Die LSAP stimmte ab und es ging nicht nur um das Freihandelsabkommen mit Kanada, sondern auch um das Kräfteverhältnis in der Partei

Nein ist keine Antwort

d'Lëtzebuerger Land du 07.10.2016

Zur Feier des Tages hatte man groß aufgedreht: Das Tageblatt hatte am Dienstagmorgen auf seiner Titelseite gewarnt: „Die LSAP entscheidet heute nicht nur über das Freihandelsabkommen mit Kanada, sondern auch über die Koalition“. Außenminister Jean Asselborn hatte am Abend den Parteitag aufgefordert, sich seiner Meinung anzuschließen oder „konsequent zu sein mit allen Konsequenzen“. Innenminister Dan Kersch hatte die Delegierten gefragt, ob sie freiwillig eine „gut funktionierende Regierung“ verlassen wollten. Ausgerechnet wegen eines Freihandelsabkommens mit ... Kanada?

Wahr ist, dass die Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada, TTIP und Ceta, die Globalisierungskritiker international mobilisieren wie seit langem nicht mehr. Sie sehen in den Abkommen Mittel, um die Geschäftsinteressen von Konzernen gegen jede staatliche Regulierung durchzusetzen. Seit die Verhandlungen mit den USA festgefahren sind, konzentriert sich der Widerstand auf das Abkommen mit Kanada. Für die LSAP stellt das insofern ein Problem dar, als sie in der Regierung den Freihandel im Interesse der Luxemburger Exportwirtschaft fördern will, aber der OGBL, sich „Linkssozialisten“ nennende Gewerkschafter in der Partei und die Jungsozialisten gegen die Abkommen sind. Auf Druck der Linkssozialisten wurde im März ein außerordentlicher Parteitag beschlossen, der für Klärung sorgen sollte. Er fand am Dienstag etwas überstürzt statt, kurz vor einer Protestkundgebung am morgigen Samstag und der Verabschiedung des endgültigen Textes durch den Regierungsrat nächste Woche.

Aber natürlich ging es am Dienstag im Strassener Kulturzentrum Barblé nicht nur um das Freihandelsabkommen mit Kanada. Es ging auch um das Kräfteverhältnis in der Partei. Dort hatte sich zu Beginn der vorigen Legislaturperiode erstmals seit einer Generation wieder ein linker Flügel zu Wort gemeldet. Obwohl sich dessen politische Alternativen weitgehend auf die Forderung nach besseren Beziehungen zu den Gewerkschaften beschränkten, hatte er nach dem Scheitern der Tripartite mit einem Kongress über die Wirtschaftspolitik der Regierung im April 2011 in Moutfort die Parteiführung das Fürchten gelehrt.

Aber diese Zeiten scheinen vorbei. Nachdem die Partei mit einem rechten Spitzenkandidaten zurück in die Regierung gewählt worden war, wurden die Sprecher der Linkssozialisten aus dem Verkehr gezogen: Dan Kersch kam zu Ministerehren, Vera Spautz wurde Escher Bürgermeisterin. Der Richtungsstreit in der Partei wurde im Frühjahr mit einem Sozialistischen Leitfaden entschärft.

Dass die Linkssozialisten inzwischen geschwächt sind, erkannte man schon daran, dass die Parteiführung sie nicht länger mit Handschuhen anfasst – ohne Rücksicht auf den OGBL und auf Wählerwanderungen zu déi Lénk. Jean Asselborn warf ihnen verärgert vor, „zwei Sorten Leute“ in der LSAP zu unterscheiden, die Freunde der Gewerkschaften und die Freunde des großen Geldes. Parteipräsident Claude Haagen verdächtigte sie des Fraktionismus: „Wir haben keine Unterorganisation ‚Linkssozialisten’.“

Sicherheitshalber lief der Kongress nach der seit Jahrzehnten erprobten Choreographie ab: Zuerst legt die Parteiführung eine Stunde lang ihren Standpunkt dar, dann dürfen Kritiker im Fünfminutentakt ans Mikrofon und zum Schluss legen spontan noch einmal Redner der Parteiführung nach. Jean Asselborn, laut Meinungsumfragen der beliebteste Politiker im Land und wohl auch in der Partei, beteuerte mit Tränen in den Augen, welch ein „anständiger Sozialist“ er sei und dass er als Kind in der Hongerliddergaass gewohnt habe, weshalb er froh sei, dass mit dem Ceta-Abkommen die Globalisierung in ihre Schranken verwiesen werde. Vom ungehinderten Außenhandel hingen zudem 100 000 Arbeitsplätze im Land ab. Kanada habe bei den Nachverhandlungen Zugeständnisse gemacht, die „riesige Fortschitte“ darstellten. Dies sei auch das Verdienst von Jean Asselborn, meinte Wirtschaftsminister Etienne Schneider, man solle ihn also nicht „vor laufenden Kameras desavouieren“.

Der ehemalige FNCTTFEL-Präsident Nico Wennmacher fragte als neue Gallionsfigur der Linkssozialisten, ob die LSAP auf der Seite der Gewerkschaften, der Zivilgesellschaft, der Lohnabhängigen oder der Fedil und der großen Betriebe stehe. Nando Pasqualoni, ehemaliger Vorsitzender des OGBL-Syndikats Hütten und Bergbau, wies darauf hin, dass die Freihandelsabkommen nun von all jenen angeblichen Fachleuten befürwortet würden, die die Finanz- und Wirtschaftskrise nicht hätten kommen sehen. Die Abgeordnete und OGBL-Funktionärin Taina Bofferding erklärte, wie sie zögern werde, wenn sie im Parlament über das Ceta-Abkommen abstimmen müsse. In T-Shirts mit einem aufgedruckten Verbotsschild für TTIP und Ceta beschwerte sich ein halbes Dutzend Juso-Mitglieder, die vor allem die geplanten Schiedsgerichte als Sondergerichtsbarkeit im Interesse der Konzerne beanstandeten.

Die überwältigende Mehrheit der Delegierten bieb stumm. Was sollten sie auch sagen, wenn Politik, wie schon mit dem Europäischen Verfassungsvertrag und dem Maastrichter Stabilitätsabkommen, luftdicht in hundert- und tausendseitigen Rechtstexten verschweißt wurde?

Die Parteileitung hatte einen Resolutionsentwurf vorbereitet, laut dem das Parlament in die Ratifizierung von Ceta eingebunden werden und es die Bestimmungen der Sondergerichte kennen müsse sowie das Europaparlament dem provisorischen Inkrafttreten von Ceta zustimmen müsse. Die versprochenen Zusatzprotokolle müssten rechtsverbindlich öffentliche Dienstleistungen und das Vorsorgeprinzip von der Liberalisierung ausnehmen und die Unabhängigkeit der Sondergerichte gewährleisten – andernfalls lehne die LSAP das Abkommen ab.

Von 211 eingeschrieben Delegierten stimmten zwei Dutzend gegen die Resolution, fast 90 Prozent dafür. Genau gezählt wurde nicht. Die Linkssozialisten waren auf ein Häuflein pensionierter Gewerkschafter und Jusos in einer Ecke des Saals zusammengeschmolzen. Der Wahlkampf kann beginnen, sie dürfen wieder Flugzettel verteilen.

Romain Hilgert
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