Krier, Jean: Tableaux/Sehstücke

Fest auf wechselnden Standpunkten

d'Lëtzebuerger Land du 17.01.2002

Da publiziert Jean Krier seit den 60-er Jahren in den angesehensten Literaturzeitschriften des deutschsprachigen Raumes, da gelangt er in jüngster Zeit kontinuierlich in das richtungsweisende Strömungen auffangende Jahrbuch der Lyrik und Rundfunkhäuser nehmen ihn in ihre besten Literatursendungen auf - und dennoch konnte er erst 1994 als nunmehr Mittvierziger seinen ersten, vielbeachteten Lyrikband Bretonische Inseln herausbringen, gelobt sei der rührige Verlag Landpresse/Weilerswist. 

Und abermals eine Buchpause von sage und schreibe acht Jahren bis zur vorliegenden Sammlung. Schreibunlust scheint als Ursache ausgeschlossen, schlägt man das Werk auf, denn der Autor überrascht in den beiden Zyklen mit  geradezu eruptiver Ausdruckswut und libidinösem Sprachspiel. Der erste Teil, "Marines" betitelt, enthält 22 römisch durchnummerierte Texte, deren Thematik topografisch an der bretonischen Küstenlandschaft zu fixieren ist; der zweite, "Memento", weitläufiger in der Welterfahrung, umfasst 31 Gedichte, die an Jahreszeiten, Orte ("Salzburg im Januar", "Paris im Juli"), an Landschaften ("Andalusien im April", "Provence im Dezember") oder an die Imagination anregende Impressionen gebunden sind ("Wandererphantasie"). Alles in allem kein voluminöser Umfang. Offenbar weiß dieser Poet, dass Titelmasse noch lange keine dichterische Klasse garantiert.

Mögen auf den ersten Blick seine zumeist breitzeiligen, über zwei Seiten sich erstreckenden Strophen in einer wie "hingeschleuderten" Suada sich ergießen, wie so mal eben hingefetztes Bild- und Gedankengeflirr oder unbearbeitete Gefühlswortlava: dahinter steckt eine ausgeklügelte Schreibhaltung. Sie bewirkt disparate Sprach- und Sprechebenen ("Ein Meer nur mit leichter Zunge", "Haste noch Worte. Feste druff"); sobald der Autor den "Anspruch der Ewigkeit, das Donnern der Worte" fürchtet, stapelt er tief mit "Geseier, Gesülz". Die als furiose Erzähltexte in irritierenden Gedankenspiralen abgespulten Verse arbeiten mit verschränkten Wirklichkeits- und Zeitebenen, mit meist frappierenden Alliterationen ("Himmel und Hammel"), verquasten Alltagsfloskeln ("Wellen zum Brechen und Biegen", "mach dich auf die socken") oder ironisierenden fremsprachlichen Einschüben. Gern baut Krier in seinen vehementen Duktus retardierende Stopps ein und Ellipsen als Denkanstoß ("... diese Ware/ dass sie keiner, so hart").

Aller formale Aufwand genügt sich nie selbst. Der Dichter ist kein Formalist. Zwei Motti verweisen auf das, was ihn umtreibt. Das erste von Philip Larkin heißt: "We all hate home and having to be there." Das Unbehauste im Behaustsein, das Krier variiert, klingt darin an wie auch in den Zeilen "unter dem einstürzenden Himmel/ etwas zum Wohnen/ und Lichtgestalten am Tisch." Das zweite ist Becketts Malone meurt entlehnt: "Et sans savoir exactement quelle était sa faute il sentait bien que vivre n'en était pas une peine suffisante ou que cette peine était en elle-même une faute appelant d'autres peines, et ainsi de suite, comme s'il pouvait y avoir autre chose que la vie, pour les vivants."

Diese Tableaux und Sehstücke, aus Sicht eines verunsicherten, zweiflerischen Zeitgenossen, bieten keinen optimistischen "Ausblick" feil; dazu fehlt ihnen der Rahmen, die konturharte Kontinenz, es sind Fließbilder ("Der Raum fließt"), sind nur noch mit sich auflösender Logik erfassbar ("und ein Haus vor dem Bild/ mit dem Haus und dem Stein/ mit dem Bild von dem Haus"). In einer gebrochenen, fluiden Existenz erfährt sich das poetische Ich als "heimatlos": "Nirgends bin ich./ Klatsch weder noch Abklatsch." Auch in der Sprache, dem eigentlichen Meer-Motiv dieses Werkes, liegt kein Trost ("Bis zur Vergasung/ das Wort. Das Ende vom Lied").

Liebhaber verknappter, hoch metaphernreicher Lyrik dürften Einleseprobleme haben; auch mag manchem manche Passage zu auftrumpfend erscheinen, gedanklich einiges schon beliebig postmodernistisch anmuten - all dies schmälert nicht die notwendige Lektüre dieser Poesie. Vorwerfen muss man Jean Krier nur eines: Dass er diesen leserabschreckenden, abscheulichen Einband nicht verhinderte, einen mit katalog-, musterbuch- oder schulkladdenartigem Plastik- ja! Plastik-Binderücken, der zwangsläufig ohne Beschriftung das Buch im Regal für "tot" erklärt, und obendrein mit einem in verbogene Schachtelelemente verstreuten bunten Titelmix aus Klein- und Großbuchstaben - nichts als Mätzchen, dem Inhalt abhold.

 

Jean Krier: Tableaux/Sehstücke. Gedichte. Gollenstein-Verlag, 2002. 16 Euro. ISBN: 3935731132

 

 

Fritz Werf
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