Die aktuelle Steuerdebatte birgt auch Chancen, sagt Finanzminister Pierre Gramegna (DP)

Kontinuität

d'Lëtzebuerger Land du 20.06.2014

D’Lëtzebuerger Land: Herr Gramegna, vergangenes Jahr um diese Zeit war noch Ihr Vorgänger Luc Frieden im Amt, den verschiedene so stark mit der Finanzbranche assoziierten, dass sie befürchteten, alles würde zusammenbrechen, wenn er sein Amt verlöre. Welche Bedeutung messen Sie dem Finanzplatz bei, auch im Hinblick auf die Anstrengungen zur Diversifizierung der Wirtschaft, die Ihre Koalition unternehmen will? Die Grünen haben in der Vergangenheit gefordert, der Finanzplatz müsse zurechtgestutzt werden. Etienne Schneider machte mit der „Reindustrialisierung“ Wahlkampf...

Pierre Gramegna: Ich habe von Beginn meiner Mandatszeit an unterstrichen, dass ich, was das Dossier Finanzstandort angeht, auf viel Kontinuität zu meinem Amtsvorgänger setzen werde. Die Finanzbranche ist der wichtigste Pfeiler unser Wirtschaft und wird dies noch lange bleiben. Darüber kann man sich ruhig freuen, weil es eine Branche ist, die viele hochwertige, gut bezahlte Stellen schafft und im Endeffekt unser Land so prägt, dass wir im Ausland hauptsächlich deswegen bekannt sind. Wenn ich „Kontinuität“ sage, meine ich damit vor allem Vorhersehbarkeit. Es war immer ein Vorteil und wird es auch bleiben, wenn die Akteure hier vor Ort und die Investoren im Ausland vorhersehen können, wie sich die Luxemburger Regierung in verschiedenen Dossiers verhalten wird.

Sie sehen also keinen Konflikt zwischen den Diversifizierungsbemühungen einerseits und dem Ausbau der Finanzbranche andererseits?

Ich habe in der Regierung noch nicht gehört, dass man die Finanzbranche zurechtstutzen will. Das ist nicht angestrebt. Ich sehe da vielmehr Schnittstellen, zwischen diesen Bestrebungen.

Wo liegen die?

Ich würde zwei Bereiche hervorstreichen: Erstens all das, was ich „Fintech“ nennen würde – alles was mit Finanzen und Technologie zu tun hat. Da gibt es eine Interaktion zwischen den Bestrebungen des Wirtschaftsministers, den Technologiestandort auszubauen, mit seinen Datenzentren, dem Glasfasernetz, die große Kapazitäten stellen, eine schnelle, günstige Datenübermittlung erlauben einerseits und den Möglichkeiten, neue Finanzdienstleistungen anzusiedeln andererseits. Ich denke an den Hochfrequenzhandel, Cash-Pooling-Aktivitäten, Datensicherheit, virtuelle Währungen. Zweitens versuchen Etienne Schneider und ich, die beiden Promotionsagenturen Luxembourg for Finance (LFF) und Luxembourg for Business (LFB) aneinander näherzubringen, und arbeiten ganz eng zusammen, auch im Zusammenhang mit den Bemühungen, die Marke „Luxemburg“ aufzubauen. Es geht auch um die Frage, wie wir Luxemburg generell nach außen verkaufen, nicht nur die einzelnen Branchen. In dem Sinne sind unsere Diversifizierungsbemühungen komplementär.

Gibt es tatsächliche Pläne zu einer Fusion von LFF und LFB?

Das steht noch nicht auf der Tagesordnung, obwohl es nicht ausgeschlossen ist. Im Moment gehen wir das pragmatisch an, indem jeder die Bereiche des anderen mitbewirbt, wenn wir auf Promotionsreisen unterwegs sind, und indem die beiden Agenturen ganz konkret miteinander arbeiten.

Kommen wir zurück auf die Diversifizierungsmöglichkeiten innerhalb der Finanzbranche. Woran arbeiten Sie konkret?

Wir haben das Hohe Komitee für den Finanzplatz institutionalisiert und ein Dutzend Arbeitsgruppen eingerichtet. Jede einzelne davon versucht, neue Möglichkeiten auszuloten.

Können Sie konkrete Beispiele nennen? Gibt es Bereiche, wo Sie wirklich großes Entwicklungspotenzial sehen, dass noch einmal etwas entsteht wie die Fondsindustrie?

Das kann man aus zwei Blickwinkeln betrachten: geografisch oder im Bezug auf das Produktangebot. Geografisch gesehen lautet die Antwort China. Die Internationalisierung der chinesischen Währung Renminbi ist ein riesiges Ereignis. Über die nächsten zehn Jahre wird sie Handels- und zur Reservewährung werden. Das kann man gar nicht überschätzen und Luxemburg spielt dabei schon eine wichtige Rolle. Wir sind in punkto Einlagen und Anleihen in Renminbi bereits jetzt die Nummer eins in Europa.

Von diesem Kuchen versuchen viele, sich ein Stück abzuschneiden. Sie hatten gehofft, die chinesischen Autoritäten würden eine der chinesischen Banken in Luxemburg zum Clearing-Zentrum bestimmen. Kurz darauf ging die Lizenz nach Frankfurt.

So wie wir unsere chinesischen Partner verstehen – ich werde übrigens in ein paar Wochen nach China fahren – ist es nicht so, dass sie eine einzige Clearingstelle in Europa wollen, sondern mehrere. Die Sache ist noch nicht abgeschlossen. Neben China liegt unser Augenmerk außerdem auf dem Mittleren Osten.

Von islamischen Finanzen wird seit zehn Jahren geredet. Wirkliche Fortschritte hat es nicht gegeben.

Die Kundschaft ist enorm reich und sucht nach Investitionsmöglichkeiten, das geht über ein Angebot an Islam-konformen Produkten weit hinaus. Außerdem liegt der Gesetzentwurf zur ersten Luxemburger Anleihe in Form eines Sukuk im Parlament, und ich hoffe, dass noch vor dem Sommer darüber abgestimmt wird. Das wird eine Premiere: Die erste Euro-Staatsanleihe als Sukuk. Das ist ein ganz neues Produkt, auch wenn es eine Nische bedient. Unsere dritte Zielregion ist Lateinamerika und Kanada für die Pensionsfonds.

Welche Produktneuheiten sind zu erwarten?

Ich erwarte mir sehr viel vom Fintech-Bereich, den ich schon beschrieben habe. Und natürlich erwarte ich mir eine große Dynamik im Bereich der alternativen Investmentfonds (AIFM) , die ab Juli mit einem europäischen Pass ausgestattet werden, wie ihn schon die Publikumsfonds haben. Wir haben das schnell umgesetzt und besitzen deshalb eine gute Startposition. Aktuell sind 52 offiziell genehmigt, 77 haben mündliche Zusagen bekommen und es liegen weitere 205 gültige Anträge vor. Ich weiß nicht, ob AIFM ein ähnlich großer Erfolg wird, wie die Publikumsfonds, aber wir sehen ganz genau hin, wie die Branche reagiert. Dann untersuchen wir beispielsweise auch, ob wir einen spezifischen Immobilienfonds brauchen – wir haben zwar Instrumente, aber ein gesondertes Produkt würde sich besser vermarkten lassen –, und welche Möglichkeiten es im Bereich der virtuellen Währungen gibt.

Unter Luc Frieden war das HCPF so informell, dass nie eine Mitgliederliste oder die Themenbereiche, an denen gearbeitet wurde, veröffentlicht wurden. Die Regierung, in der Sie Minister sind, spricht viel von Transparenz und der Vermeidung von Interessenkonflikten. Wenn Sie sagen, Sie haben das HCPF institutionalisiert, was heißt das? Wird man irgendwo nachlesen können, wer an welchen Projekten gearbeitet hat?

Ich sehe nicht, warum das ein Geheimnis sein sollte. Das ist alles transparent. Die 26 Mitglieder, Anwälte und Akteure aus Privatwirtschaft und öffentlichem Dienst, sind ja aufgrund ihrer Kompetenzen und als Vertreter von Organisationen, zum Beispiel von LFF, ABBL oder der Alfi ausgewählt. Isabelle Goubin fungiert als Generalsekretärin. Die erste Sitzung hat Anfang März stattgefunden, eine nächste ist für Juli angesetzt. Die Idee ist, drei bis vier Sitzungen jährlich zu machen, bei denen ich als Präsident dabei bin. Dazwischen kommen die Arbeitsgruppen zusammen.

In Ordnung, aber wird irgendwo öffentlich nachvollziehbar sein, wer woran arbeitet, zum Beispiel auf einer Webseite? Oder werden die Leute einmal vorgestellt, wie die Mitglieder des Hohen Komitees für die Industrie? Da wurden die Mitglieder zumindest einmal der Öffentlichkeit präsentiert.

Wir haben gerade erst mit dieser Institutionalisierung begonnen. Aber das ist eine gute Idee, die Mitglieder der Presse vorzustellen. Man darf aber nicht vergessen, dass es sich dabei um ein beratendes Gremium handelt, das Empfehlungen an die Regierung gibt.

Dass die Diversifizierung innerhalb der Branche notwendiger ist als je zuvor, ist nicht zuletzt auf die Einführung des automatischen Informationsaustauschs für EU-Bürger und die Ausweitung der Zinsbesteuerungsrichtlinie zurückzuführen. Als die Diskussion 2008 in Folge des Liechtenstein-Skandals Fahrt aufnahm, zirkulierten eine Menge Horrorszenarien, wie vernichtend der Verlust des Bankgeheimnisses für die Luxemburger Finanzbranche würde. Wie dramatisch sind die Folgen Ihrer Ansicht nach?

Die Beschäftigungszahlen sind stabil geblieben und das trotz fünf Jahren Finanz- und Wirtschaftskrise, das ist ein kein schlechtes Ergebnis. Wir haben leicht über 150 Banken, vergangenes und dieses Jahr sind zehn Einheiten hinzugekommen, ein Beleg dafür, dass Luxemburg noch attraktiv und der Abwärtstrend vergangener Jahrzehnte nicht unumkehrbar ist. Die Fondsindustrie hat sich 2013 sehr gut entwickelt. Das alles zeigt, dass das Bankgeheimnis nur eine der vielen Aktivitätssparten betrifft, nämlich die Privatbanken. Da gibt es Umstellungen. Die Kleinsparer aus den Nachbarländern reagieren. Wir versuchen mit unseren Promotionsreisen, den Banken dabei zu helfen, neue Kunden im Nahen und Mittleren Osten und Asien anzuwerben. Außerdem blieben die Kundeneinlagen vom vergangenen zu diesem Jahr relativ stabil, die Einlagen der Privatpersonen ebenfalls. Das ist erst einmal ziemlich beruhigend. Aber die Evolution ist nicht abgeschlossen und es bleibt abzuwarten, ob sich alle Privatbanken anpassen können.

Im Mai haben die Finanzminister der OECD-Länder sich für einen neuen gemeinsamen Standard für den Austausch von Steuerinformationen (Common Reporting Standard; CRS) ausgesprochen. Der gilt dann nicht für EU-Bürger, wenn er umgesetzt wird, sondern für die Kunden aller OECD-Länder. Im Juli tritt Fatca in Kraft. Wie hart wird das die Privatbanken treffen?

Einerseits ist die Kundenbasis der Branche sehr europäisch geprägt. Andererseits haben wir ja den Anspruch, den Finanzplatz zu internationalisieren. Ich sehe weder Vor- noch Nachteile durch den CRS entstehen. Dass er sich anbahnt, ist eine exzellente Sache. Das hat uns die Entscheidung, im März der Erweiterung der Zinsbesteuerungsrichtlinie zuzustimmen, sehr erleichtert, weil die Konkurrenz-Standorte, wie die Schweiz aber auch die USA, der OECD angehören und durch den CRS alle gleichgestellt wären.

Deswegen haben Sie sich als Regierung auf EU-Ebene dafür stark gemacht, dass es nur einen Standard geben soll: den CRS. Ist diese Option mehrheitsfähig?

Eigentlich gibt es jetzt schon zwei Standards: Den europäischen, der in der Zinsbesteuerungsrichtlinie festgehalten ist, und den US-Standard Fatca. Der neue OECD-Standard wäre dann der dritte und er riskiert populärer zu werden, als der EU-Standard, weil die OECD mehr Mitgliedstaaten – inklusive EU-Länder zählt. Die OECD und Fatca-Standards ähneln sich sehr. Deshalb wird es für die EU-Kommission in den kommenden Monaten darum gehen, eine Lösung zu finden. Nur sehr wenige Länder wollen eine Multiplikation der Standards, wegen der Zusatzkosten für Privatwirtschaft und Verwaltungen. Meine Prognose ist deshalb, dass es eine Konvergenz zwischen EU- und OECD-Standard geben wird und zwar in Richtung OECD-Norm.

Die Besteuerung multinationaler Unternehmen wird ebenfalls auf EU- und auf OECD-Ebene diskutiert. Je nachdem, wie die Diskussion ausgeht, riskiert das auch, andere Wirtschaftssparten zu treffen. Zum Beispiel die Steuerplaner und das Domiziliatswesen. Wohin geht die Diskussion und welche Risiken birgt sie für Luxemburg?

Die EU und die OECD arbeiten parallel an der Thematik, untersuchen dabei aber unterschiedliche Aspekte. Was nicht heißt, dass sich die Diskussionen nicht gegenseitig beeinflussen. Die OECD hat 15 Baustellen aufgemacht und ist dabei, eine vollständige Röntgenaufnahme der Steuerpraktiken der Mitgliedstaaten zu machen. Natürlich ist das ein Risiko, weil einige Praktiken danach vielleicht in Frage gestellt oder verboten werden. Die Chance dabei ist im Umkehrschluss, dass alles, was dieser Prüfung standhält, validiert und erlaubt ist. Deshalb sollte man das nicht nur negativ sehen. Auch was die Steuerplaner und Domiziliare betrifft: Wenn es Änderungen gibt, heißt das nicht unbedingt, dass sie nicht gebraucht werden. Ein konkreter Aspekt, der auf dem Prüfstand steht, ist die Besteuerung aus den Einnahmen aus der Kommerzialisierung geistigen Eigentums ...

... die Luxemburger Dispositionen wurden lange untersucht, bevor sie in Brüssel durchgewinkt wurden.

Wir sind nicht die einzigen, die ein solches IP-Regime haben. Derzeit wird über neue Kriterien für die Zulässigkeit von Steuerrabatten diskutiert. Eines davon besagt, dass IP-Einnahmen nur dort von der Steuer befreit werden können, wo die Recherche stattfindet. Das würde natürlich große Länder favorisieren, in denen viel geforscht wird, und ein kleines Land könnte ein solches Regime überhaupt nicht anbieten. Das wäre in unseren Augen nicht mit den Regeln des Binnenmarktes vereinbar.

Bei der letzten Unterredung der EU-Finanzminister über die Finanztransaktionssteuer haben Sie beklagt, dass der aktuelle Vorschlag zu vage ist, und die zehn Länder, die sie einführen wollen, nicht transparent genug vorgehen. Ist es denn derzeit überhaupt möglich, etwas über die eventuellen Auswirkungen der Steuer für Luxemburg zu sagen?

Die zehn Finanzminister haben erst in der Ratssitzung selbst eineinhalb Seiten über den neuen Vorschlag vorgelegt. Es ist also nur schwer abschätzbar, was in den Anwendungsbereich fallen soll oder nicht. Allerdings scheint klar zu sein, dass der jetzige Entwurf nicht so weit geht, wie der ursprüngliche Kommissionsentwurf. Was uns dennoch Sorgen bereitet, ist die extra-territoriale Wirkung der Steuer, je nachdem, wie die Steuer ausgelegt wird. Dagegen wehren wir uns natürlich, um unsere Fondsindustrie zu schützen, weil ein sehr großer Teil der Transaktionen der Investmentfonds betroffen wäre.

Michèle Sinner
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