ZUFALLSGESPRÄCH MIT DEM MANN IN DER EISENBAHN

Piraten s.à r.l.

d'Lëtzebuerger Land du 13.12.2024

Am Wochenende tagt in Petingen die Hauptversammlung der Piraten. Einer als Partei getarnten mittelständischen Firma. Die Gesellschafter wollen um den Besitz der Firma streiten. Auch mit einer Statutenänderung ihr Publikum besänftigen.

Die Firma wurde 2009 von einigen Jungunternehmern gegründet. Geschäftsgrundlage ist eine Franchise. Franchisen von McDonald’s, Starbucks sind kostspielig. Sie wählten die schwedische Piratpartiet. Deren Lizenz samt Logo ist kostenlos.

Die Marke steht für eine politische Partei. Den Jungunternehmern ist eine Société à responsabilité limitée vertrauter: Bei ihr muss kein Gesellschafter für die Schulden der Firma aufkommen. Ohne Einverständnis der Gesellschafter kann sich niemand in die Firma einkaufen.

Piraten ist kein modisches Start-up. Es ist eine kleine Werbeagentur. Sie produziert Plakate, Programme, Facebook-Reels, Werbegeschenke, Events. In Eigenregie oder mit andere Firmen der Gesellschafter als Subunternehmen.

Wichtigste Kunden sind die Gesellschafter selbst. Das Werbematerial dient ihrer Bewerbung um politische Mandate. Der Staat bezahlt die Wahrnehmung der Mandate als Dienstleistungen. Die Legitimierung, Verwaltung der herrschenden Verhältnisse lässt er sich etwas kosten.

Deshalb florierte das Geschäftsmodell. In zehn Jahren brachte es 6,2 Millionen Euro ein: Die Firma erhielt vier Millionen Euro an Parteifinanzierung, Wahlkampfkostenerstattung, Erstattung parlamentarischer Funktionskosten. Weitgehend steuerfrei. 2,2 Millionen Euro erhielten zwei Gesellschafter als Diäten, Familienzulagen, 13. Monat, Sitzungsgeld, Ausgleich für Selbständige.

Die Gesellschafter betrachten Piraten als Privatfirma, Firmengelder als privates Geld. Sie reisen auf Firmenkosten, gehen auf Firmenkosten ins Restaurant, zum Friseur, borgen sich Geld aus der Firmenkasse. Die Firma macht Geschäfte mit der staatlichen Einwanderungsbehörde. Die Gesellschafter, ihre anderen Firmen verdienen daran. Können Firmeninhaber das eigene Gesellschaftskapital veruntreuen, in Konflikt mit den Interessen der eigenen Firma geraten?

Unbekümmert ist auch die Buchführung. 2014 beanstandete der Rechnungshof, dass „des comptes de charges étaient repris plusieurs fois“. 2015: „[D]es dons à hauteur de 15.185 euros ont été doublement comptabilisés.“ 2017: „[L]e parti a systématiquement eu recours à une entreprise interposée pour des commandes.“ 2018: „Un membre du parti a payé des frais de campagne [...], ces frais ont été repris dans les charges.“ 2018: „[U]n autre véhicule a été acheté pour 9.000 euros via une entreprise interposée (société de consultance) et comptabilisé sous le compte ‚Autres honoraires‘.“

Die Gesellschafter sind Geschäftspartner. Keine Freunde. Lange überwogen gemeinsame Geschäftsinteressen. 2021 versprach ihnen die Marktforschungsfirma Ilres sieben Abgeordnetenmandate. Sie sahen die Bäume in den Himmel wachsen.

Am Ende gewannen sie ein einziges Mandat hinzu. Sie haben es schon verloren. Die Firma stürzte in eine Wachstumskrise. Mit dem Erfolg verloren die Geschäftsmänner die Sympathien. Als Mehrheitsbeschaffer fallen sie nicht ins Gewicht. Deshalb brauchen Parteien, Presse keine Rücksicht mehr zu nehmen. Schlagartig entdecken sie die Skrupellosigkeit der Firma.

Die neue Kümmernis verfeindet die Gesellschafter. Sie beschimpfen sich vor laufenden Kameras. Die Gefolgschaft zieht sich zurück. Die 400 Männer und Frauen wurden Opfer einer politischen Butterfahrt: Die Gesellschafter verlangten ihnen zehn Euro ab. Versprachen dafür eine Parteimitgliedschaft, ein Mitspracherecht. In Wirklichkeit war es bloß Eintrittsgeld. Um den Events der Werbeagentur als Publikum beizuwohnen.

Romain Hilgert
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