metz vor zehn Tagen auf Radio 100,7. Wimmer habe aber höchstpersönlich eingegriffen und um eine letzte Chance gebeten, meinte Metz, der die Hinauszögerung der Vertragskündigung damit rechtfertigte, dass man Wimmers Charme wohl zu lange erlegen sei.

Im Laufe dieses Jahres wurde die Entscheidung, sich von Wimmer zu trennen, dann immer konkreter. Im Februar setzte das CHEM Task-Forces ein, die von Mitarbeitern des Bauberaters Paul Wurth Geprolux geleitet wurden, den das CHEM damit beauftragt hatte, die Bau- und Kostenentwicklung im Auge zu behalten. René Metz hat im Januar 2021 die Leitung des CHEM übernommen. Mit Sam Saberin wurde ihm ein Generalkoordinator für das Südspidol zur Seite gestellt. Beide waren vorher im CHL tätig. Der Neurologe Metz, Sohn des früheren CHL-Direktors und CSV-Politikers Henri Metz und Bruder der grünen Europa-Abgeordneten Tilly Metz, war von 2006 bis 2011 Präsident des Collège Médical und von 2012 bis 2017 stellvertretender medizinischer Direktor im CHL. Saberin war von 2013 bis 2019 Koordinator der Bauprojekte (er hat unter anderem die Planung des neuen CHL-Gebäudes begleitet). Saberins Einstellung sei viel zu spät erfolgt, sagen Kritiker. Ein Generalkoordinator für das Südspidol hätte spätestens nach dem Rückzug von Michel Nathan Ende 2019 ernannt werden müssen. Das CHEM begann aber erst Mitte 2020 mit der Suche.

Vor zwei Wochen gab das CHEM bekannt, dass es den Vertrag mit HTE kündigen werde. Der aktuelle Generaldirektor nannte drei Gründe, die ihn und den Verwaltungsrat schließlich zu dieser Entscheidung bewogen hätten. Keine vernünftige Zeitplanung für den Bau, unzuverlässige und widersprüchliche Angaben bei der Kostenaufstellung und eine ungenügende Begleitung durch HTE bei der Umsetzung vor Ort. HTE bestreitet diese Vorwürfe.

Viele Vorarbeiten, die HTE geleistet habe, seien gut und könnten weiter verwertet werden; nicht das architektonische Konzept werde vom CHEM in Frage gestellt, sondern die Kapazität von HTE zur Umsetzung, sagte Metz auf Radio 100,7 und zeigte sich optimistisch, dass man ein erfahrenes Architektenbüro finden werde, das den Auftrag weiterführt (weder René Metz noch Georges Mischo wollten sich in dieser Woche auf Land-Nachfrage zum Südspidol äußern). Nach offi-ziellen Berechnungen des CHEM wurden bislang insgesamt 37,8 Millionen Euro in das Südspidol investiert, davon flossen 14,4 Millionen an HTE.

Folgen Dass HTE die Vertragskündigung ohne Weiteres hinnehmen wird, ist zu bezweifeln. Land-Informationen zufolge argumentiert HTE, dass nicht das Baukonsortium, sondern der Bauherr die Verträge verletzt habe und kritisiert die mangelhafte Projektführung beim CHEM. Tatsächlich hatte HTE seit Projektbeginn mit vier verschiedenen Generaldirektoren, zwei unterschiedlichen Verwaltungsratspräsident/innen und drei Gesundheitsminister/innen zu tun. Mit den nun erhobenen Anschuldigungen und Vorwürfen versuche das CHEM lediglich, einen Sündenbock für die aktuelle Misslage zu finden und suche nacheinem Vorwand, um einen neuen Vertrag mit einem andren Architekten abschließen zu können. Schließlich gehen die Anwälte von HTE davon aus, dass es keine legale Grundlage dafür gibt, den bestehenden Vertrag zu kündigen und das Projekt neu auszuschreiben.

Anfang 2016 hatte HTE die Anwaltskanzlei Schiltz & Schiltz des früheren CSV-Ministers und aktuellen Präsidenten der Krankenhausstiftung Hôpitaux Robert Schuman, Jean-Louis Schiltz, damit beauftragt, das Konsortium in juristischen Fragen zu beraten. Nach der Kündigung des Vertrags durch das CHEM hat Schiltz & Schiltz sich aber nun ebenfalls zurückgezogen und fungiert seit dieser Woche nicht mehr als Berater von HTE, wie die Kanzlei dem Land bestätigte. Als Grund nennt sie mögliche Interessenkonflikte bei einem Rechtsstreit. Die Zusammenarbeit sei im Einvernehmen beendet worden.

Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem langwierigen Rechtsstreit kommen wird, ist demnach groß. Spätestens wenn die Frage nach der politischen Verantwortung gestellt wird, könnte das Südspidol für den Präsidenten des Verwaltungsrats zu einem Fiasko werden. Auch kommunikationstechnisch macht Mischo keine gute Figur. Auf Land-Nachfrage teile der Präsident mit, dass Metz der Ansprechpartner in Sachen Südspidol sei. Wurde ihm vor zwei Jahren vorgeworfen, Reimer unberechtigterweise in Schutz zu nehmen, entsteht nun der Eindruck, dass er sich hinter Metz versteckt.

Offene Fragen Vor zwei Wochen stellte René Metz einen neuen Zeitplan vor, der von einer Fertigstellung des Südspidols im Jahr 2030 oder 2031 ausgeht. Es ist jedoch fraglich, ob dieser Zeitplan angesichts der aktuellen Situation überhaupt realistisch ist. Derweil bleiben noch eine Reihe anderer Fragen offen, die weder Metz noch Mischo dem Land beantworten wollten. Je nachdem wie hoch die Kostenüberschreitung ausfällt, könnte ein neues Finanzierungsgesetz für das Südspidol benötigt werden. Ob das obligatorische Concept médical, das dem Gesetz von 2018 zugrunde lag, noch aktuell ist, darf bezweifelt werden. Ob bereits ein neues Konzept vorliegt, ist unklar. Metz sprach im Radio 100,7 davon, dass man noch „ganz viele Projekte“ im Rahmen der ambulanten Wende umsetzen wolle. Auch müssten „Sachen in den Notaufnahmen“ verbessert und die Barrierefreiheit sowie die Digitalisierung vorangetrieben werden. In Niederkorn wolle man ein „Projet dédié fir d’Chirurgie ambulatoire“ einrichten. Für die CHEM-Standorte Niederkorn und Düdelingen, die nach der Eröffnung des Südspidols eigentlich geschlossen werden sollten, läuft die Betriebsgenehmigung 2025 aus. Damit die Gewerbeinspektion die Genehmigung verlängert, müssen vor allem in Niederkorn strukturelle Anpassungen durchgeführt werden, was erhebliche Zusatzkosten verursachen dürfte (vgl. d’Land vom 04.09.2020).

Die Kündigung des Vertrags mit HTE hat auch Auswirkungen auf das Ärztehaus und das Parkhaus. Ein Vertrag mit dem Architekten Jim Clemes, der die öffentliche Ausschreibung vor drei Jahren gewonnen hat, wurde bis heute nicht unterzeichnet. Vergangenes Jahr wurde der Vertrag zwar vom Verwaltungsrat des CHEM zur Unterzeichnung freigegeben, doch weil das Raumprogramm durch die Kündigung des Vertrags mit HTE in Frage gestellt ist, hat Metz beschlossen, auch das Ärztehaus mit Clemes neu zu diskutieren und den Vertrag vorerst offen zu lassen. Weil es lange Zeit hieß, der Baubeginn stehe unmittelbar bevor, hat Clemes eigens Mitarbeiter frei gestellt, die sich um dieses für sein Büro doch recht umfangreiche Projekt kümmern sollten. Diese Kompetenzen bleiben nun ungenutzt. Ob das Konzept des von der AMMD wiederholt kritisierten Ärztehauses inzwischen in Frage gestellt ist oder ob es beibehalten wird, bleibt ebenfalls offen. Unklar ist auch, ob das Militärkrankenhaus, das der Staat voraussichtlich auf dem Gelände des Südspidols bauen will (die Resultate der Machbarkeitsstudie stehen noch aus), umgesetzt werden kann. Andere Krankenhausgruppen werden sich des vom Nato-Budget mitfinanzierten „Lazaretts“ sicherlich dankend annehmen.

Luc Laboulle
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