Edle Ziele sollten die Politik nach 9/11 leiten und dem Image des Standorts dienen

Verantwortungsvoller Finanzplatz

d'Lëtzebuerger Land du 20.08.2021

Luxemburger Soldaten wurden vergleichsweise spät nach Afghanistan geschickt. Die damalige Juncker-Polfer-Regierung beschloss am 27. März 2003, bis zu zehn Soldaten für die International Security Assistance Force (Isaf) zur Verfügung zu stellen. Luxemburg war damit die 27. Nation, die sich an Isaf beteiligte, die mit Uno-Mandat unter Nato-Kommando operierte, auch ein Kampfverband war und bis zu 130 000 Militärs zählte. Am 27. Juni 2003 flogen neun Luxemburger Soldaten nach Kabul. Einer belgischen Einheit angeschlossen, sollten sie den Kabuler Flughafen bewachen helfen.

Eine großherzogliche Verordnung befristete die Luxemburger Isaf-Beteiligung bis zum 31. August 2003. Am 12. August wurde sie bis Ende Februar 2004 verlängert und danach immer wieder, bis zum August 2012. Im Rotationsverfahren wurden die Soldaten alle sechs Monate ausgewechselt. Als die Isaf Ende 2014 aufgelöst und durch die Resolute Support Mission, ebenfalls unter Nato-Kommando ersetzt wurde, beteiligte Luxemburg sich ab Juni 2015 auch daran. Die letzten beiden Armeeangehörigen kehrten am 19. Mai 2021 von dort zurück.

Weil die Luxemburger Militärpolitik es seit dem Koreakrieg vermieden hatte – und bis heute vermeidet –, die Rolle der Armee im „Kampf“ öffentlich zu diskutieren und die Mandate bei Auslandseinsätzen seit denen im Jugoslawienkrieg ab 1991 als „Friedensmissionen“ abgefasst wurden, geriet die damalige Regierung nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 vor ein enormes Dilemma: Einerseits Solidarität mit den USA zu zeigen, aber was sollten andererseits die ersten Äußerungen von US-Präsident George W. Bush bedeuten, als er einen „Kreuzzug gegen das Böse“ ankündigte, der „diese Leute in ihren Löchern ausräuchern“ werde? Denn einen Tag nach 9/11 hatten die USA den „Bündnisfall“ für die Nato aktivieren lassen, wenngleich zunächst nur provisorisch. Er bleibe „très réservé sur la participation de troupes luxembourgeoises“, erklärte am 17. September 2001 DP-Verteidigungsminister Charles Goerens im Républicain Lorrain, und „cette perspective ne me semble pour l’instant pas réelle, ce qui ne veut pas dire qu’elle ne pourrait pas l’être demain“.

Auf der Rechten und der Linken zeichneten sich unterschiedliche Positionen ab. Zwei Tage nach 9/11 kündigte der Leitartikel im Luxemburger Wort an: „Die Weltmacht Amerika ist angeschlagen. Untergehen wird sie durch solche Attacken nicht. Sie wird die Mörder jagen. Dafür braucht sie die Unterstützung all ihrer Freunde. Die freie Welt muss enger zusammenrücken.“ Das Tageblatt hingegen titelte am 15. September 2001: „Ben Laden, produit des alliés américians en orient“ und interviewte den amerikanischen Journalisten John Cooley. Der hatte 1999 in seinem Buch Unholy Wars beschrieben, wie die US-Regierung unter Präsident Jimmy Carter entschied, muslimische Kämpfer aus der ganzen Welt durch die CIA rekrutieren zu lassen, um eine Söldnerarmee gegen die sowjetischen Truppen zu schaffen, die 1979 in Afghanistan einmarschiert waren.

Diskussionen über Afghanistan, dem George W. Bush am 20. September 2001 in einer Rede vor dem US-Kongress mit einem Angriff gedroht hatte, falls die Taliban Bin Laden und alle anderen Anführer von al Kaida nicht auslieferten, wurden in Luxemburg zunächst nur hinter verschlossenen Türen parlamentarischer Ausschüsse geführt. Immerhin hatte Bush noch erklärt, „dies ist der Kampf für alle, die an Fortschritt und Pluralismus glauben, an Toleranz und Freiheit. Wir bitten alle Länder, sich uns anzuschließen“. Doch was genau das heißen sollte, war noch immer unklar. Zumal US-Außenminister Colin Powell eine Woche nach Bushs Kongressrede sagte, der Sturz des Taliban-Regimes in Afghanistan sei „kein erklärtes Ziel“ der USA.

Die internationale Presse aber begann, den Luxemburger Finanzplatz mit einer eventuellen Finanzierung von Terrorismus in Verbindung zu bringen. Das musste die CSV-DP-Regierung alarmieren. DP-Außenministerin Lydie Polfer klagte nach der Regierungsratssitzung vom 28. September 2001: „Oft wissen die, die über uns schreiben, sehr wenig über den gesetzlichen Rahmen des Bankplatzes. Dabei befinden wir uns im Spitzenpeloton jener Länder, die sich im Kampf gegen die internationale Finanzkriminalität engagiert haben.“ Gleich nach der Zustellung eines Dekrets des US-Präsidenten habe die CSSF „eine Liste mit den Namen von 27 Personen und Organisationen“ überprüft, aber keine Hinweise auf Beziehungen von al Kaida zum Luxemburger Finanzplatz gefunden (Luxemburger Wort, 29.9.2001).

Das Finanzparadies als verantwortungsvollen Nato-Partner darzustellen, war Politikziel. Als die USA und Großbritannien Anfang Oktober 2001 Afghanistan zu bombardieren begannen, stellte die Regierung den Findel und den Luxemburger Luftraum zur Verfügung. Gleichzeitig bekräftigten CSV-Premier Jean-Claude Juncker und Außenministerin Polfer, „die größte Herausforderung für die Zukunft besteht in der Reorganisation Afghanistans nach der Niederlage und Entmachtung des Taliban-Regimes“ (Polfer) und „[w]ir müsssen uns intensiv darum bemühen, dass in Afghanistan eine demokratisch-repräsentative Regierung an die Macht kommt, und müssen uns mit dem riesigen humanitären Problem in Afghanistan beschäftigen“ (Juncker). Während Charles Goerens die Aufrüstung der Armee verwaltete, wurde Luxemburg zum besonderen Fürsprecher von Demokratieexport und Nation Building.

Diesem edlen Ziel, das natürlich auch dem Image des Finanzstandorts zuträglich war, konnte sich die gesamte politische Klasse anschließen. Sie demonstrierte das in der ersten öffentlich abgehaltenen Debatte über Afghanistan am 23. Oktober 2001 in der Abgeordnetenkammer. CSV und ADR brachten dort dem Vergeltungsschlag der USA mehr oder weniger Verständnis entgegen. Linke und Grüne sinnierten, es gehe vielleicht um eine durch Afghanistan geplante Erdölleitung. Die LSAP und die DP mit ihrem Verteidigungs- und Entwicklungshilfeminister Goerens betonten, nach dem Krieg müsse viel Entwicklungshilfe mobilisiert werden.

Lästige Fragen wurden keine gestellt. Etwa nach den Zusammenhängen für das Aufkommen radikalislamischen Terrorismus. Dabei hatte schon 1998 Zbigniew Brzezinski, Sicherheitsberater von US-Präsident Carter, in einem Interview mit dem Nouvel Observateur zugegeben, dass die CIA-Operation zur Rekrutierung muslimischer Kämpfer schon vor dem Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan begonnen hatte: „(...) c’est en effet le 3 juillet 1979 que le président Carter a signé la première directive sur l’assistance clandestine aux opposants du régime prosoviétique de Kaboul. Et ce jour-là j’ai écrit une note au président dans laquelle je lui expliquais qu’à mon avis cette aide allait entraîner une intervention militaire des Soviétiques.“

Dass die USA die Sowjetunion damit zur Invasion getrieben hätten, wollte Brzezinski nicht so sehen, „mais nous avons sciemment augmenté la probabilité qu’ils le fassent“. Die Geheimoperation sei „une excellente idée“ gewesen. „Elle a eu pour effet d’attirer les Russes dans le piège Afghan.“ Auf die Frage, ob er nicht bereue, „d’avoir favorisé l’intégrisme islamiste, d’avoir donné des armes, des conseils à de futurs terroristes“, entgegnete er: „Qu’est-ce qui est le plus important au regard de l’histoire du monde? Les talibans ou la chute de l’empire soviétique? Quelques excités islamistes où la libération de l’Europe centrale et la fin de la guerre froide?“

Als Luxemburg im Juni 2003 die ersten Soldaten nach Afghanistan schickte, hatten die USA im Irak schon den zweiten Krieg begonnen. Er lenkte Aufmerksamkeit und Ressourcen von Afghnaistan ab. Insgesamt entsandte Luxemburg bis zum Mai dieses Jahres 333 Soldatinnen und Soldaten zu Isaf und Resolute Support. Bis 2019 kostete das Afghanistan-Engagement, Militärkosten und humanitäre Hilfe zusammengerechnet, nach Regierungsangaben 100 Millionen Euro.

Peter Feist
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