Die kleine Zeitzeugin

Der Tag der Faschist/innen

d'Lëtzebuerger Land du 31.01.2025

Nie wieder! und Wehret den Anfängen! Andacht, gesenktes Haupt, routinierte Betroffenheit, Hundertjährigen lauschen, ergriffen, immer wieder ergriffen, und dazu nicken, Nie wieder!

Und dann, der nächste Programmpunkt im Deutschen Bundestag, etwas profan, das Leben geht weiter. Weil so geht es ja nicht weiter. Und Einer muss es ja tun, welche müssen es ja tun. Das mit der Migration. Das gegen die Migration. Wenn die andern es schon nicht tun. Sich aufopfern quasi.

Wie denn? Darf denn das? Geht denn das? Mit „denen“, habt ihr nicht gerade erst von „denen“ geredet? Mit „denen“ man nicht zusammen geht. Aber ja, wer fragt noch so weltfremd. Schaut mal nach rechts und links. Also nach rechts. Geht doch. Österreich macht’s vor. Aber das wollen wir ja nicht. Also das ist ein Negativbeispiel. Damit es nicht so wird machen wir das gleiche. Prophylaktisch. Trick Number One.

Um das Schlimmste zu verhüten kooperieren wir mit dem Schlimmsten. So schlimm ist es zwar auch wieder nicht. Auch wenn wir von „denen“ sprachen mit „denen“ wir nichts zu tun haben wollen werden. Ist ja schon wieder ein Weilchen her, die Situation war eine andere. Situationselastisch, dieses Wort wurde in Österreich erfunden, zu einer harmloseren Zeit allerdings, es ist ein sehr österreichisches Wort, die Ösis sind sehr begabte Situationselastiker/innen, und die Deutschen schauen sich gerade was ab. Aber nur, um nicht so zu werden. Sie wollen keine autoritäre Demokratie, wie der Chef der Freien Demokraten betont. Um die zu verhindern, tun sie sich mit den Autoritären zusammen. Aber nur ein bisschen. Light.

Wobei, ist ja eigentlich nichts Besonderes mehr. In Europa. Gibt doch immer mehr so Länder. Wurde den Menschen zu viel. Zu viele Menschen. Sind gekommen. Deswegen ist es so gekommen. Und jetzt müssen sie weg. Eigentlich logisch. Wobei. So einfach ist das gar nicht. Kommen schon wieder diese Expert/innen und verkomplizieren alles. Was, das was gerade gesprochen und versprochen wird geht gar nicht? Wegen dem Völkerrecht und dem EU-Recht und all dem? Wegen all dem Demokratie-Brimborium?

Einen Ruck gab es eigentlich nicht, wie man immer sagt, eher so ein Gleiten. Ein langsames, sich dann immer beschleunigendes Abgleiten. Abrutschen. Erdrutsch, sagen sie dann nach Wahlen. Es scheint kein Halten zu geben, keinen Halt. Anhaltspunkte schon gar nicht. Nichts hält mehr. Ist von Bestand. Auf nichts kann man bauen. Alles gibt nach. Auch die Brandmauer. Gab es sie überhaupt? Brandmauertote, sagt Weidel düster.

Grundsätze verlieren an Grund. Standpunkte werden verschoben, sie stehen gerade so im Wege. Der muss frei sein. Man soll überhaupt nicht so zurückscheuen. Nicht so Hemmschwellen aufbauen, Tabus muss man auch entsorgen können.

Erinnert ihr euch an Kohl und Mitterrand, dieses ikonenhafte Händchenhalten vor den Toten von Verdun? Dass die Jungen von damals, die die Größe und Schönheit dieses Momentes überhaupt nicht checkten, über die alten händchenhaltenden Männer grinsten? Aber das Bild prägte sich doch ein. Genau wie das Nie Wieder Mantra, das die Nachkriegskinder intus hatten. Böll Borchert Andorra. Das war alles so eingebrannt. Wir waren jetzt Zivilisierte. Das dachten wir Nachkriegskinder, dass wir jetzt einer zivilisierten Menschheit angehörten.

Das Feixen, Lachen, der Triumph der extremen Rechten wie die Abstimmung zugunsten des Antrags ausgeht. Und die trüben Gesichter von denen, die stets behaupten, die Mitte der Gesellschaft zu sein, beglückend scheint der Flirt mit den Faschist/innen nicht zu sein. Ist ja auch eher ein Zweckbündnis. Nur dass es vermutlich seinen Zweck verfehlen wird, ist die extreme Rechte doch Meisterin darin, die Konservativen johlend vor sich her zu treiben, sie dem letzten Rest von Würde und Identität zu berauben. Eine aufrechte Abgeordnete, die nicht für den Antrag gestimmt hat, spricht gar von Verlust der Seele ihrer Partei. Die Mitte macht die Rechte möglich. Ein guter Tag, so die AFD-Angeordnete von Storch, ein Sieg für die Demokratie.

Michèle Thoma
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