Das Gesetz, das die Grundlage bilden soll, die tausendfache Überwachung unbescholtener Bürger durch den Geheimdienst aufzuklären, trägt die Handschrift des Srel

Selbstkontrolle

d'Lëtzebuerger Land du 14.08.2015

Er habe den Eindruck, dass mit dem Gesetzentwurf zur historischen Aufarbeitung der Geheimdienstarchive „der Bock zum Gärtner“ gemacht wurde, schrieb Abbes Jacoby am Mittwoch verärgert auf den sozialen Netzen Facebook und Twitter. „So wie sich das jetzt liest, scheint es, also ob sich der Srel quasi selbst evaluiert. Von Unabhängigkeit kann keine Rede sein“, empört sich der ehemalige grüne Generalsekretär gegenüber dem Land.

Fast drei Jahre nach der Enthüllung, dass der Luxemburger Geheimdienst Srel mindestens bis 2001, vielleicht sogar darüber hinaus, tausende politisch aktive Personen und Organisationen überwacht und ausgehorcht hat, soll nun die gesetzliche Grundlage für die geschichtliche Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels des Srel kommen. Zunächst war von 30 000 Akten die Rede, später schrumpfte die Zahl auf rund 5 000 Akten. Weil das Datenschutzgesetz in Luxemburg einen hohen Schutz persönlicher Daten vorsieht und damit nicht wertvolle Daten zerstören werden müssen, ist das Spezialgesetz nötig.

Doch der 20-seitige Entwurf aus dem Staatsministerium wirft viele Fragen über die Rolle des Srel bei der Aufarbeitung auf. Das dem Entwurf beigefügte technische Formular nennt Patrick Heck, den aktuellen Geheimdienstchef, als alleinigen Autor. Stimmt nicht, sagt Paul Konsbrück, Sprecher des Staatsministers auf Land-Nachfrage. Alles nur ein „Missverständnis“ – eine Mitarbeiterin habe den Bogen falsch ausgefüllt. Eine Arbeitsgruppe, bestehend aus Mitarbeitern des Srel, sowie Beamten und Juristen des Staatsministeriums, teilten sich die Autorenschaft. Doch auch mit dieser Richtigstellung bleibt die Stellung des Srel dominant.

Im Motivenbericht heißt es, es gehe darum, die Empfehlungen der parlamentarischen Kontrollkommission vom Juli 2013 umzusetzen. Konkret soll geprüft werden, ob der Geheimdienst „a pendant la période visée, effectué un espionnage de la vie et des activités politiques à Luxembourg ou s’il s’est tenu à l’observation des menaces contre l’État luxembourgeois telles que les menaces se présentaient pendant la Guerre Froide“. Das wurde auch Zeit. Nachdem das Land die Spitzeleien übereifriger Srel-Agenten im Winter 2012 publik gemacht hatte und sich die blaue und grüne Opposition über die massenhaften Abhöraktionen gegen unbescholtene Bürger empörte, war es um die Affäre still geworden.

Dem Entwurf zufolge würden zwei Historiker (mindestens) die beiden Archive durchforsten, jenes aus den Räumen des Srel, das nach der Enthüllung versiegelt und ins Nationalarchiv überführt wurde und aus Mikrofilmen sowie Karteikarten besteht. Und das Back-up-Archiv im Senninger Schloss, das ebenfalls von der Justiz beschlagnahmt und vor zwei Wochen ans Nationalarchiv weitergegeben wurde. In einem Panzerschrank lagern Kopien (die Originalakten sollen verschwunden sein) der Observationsberichte, Protokolle und Akten über vermeintlich verdächtige Personen und Organisationen. Nur ausgewählte Mitarbeiter des Nationalarchivs und des Srel besitzen einen Schlüssel. Es gilt das Vier-Augen-Prinzip: Keiner hat ohne den anderen Zutritt, jeder Besuch wird protokolliert.

Wer die Wissenschaftler sein werden, die sich für das mit rund 600 000 Euro dotierte Forschungsprojekt zwei Jahre lang durch die Dokumente arbeiten werden, ist ebenso unklar, wie ihr Profil. Es ergebe sich „aus der Natur der Recherche“, dass nur „qualifizierte, diplomierte und erfahrene Historiker“ für die Aufgabe in Frage kämen, heißt es aus dem Staatsministerium, das davon ausgeht, dass es „in Luxemburg und auch in der Großregion Historiker gibt, die über die nötigen Kenntnisse und Erfahrung verfügen“.

Die Forscher sollen prinzipiell Zugang zu allen geheimen und nicht geheimen Srel-Dokumenten aus jener Zeit bekommen, allerdings hat der Direktor des Srel, der Eigentümer des Archivs bleibt, das letzte Wort. Die Akten jener Dienste, mit denen der Srel etwa in den 1970-er Jahren oder auch schon früher im In- und Ausland zusammenarbeitete, also von Gendarmerie, Polizei und Armee, bleiben außen vor. Dabei wären sie für ein umfassendes Verständnis der Rolle des Luxemburger Staats, das Zusammenspiel seiner Institutionen und möglicher Geheimarmeen im Kalten Krieg wichtig (Stichwort: Gladio).

Den Historikern guckt ein Komitee über die Schulter, das aus sechs Mitgliedern bestehen soll: zwei vom Rektor ausgesuchte Historiker der Universität Luxemburg, zwei Vertreter der Abgeordnetenkammer, sowie zwei Vertreter der Regierung, davon je ein Beamter des Nationalarchivs und einer des Srel. Es sei kein Direktionskomitee, sondern ein „beratendes“ Gremium, betont das Staatsministerium. Es soll, so steht es im Entwurf, die „Pertinenz“ der Forschungsprojekte analysieren. Worin der besondere Sachverstand der Komiteemitglieder besteht, um die „Pertinenz“ der wissenschaftlichen Projekte bewerten zu können, lässt der Text offen. In der Forschung sind im Allgemeinen wissenschaftliche Beiräte üblich.

Der Zeitraum, auf den sich die Forscher konzentrieren, ist klar begrenzt und bezieht sich ausschließlich auf Dokumente aus dem Srel-Archiv von der Gründerzeit 1960 bis 2001. Warum bis dahin, und nicht darüber hinaus, begründen die Autoren nicht. Doch gab es Hinweise darauf, dass die Überwachung der Schlapphüte über das Jahr 2001 hinausgereicht haben könnte (siehe d’Land vom 30.08.2013).

Das „Evaluierungskomitee“ soll überdies von einem Vertreter der Regierung geleitet werden, genauer: des Geheimdienstes. Theoretisch könnte das der Srel-Direktor selbst sein. Ministeriumssprecher Konsbrück betont, das stehe so nicht im Text. Es ist jedoch auch so schon bemerkenswert, dass der Vorsitz ausgerechnet an Beamte jener Institution gehen soll, deren Machenschaften aufgeklärt werden sollen. Dem Staatsministerium zufolge geht es zum Teil um Dokumente, die einen „speziellen Charakter haben“. Der Geheimdienst könne „eine professionelle Bewertung garantieren, wenn es um technische Fragen geht“. Die Forscher können sich auf eigenen Wunsch hin von Experten des Geheimdienstes beraten lassen. Von anderen Beratern ist keine Rede. Auf Nachfrage präzisiert das Ministerium, externe Experten seien „absolut nicht ausgeschlossen“.

Technisches Knowhow und Details sind wichtig, daraus lassen sich gegebenenfalls Rückschlüsse auf Spitzelmethoden, Rekrutierungsmuster und ähnliches ziehen. Doch leider schweigt sich der Entwurf über die Erforschung der Hintergründe der offiziellen und inoffiziellen Srel-Mitarbeiter jener Zeit aus. Es sei „evident, dass Ursachen und Hintergründe von Dokumenten, die sich in den Archiven befinden, hinterfragt werden müssen“, so das Staatsministerium. Der wissenschaftliche Auftrag sei noch nicht abschließend definiert.

Der Motivenbericht zitiert die parlamentarische Kontrollkommission, wonach Ziel der Aufarbeitung sei, „à combler ces lacunes historiques de l’information et en même temps de mettre en valeur la qualité et le contenu de l’information des agents du Service“. Diese Lösung „permettra (...) de participer aux efforts à déployer en vue de normaliser le rôle et au-délà, l’image du SREL“. Die Existenzberechtigung des Dienstes wird nicht hinterfragt – und soll auch nicht in Frage gestellt werden. Im Gegenteil.

Der Abschlussbericht darf aus Datenschutzgründen und um keine Persönlichkeitsrechte zu verletzen, keine persönlichen Angaben über Einzelpersonen und Dritte enthalten, noch über andere sicherheitsrelevante Informationen, die etwa ausländische Geheimdienste betreffen. Aber was bedeutet das für Spitzel und Hintermänner der tausendfachen Lauschangriffe, die vielleicht Karriere gemacht haben und heute noch in den Rängen des Staats aktiv sind? Was sagt es über die moralische und politische Verantwortung aus, wenn Täter nicht benannt werden dürfen?

Als in Deutschland die Vergangenheit der DDR-Staatssicherheit untersucht wurde, war die Frage der Persönlichkeitsrechte Dritter heiß umstritten. Ehemalige hochrangige Stasi-Spitzel klagten damals unter Berufung auf ihre Persönlichkeitsrechte gegen ihre namentliche Nennung in Ausstellungen und Büchern, obwohl sie selbst jahrelang Menschen ausspioniert, ihre Umgebung infiltriert und teilweise Lebensläufe und Familien zerstört hatten. Glücklicherweise werteten die Richter das Recht auf Forschung und Lehre sowie das Recht auf Meinungs- und Informationsfreiheit höher und erlaubten die Namensnennung. Eine historische Aufarbeitung, die unabhängig und glaubwürdig sein will, muss beide Seiten in den Blick nehmen: Opfer und Täter.

Verständlich, wenn bei den vielen Medienberichten über Verfassungsschützer, die keine Transparenz wollen und sie sogar verhindern, Betroffene wie der Grüne Abbes Jacoby, heute fürchten, mit dem Gesetzentwurf werde der Bock zum Gärtner gemacht. Der Srel hat selbst zum anhaltenden Misstrauen beigetragen: Der Vorstoß von Srel-Chef Patrick Heck im Sommer 2013, einen Teil der Geheimdienstakten angeblich aus Datenschutzgründen zerstören zu wollen, obschon sich Mitglieder der parlamentarischen Kontrollkommission klar gegen eine Zerstörung aussprachen und das Datenschutzgesetz des Srel noch gar nicht im Kraft war, zeigt, wie unterschiedlich die Interessenlagen bei der Aufarbeitung sind. Schon deshalb darf der Srel keine leitende Rolle im Aufklärungsprozess spielen. Wenn die Regierung eine unabhängige Aufarbeitung will, muss sie alles dafür tun, dass jeder noch so kleine Verdacht, der Srel könnte die Arbeit zu seinen Gunsten beeinflussen, vermieden wird.

Unklar ist auch, was mit den Dokumenten nach der Aufarbeitung geschehen soll. Nach wie vor ist vorgesehen, dass Dokumente, die die Rechte von Personen betreffen, zerstört würden. Doch der entscheidende Paragraf fehlt im Gesetzentwurf. Dort steht lediglich, dass sowohl Nationalarchiv und Srel entsprechende Entscheide unterschreiben müssen. Wie die Klassifizierung vorgenommen wird und was geschieht, wenn es Meinungsverschiedenheiten gibt bei der Einschätzung, welche von den Dokumenten von „nationalem Interesse“ sind und der Nachwelt erhalten bleiben sollen, ist unklar. Das Staatsministerium teilt auf Nachfrage mit, die Klassifizierung entscheide die Regierung „in enger Absprache“ mit der zuständigen Parlamentskommission nach der historischen Aufarbeitung. Doch was ist mit Folgestudien? Die Interpretation von geschichtlichen Ereignissen kann sich im Laufe der Zeit verändern.

Fast scheint es, als wollte die Regierung das unrühmliche Kapitel der Srel-Geschichte schnell – und für immer – abschließen. Warum wurde der Text während der Sommerferien hinterlegt, wenn alle Abgeordneten im Urlaub sind? Die Srel-Affäre war in ihrer Dimension einzigartig. Über sie stürzte eine Regierung, die Grundfeste des Rechtsstaats wurden erschüttert und noch immer sind die Hintergründe nicht alle geklärt. Für den Gesetzentwurf wurden Experten aus Belgien Deutschland und der Schweiz konsultiert. Doch von ihren Empfehlungen drang kein Sterbenswort an die Öffentlichkeit.

Nachdem in der Schweiz publik wurde, das der dortige Staatsschutz 200 000 Schweizer und doppelt so viele Ausländer erfasst und überwacht hatte, wurden alle Bürger schriftlich auf ihr Recht hingewiesen, ihren Eintrag einsehen zu können. In Luxemburg hat es einen solchen Aufruf nie gegeben. Wer seine Akte anfragt, weiß um die Hürden. Meist gibt es am Ende unvollständige, wie willkürlich zusammengestellte, in weiten Teilen geschwärzte und schwer leserliche Kopien. Für die Aufarbeitung wurden die Betroffenen nicht konsultiert. Nicht einmal die Grünen haben sich für das Thema in letzter Zeit eingesetzt. Dass der Srel Dokumente zerstören wollte, wurde überhaupt nur bekannt, weil ein linker Abgeordneter den Brief des Srel-Chefs damals publik machte. Alle anderen Mitglieder der Kontrollkommission schwiegen oder maßen dem Vorgang keine besondere Bedeutung bei.

Ines Kurschat
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