Als der US-Autor und Zeichner Art Spiegelmann 1980 sein schwarz-weißes Auschwitz-Comic Maus. A Survivor‘s Tale veröffentlichte, war die Aufregung groß: dass überhaupt jemand versuchte, den Holocaust in einem Cartoon nachzuerzählen. Das Genre, so der Tenor der Feuilletonisten, sei für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Holocaust nicht geeignet. Durch die fiktive Erzählung und den Fabelcharakter werde das Leid der Juden trivialisiert. Sie als Mäuse und Nationalsozialisten als Katzen darzustellen, sei verharmlosend und bekräftige das Opfer-Narrativ. Spiegelman hatte einen Weg gesucht, die Geschichte seines jüdischen Vaters so zu erzählen, dass es nicht zu realistisch würde. Die Maus war für ihn ein subversives Unterlaufen des antisemitischen Narrativs, das Juden als Ungeziefer enthumanisierte.
Spiegelman war nicht der erste Zeichner, der sich dem Holocaust mit dem Zeichenstift annäherte, und nicht der erste, der sich dabei auf Tiermotive stützte: Der Klassiker La Bête est morte von Edmond-François Calvo, erschienen 1944 in den Éditions G.P., ist als Kinderbuch konzipiert, beruht auf Tierarten, um unterschiedliche Protagonisten, wie die Nazi-Besatzer (Wölfe) oder jüdische Kinder (Hasen) zu charakterisieren, und erzielte große Reichweiten.
In Master Race von 1955 von den Autoren Bill Gaines und Al Feldstein begegnete ein Überlebender nach dem Krieg einem seiner Peiniger in der New Yorker Subway. Die ersten Publikationen prägte jedoch eine beklemmende Abwesenheit: Juden kamen vielleicht vor, wurden aber nicht genannt. Es war ein Tabu und erst recht war es ein Tabu, sich dem Schrecken in den Lagern zeichnerisch anzunähern. Erst bei Spiegelman steht die Geschichte der Verfolgung der Juden, die Wirkung des erlebten Grauens bis in die Gegenwart, etwa auf seine Beziehung zum Vater, zeichnerisch im Mittelpunkt. Sein Werk gilt heute als Referenz in der zeichnerischen Auseinandersetzung mit den Nazi-Gräueln und als Wendepunkt eines Story-telling, das sich mit dem Holocaust und seiner Monstrosität schwertat.
Dabei waren es jüdische Zeichner wie Jerry Siegel und Joe Shuster, Erfinder des Comic-Helden Superman, die schon in den 1950-ern Bezug auf Hitlers expansionistische Politik und Verbrechen nahmen. Allerdings blieb es weitgehend bei Andeutungen. Der frazösische Comiczeichner Pascal Croci, der in seinem 2000 im Verlag Emmanuel Proust erschienen Dokumentarcomic für Jugendliche Auschwitz eine fiktive Geschichte im Todeslager spielen lässt, hatte intensiv recherchiert, Zeitzeug/innen interviewt und ihre Berichte quasi prototypisch zu einer Erzählung zusammengefasst, um das (Über-)Leben und Sterben im KZ zu beschreiben. Seine schwarz-grau gehaltenen Zeichnungen prägt ein düsterer Realismus.
Diese Stile, ihre Entwicklung, Stärken und Schwächen, Motivation und (Kurz-)Biografien der Zeichner/innen zeichnet die Ausstellung Die Shoah im Comic des Pariser Memorial de la Shoah nach, die bis zum 8. November in der Abtei Neumünster gezeigt wird: Anhand von Zeit- und Themenkapiteln gehen die Kuratoren, Didier Pasamonik und Joël Kotek, der Frage nach, wie sich die Auseinandersetzung mit dem Holocaust im Comic im Zeitverlauf verändert hat: von eher abstrakten Annäherungen bis zu sehr persönlichen Erzählungen, vor allem durch die Nachkriegsgeneration. Auch das Grauen der Vernichtung, lange Zeit absolutes Tabu, wurde schließlich zeichnerisch dargestellt.
Die Ausstellung, die sich im Seitenflügel der Abtei über vier Räume erstreckt, bietet einen ziemlich kompletten Überblick über die wichtigsten Stationen: Dem glorifizierenden US-Heldenepos der frühen 1950-er steht der französisch-belgische Realismus der 1990-er und 2000-er Jahre gegenüber. Was sie eint, ist die unmögliche Mission, das Grauen des Nationalsozialismus in Bildern erfassbar zu machen: Ob als fiktive Geschichte oder als (auto)biografische Erzählung, es bleibt immer eine Annäherung. Eine realistische Dokumentation muss scheitern. Das gilt allerdings nicht nur für den Comic, sondern ebenso für andere Genres, wie dem Film. Es ist übrigens kein Zufall, dass die meisten Zeichner (Zeichnerinnen kamen später) männlich waren: Die Comicwelt war und blieb über Jahrzehnte eine Männerdomäne.
Es ist eine lehrreiche umfassende, kompakte Ausstellung, dazu mit Übersetzungen in drei Sprachen: Französisch, Deutsch und Englisch. Allerdings beeinträchtigen die Lichtreflektionen in den glasgerahmten Zeichnungen das Erlebnis zum Teil erheblich; zudem fiel zumindest dieser Betrachterin die Einordnung der Beiträge nach Relevanz nicht leicht: Abgesehen von La Bête est morte oder Maus oder auch der Auseinandersetzung durch die Karikaturen von Charlie Hebdo, ist nicht immer nachzuvollziehen, welchen Impakt ein Comic und sein/e Zeichner/in in der Rezeption durch die Öffentlichkeit oder die Kritik hatten. Das liegt daran, dass die Ausstellung keine weiterführenden Informationen zu den Verlagen oder den verkauften Auflagen liefert. Es ist etwas anderes, ob ein Comic für Erwachsene konzipiert wurde, es in Schulprogramme aufgenommen wird, oder ob es sich um ein Magazin des Untergrunds mit geringer Reichweite handelt. Die ausgelegten Comics zum Anschauen und Lesen am Ende des Parcours fangen dieses Defizit zum Glück ein wenig auf.