Films made in Luxembourg

For the greater good

d'Lëtzebuerger Land du 15.06.2018

In der Villa der kanadischen Umweltministerin (dargestellt von Désirée Nosbuch) gibt es einen „Panic Room“ mit Fluchttunnel nach draußen. Ausgerechnet auf diesem Weg dringen maskierte Schwerbewaffnete ins Haus ein, als die Ministerin mit einem Öl-Milliardär, einem Mineralwasser-Milliardär und der Chefin einer dubiosen chinesischen Sicherheitsfirma zusammensitzt. Die vier werden von den Eindringlingen entführt und finden sich in einer Zelle wieder. An den Wänden hängen Flachbildschirme, von denen eine künstliche Figur verkündet, gleich werde den Gefangenen für ihre Schandtaten der Prozess gemacht und eine globale Internet-Gemeinschaft über ihre Schuld urteilen.

Pol Cruchtens neuer Spielfilm Justice Dot Net, koproduziert von der Luxemburger Iris Group mit Partnern in Kanada und Irland, beginnt wie ein effizient gedrehter Thriller und geht noch eine Weile so weiter: Die Polizei von Montreal sucht nach den Entführten und nach dem Ursprung des quer über den Planeten gerouteten Internet-Streams, derweil die Gefangenen in ihrer Zelle mit ohrenbetäubender Rockmusik und Reizgas gequält werden, damit sie ihre Schuld bekennen. Weil das ziemlich brutal in Szene gesetzt ist, mag der Zuschauer das Auftauchen einer US-Söldnertruppe begrüßen, die schneller und besser sein will als die kanadische Polizei, was die Spannung steigert.

Doch wie oft will Pol Cruchten auch mit Justice Dot Net eine Botschaft verbreiten oder zumindest an den Verhältnissen rütteln. Die vier Gefangenen haben offenbar nicht nur Dreck am Stecken, sondern im wahrsten Sinne des Wortes Dreck über die Welt gebracht, sind Schuld an verschmutzten Böden und Gewässern in Kanada und an der Kommodifizierung von Trinkwasser in armen Ländern Asiens und Lateinamerikas. Vielleicht sind die vier Entführer mit Jake De Long (Martin McCann) an der Spitze als Aufklärer ja nötig, und dem Internet sei Dank hat ihr Schauprozess globale Reichweite?

Es ist eine moralische Unbestimmtheit, die Justice Dot Net vom Thriller nach dem Gut-Böse-Schema wegführt, hin zu einem Reflexionsversuch über die Dinge, wie sie vermutlich sind: Wer Kapital besitzt, will mehr davon, findet irgendwie immer einen Minister oder, wie hier, eine Ministerin, die ihm Vorteile verschafft, unterhält mitunter beste Kontakte zu besonders Mächtigen in den USA und wieso nicht sogar eine private Söldnertruppe. Die vier Entführer wiederum sind nicht nur sendungsbewusst, sondern auch von nicht gerade zu vielen Skrupeln geplagt, und anscheinend ist zumindest ihr Anführer, den man zu Beginn auf einem Motorrad im Luxemburger Stadtgrund vor der Polizei fliehen sah, in seiner Mission weltweit unterwegs. So dass sich die Frage stellt, was in der vernetzten Welt Bilder bedeuten, die mit vorgeblich guter Absicht ins Netz gestellt werden.

Allerdings fehlt es der Reflexion an Raffinesse. Cruchten lässt es sich nicht nehmen zu zeigen, wem seine Sympathien gehören: Überwiegend ist der Film aus reportagehafter Distanz aufgenommen. Wenig nahe kommt der Zuschauer dadurch den vier Entführten, die überdies ziemliche Karikaturen sind und entweder alte Knacker (die zwei Milliardäre), hysterisch (die Ministerin) oder notorisch undurchdringlich (die chinesische Sicherheits-CEO). Die Entführer dagegen sind nicht nur viel jünger, sondern obendrein sexy; die vielen Close-ups, die Cruchten ihnen gönnt, unterstreichen das noch. Auch wissen sie was sie tun, streiten manchmal darüber, aber in den Bilderfluss montierte Aufnahmen von verdrecktern Gewässern, Plastikabfällen im Meer und ölverschmierten Vögeln suggerieren, dass ihre Sache eine gerechte sein muss.

Um ein Haar hätte das Justice Dot Net zum Leitartikel für Öko-Whistleblower werden lassen. Zum Glück rettet Cruchten am Ende die Show und wirft die sehr grundsätzliche Frage auf, was das Gezeigte über den demokratischen Rechtsstaat aussagt und welche Perspektiven ihm bleiben, wenn die ermittelnde Polizistin mit dem Statement konfrontiert wird: „Sometimes you have to take matters into your own hands, for the greater good!“ Aufgerieben zwischen einerseits ihrem Job, die Wahrheit zu finden, andererseits Beeinflussungen von oben, das besser nicht zu tun, ist Deputy Commissioner Hélène Langelier (Pascale Bussières) die mit Abstand interessanteste Figur in dieser Geschichte.

ephemera d’Armand Quetsch a été réalisé grâce à la Bourse CNA- Aide à la création et à la diffusion photographique, il est publié chez www.peperoni-books.de. L’exposition Extraits sans titres sera ouverte jusqu’au 31 octobre au centre d’art Nei Liicht à Dudelange ; www.centredart-dudelange.lu.

Peter Feist
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