Etienne Schneider, der Zukunftspak und die Wahlen

Kein Scherz

d'Lëtzebuerger Land du 22.07.2016

Offenherzig und unverblümt gestand Vize-Premier und Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP) vergangenen Samstag im Luxemburger Wort Fehler ein: das Referendum von vergangenem Juni über das Wahlrecht für Ausländer und Jugendliche sowie die Begrenzung der Ministermandate und das Zukunftspak genannte Sparpaket. „So blöd“ sei er nicht noch einmal, so Schneider. Dass der Zukunftspak bei den Wählern „verhasst“ war, weil jeder sparen wollte, außer bei sich selbst, hatte Schneider schon Anfang des Jahres gesagt, die Maßnahmen aber noch als notwendig verteidigt.

Dennoch hat er mit seiner Beichte nicht nur die Koalitionspartner, sondern auch die eigene Fraktion überrascht, die beim Votum der Sparmaßnahmen brav den Koali­tionszusammenhalt jedweden sozialistischen Reflexen, beispielsweise gegen Kürzungen bei den Sozialleistungen, übergeordnet hatten. So ruderten LSAP-Fraktionspräsident Alex Bodry und seine grüne Kollegin Viviane Loschetter im öffentlichen Radio ein wenig, erklärten, es sei nicht unbedingt falsch, was unpopulär sei, beziehungsweise Schneider habe einen sarkastischen Humor. Das mag sein. Aber wenn Schneider die 0,5-Prozent-Ausgleichssteuer „lächerlich“ nennt, die nächstes Jahr wieder abgeschafft wird, macht er keine Scherze.

Deshalb verwundert es nicht, dass DP-Parteipräsidentin und Familienministerin Corinne Cahen „keinen Kommentar“ übrig hatte – die Liberalen sind für die von Schneider eingeräumten Fehler mitverantwortlich. Nach dem Desaster im Juni 2015 hatte Staatsminister Xavier Bettel (DP) zwar das Ergebnis, nicht aber das Referendum bereut, das er im Voraus schon wegen der „flotten“ Diskussionen mit den Bürgern als Erfolg gewertet hatte. Schneider, der vor dem Referendum nicht wusste, unter welchen Bedingungen Ausländer das Wahlrecht erhalten sollten, tauchte danach vorsichtshalber ab.

Von den drei Koalitionspartnern hatte sich die DP am allermeisten dem Sparen und der Haushaltssanierung verschrieben und den Direktor der Handelskammer als Finanzminister engagiert, um diese Ziele umzusetzen. Doch mit den früheren Kollegen aus Arbeitgeberkreisen, beispielsweise der ABBL, tauscht Pierre Gramegna bei Empfängen statt gepflegten Nettigkeiten Vorwürfe aus. Dass die Liebe zwischen Arbeitgebern und der DP abgekühlt ist, daran ist Etienne Schneider nicht unschuldig. Schließlich hatte er den Regierungskollegen erklärt, die CSV werde in der nächsten Legislaturperiode das Geld dankend ausgeben, das nun gespart werde, und so auch die letzten Zweifler überzeugt, dass sich der Sanierungsbedarf bei den Haushaltsüberschüssen der öffentlichen Hand in den vergangenen fünf Jahren eigentlich in Grenzen hält. Laut Statec betrug der Überschuss 2014 – Jahr des provisorischen Haushaltszwölftels –, als der Zukunftspak angekündigt wurde, 1,7 Prozent im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt.

Die Patronatsverbände nehmen die DP aber auch deshalb nicht mehr für voll, weil sie im Streit zwischen Sozialpartnern um das Pan-Gesetz außen vor blieb. Hatten sich die Arbeitgeber erwartet, dass die von ihnen in die Regierung gehievte DP sich für eine Arbeitszeitflexibilisierung stark machen werde, mussten sie zusehen, wie Etienne Schneider in letzter Minute sogar den von seinem Parteikollegen und Arbeitsminister Nicolas Schmit vorbereiteten Kompromiss kippte, um den Forderungen des OGBL stattzugeben. Seither weiß auch die UEL, wer in dieser Regierung die Strippen zieht, und mit wem sie verhandeln muss.

Die für die Kür ihres Spitzenkandidaten belächelte CSV ist nicht die einzige Partei, die den Wahlkampf vorbereitet. Nachdem die mit der CSV vermeintlich nicht machbaren Gesellschaftsreformen erledigt sind, sorgt Etienne Schneider vor, um das eigene sowie das Parteiprofil zu stärken. Indem er als erster die Fehler einräumt, die so offensichtlich sind, dass Abstreiten zwecklos wäre, distanziert er sich auch von den Koaltitionspartnern und unterstreicht, dass er ihnen in Sachen politisches Gespür meilenweit voraus ist.

Michèle Sinner
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