Ein wenig liest sich der Werdegang der Reform des Vorstrafenregisters wie die Echternacher Springprozession. Erst vor zwei Jahren hatte die damalige CSV-LSAP-Regierung das Strafregister an geltende Bestimmungen des Datenschutzes anpassen wollen. Das war lange überfällig, schließlich war das Führungszeugnis bis dahin lediglich in einem Règlement grand-ducal geregelt, das vom Jahr 1976 datierte.
Das wichtige Dokument betrifft Privatpersonen ebenso wie juristische Personen: Es regelt, was in einem polizeilichen Führungszeugnis stehen muss, welche Auszüge der Staat und seine Verwaltungen, sowie potenzielle Arbeitgeber einsehen können und wie lange Vorstrafen registriert werden. Zudem erfüllte das alte Führungszeugnis verschiedene europäische Anforderungen in der Strafverfolgung nicht mehr, etwa was die Erfassung und den Speicherung von Straftaten gegen Minderjährige angeht oder Verkehrsdelikte. Die damalige Regierung brachte die Reform lange nicht auf den Weg, dann aber mit umso mehr Eifer und Tempo: Statt zuvor drei Auszüge sollte es nur noch zwei geben, einen für die Justizbehörden und einen für Personen und Unternehmen. Ganz im Sinne der hochgehaltenen Simplification administrative.
Die Freude über das Gesetz von 2013 währte jedoch nicht lang. Kaum war es in Kraft, hagelte es Kritik von allen Seiten. Im Justizministerium stapelten sich die Protestnoten. Vor allem die Gewerkschaften waren nicht einverstanden mit der extensiven Auflistung von Vorstrafen. Neuerdings konnte ein Chef den Auszug anfragen, ohne größere Begründung und mit weitreichendem Einblick auf sehr sensible Daten. Denn der neue Auszug enthielt neben allen Straftaten und Verurteilungen auch geringfügige Verkehrsdelikte – obschon diese Informationen für die berufliche Tätigkeit oft nicht einmal relevant waren. Auch die Liga für Menschenrechte schlug Alarm: Verurteilten Straftätern, die ihre Strafe abgesessen hatten, würde mit dem freizügigen Einblick in ihrer früheres Leben der Wiedereinstieg in die Berufswelt unnötig erschwert.
Weil Führungszeugnisse der nationalen Kompetenz obliegen, fallen die Regelungen je nach Land sehr unterschiedlich aus. In Deutschland finden auch kleinere Verkehrsdelikte Eingang in das Register, diese Informationen werden nach Ablauf einer Frist wieder gelöscht. Belgien hat ein komplexes System mit verschiedenen Auszügen, je nach Profession und Verwendungszweck. In Frankreich kann ein Richter entscheiden, was im Strafregister steht und was nicht. Mit der Reform, bemängelten deshalb die Gewerkschaften, seien hiesige Arbeitnehmer gegenüber Mitbewerbern aus dem Ausland benachteiligt. Weil Luxemburger in ihrem Führungszeugnis mehr über sich preisgeben müssen als ihre Kollegen aus Metz, Arlon oder Trier beispielsweise. Das verstoße gegen das europäische und das nationale Diskriminierungsverbot.
Die Proteste verhallten nicht ungehört: Im Frühjahr 2014 kündigte die blau-rot-grüne Regierung an, das gerade erst geänderte polizeiliche Führungszeugnis erneut überarbeiten zu wollen. Der grüne Justizminister sah „dringenden Handlungsbedarf“, die vorige Regierung sei mit dem Entwurf „übers Ziel hinausgeschossen“, erklärte Félix Braz. Im März dieses Jahres präsentierte er die Eckpunkte seiner Reform der Reform: Statt zweier Auszüge solle es künftig fünf geben.
Fünf unterschiedlich ausführliche Versionen des Vorstrafenregisters, je nachdem, für welchen Sinn und Zweck das Führungszeugnis beantragt wird. Neben dem ersten Auszug, der sich allein an die Justiz richtet, sowie einem zweiten bei Anstellungen in öffentlichen Verwaltungen, kommen drei weitere hinzu: Auszug drei ist das klassische Führungszeugnis, dass Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft auf Nachfrage ihres Arbeitgebers gewöhnlich bei Berufsantritt vorlegen müssen. Die Auszüge vier und fünf sind berufsspezifisch und betreffen Berufskraftfahrer und alle diejenigen, die professionell mit Kindern arbeiten wollen. Damit soll verhindert werden, dass sich einschlägig Vorbestrafte und Schwarze Schafe in die Branche einschleichen. Das mit der 2013-er Reform eingeführte Prinzip, dass nur die betreffende Person selbst ihren Auszug anfragen kann und Verwaltungen keinen direkten Zugang zum Register haben werden, bleibt bestehen – allerdings können Verwaltungen einen Bürger oder ein Unternehmen auffordern, ihnen zu gestatten, einen Auszug einzusehen. Aber nur mit einem klar definierten Verwendungszweck, etwa wenn jemand einen Waffenschein beantragt oder eine Betriebsgenehmigung möchte.
Die Neuerungen dürften einen breiten politischen Konsens finden, sogar bei der CSV, die die vermurkste 2013-er Reform hauptsächlich verantwortete. „Wir halten nicht unbedingt an etwas fest, wenn es verbesserungswürdig ist. Wenn es Probleme in der Praxis gibt, muss man diese beheben“, sagt Gilles Roth im Gespräch dem Land. Und Probleme gibt es genug. Der CSV-Abgeordnete und Jurist war Berichterstatter des aktuellen Gesetzes. Man habe mit der Änderung damals den Datenschutzbestimmungen sowie europäischen Vorgaben im Bereich der Verbrechensbekämpfung umsetzen wollen, erinnert Roth an das Motiv der Reform damals. „Das Gesetz war ein Resultat eines schwierigen Spagats zwischen besserem Schutz der Privatsphäre, Arbeitgebern wichtige Informationen über mögliche Mitarbeitern an die Hand zu geben und dabei gleichzeitig, den bürokratischen Aufwand so gering wie möglich zu halten“, betont Roth. Weil sich „die Grundphilosophie nicht geändert“ habe, hat der Anwalt keine größeren Bedenken mit der Überarbeitung, obwohl die Umsetzung stärker differenzierter Regelungen „für die Verwaltung sicher nicht einfach wird“.
So durchdacht und ausgewogen, wie Roth es heute darstellt, ist das aktuelle Gesetz aber nicht. Datenschützer hatten damals schon moniert, dass es eine „visibilité substantiellement elargie de l’employeur sur les condamnations du candidat ou de son nouveau salarié“ schaffe, und sowohl Notwendigkeit als auch Verhältnismäßigkeit mit vorsichtigen Worten hinterfragt. Zugleich regten sie an, für Berufsfahrer einen eigenen Auszug über Verkehrsdelikte einzuführen. Die Anpassung an den Datenschutz war also keine Glanzleistung der damaligen Regierung, sondern lückenhaft – und zudem überfällig. Der Dinosaurier von 1976 hätte schon viel früher überarbeitet werden müssen, das Luxemburger Datenschutzgesetz gibt es schließlich seit 2002.
Es ist kaum im Sinne eines besseren Schutzes der Privatsphäre, wenn mit einem Mal ein Arbeitgeber sämtliche Vorstrafen quasi uneingeschränkt einsehen kann, obwohl eine Strafe vielleicht längst abgesessen ist und für die Stelle, auf die sich eine Person bewirbt, irrelevant ist. Mit der neuen Regelung sollen spätestens nach fünf Jahren alle Verbrechen mit Haftstrafen von bis zu zwei Jahren automatisch gelöscht werden. Außerdem wird das informationelle Selbstbestimmungsrecht gestärkt: Der Einzelne muss sein Einverständnis geben, bevor potenzielle Arbeitgeber, Behörden oder Organisationen sein polizeiliches Führungszeugnis einsehen können. Ein notwendiger Schritt, findet die nationale Datenschutzkommission in ihrem neuerlichen Gutachten. Sie fordert zudem, dass für den Fall, wenn jemand den Einblick in sein Führungszeugnis verweigert, ihm dies nicht zum Verhängnis werden dürfe. Ein Einverständnis müsse stets aus „freien“ Stücken erfolgen, so die CNPD. Auf keinen Fall dürfe eine Weigerung „negative Konsequenzen für den Einzelnen“ haben. Die CSV-Reform hat, so gesehen, die Rechte der Arbeitgeber auf Kosten der Privatsphäre des Einzelnen gestärkt. Die heute viel diskutierte Lücke, die unterschiedliche Behandlung von inländischen und ausländischen Arbeitnehmern, war dagegen kaum Thema.
Dass der Gesetzgeber damals nicht selbst auf die Idee kam, dass die neuen Bestimmungen luxemburgische Arbeitnehmer schlechter stellen gegenüber Arbeitnehmern aus der Großregion, überrascht. Man habe das aktuelle Gesetz aus einer „luxemburgischen Perspektive“ geschrieben, versucht Gilles Roth eine Erklärung. Auch die diversen Gutachter des Gesetzes hatten die Diskriminierung nicht im Blick. Dabei ist Luxemburg seit Jahrzehnten ein Einwanderungsland und der Arbeitsmarkt speiste sich schon 2012 wesentlich aus Arbeitskräften aus Belgien, Deutschland und Frankreich.
Mit dem neuen Gesetz ist die Diskriminierung luxemburgischer Arbeitnehmer aber womöglich nicht einmal aus der Welt. Ein Führungszeugnis speziell für Berufskraftfahrer gibt es in Frankreich beispielsweise nicht. Außerdem könnten Luxemburger Arbeitgeber laut Entwurf schon dann einen Auszug fordern, wenn die Tätigkeit die Mobilität des Beschäftigten verlangt. Es bestehe ein Risiko, dass diese Regelung von Arbeitgebern missbraucht werde, warnt die Arbeitnehmerkammer, die ähnliche Bedenken hinsichtlich des fünften Auszugs äußert. Die einzige Lösung, um Chancengleichheit zwischen luxemburgischen Arbeitnehmern und Bewerbern aus der Grenzregion herzustellen, sei es, Luxemburger Arbeitgebern dieselbe Möglichkeit zu eröffnen, diese Informationen von den Nachbarstaaten zu bekommen. Das aber setze diesbezügliche Abkommen mit den Anrainerstaaten voraus, zumal die geplante neue Regelung zwischen Arbeitnehmern in der Privatwirtschaft und beim Staat unterscheide.
Andere Möglichkeit, die seltsamerweise keine Rolle in der Diskussion spielt: Luxemburg hätte auch darauf hinarbeiten können, eine gemeinsame Rahmengesetzgebung auf EU-Niveau zu erreichen. Zumal jetzt, wo Luxemburg den EU-Ratsvorsitz innehat. Wenn eine Harmonisierung Sinn macht, dann hier. Während der grüne Justizminister kaum eine Gelegenheit auslässt, um die Notwendigkeit zu betonen, bei der – datenschutzrechtlich überaus bedenklichen – Vorratsdatenspeicherung unbedingt zu einer europäischen Lösung zu kommen, scheint ihm das beim Vorstrafenregister nicht dringlich. Dabei liegt diese Lösung nahe. Eine entsprechende Initiative jedenfalls gibt es nicht. Dabei hatte schon ein anderer Luxemburger, der ehemalige Generaldirektor des Europäischen Rates, Charel Elsen, eine europaweite Regelung gefordert.
Bleibt noch die Ausnahmeregelung für den Luxemburger Geheimdienst: Der Srel soll die Vorstrafenregister ebenfalls einsehen können. Allerdings ist unklar, ob direkt in automatisierter Form mit Übertragung per Knopfdruck. So jedenfalls steht es im Gesetzentwurf zur Reform des Geheimdienstes. Im Entwurf des Justizministers zum Vorstrafenregister soll ein dreiköpfiges aus Richtern zusammengesetztes Kontrollgremium über derlei Anfragen entscheiden, die der Srel schriftlich einreichen und begründen müsste. Diese Liste der Anfragen würde dann mit Listen der bei der Staatsanwaltschaft eingegangenen Anfragen abgeglichen. Der Staatsrat spricht sich, ebenso wie die nationale Datenschutzkommission, in seinem Gutachten für das restriktivere Modell mit Richterüberwachung aus.
Im September sollen die Beratungen im parlamentarischen Justizausschuss beginnen, jetzt, wo fast alle Gutachten vorliegen. Lediglich die Stellungnahme der Menschenrechtskommission steht noch aus. Im Herbst dann könnte die Reform verabschiedet werden – die Zeit drängt.