Am Sonntag übergibt Corinne Cahen den Parteivorsitz der DP an Lex Delles. Familienministerin will sie nach 2023 auch nicht mehr sein. Was will sie denn? Ein Gespräch

„Ich brenne für Politik“

d'Lëtzebuerger Land du 10.06.2022

d’Land: Frau Cahen, in einem Jahr sind Gemeindewahlen. Werden Sie für das Bürgermeisteramt der Stadt Luxemburg kandidieren oder nicht?

Corinne Cahen: Keiner weiß, was in einem Jahr sein wird. Ich habe keine Lust mich dazu zu äußern, denn jedes Wort, das ich sage, wird in die eine oder andere Richtung interpretiert. Es ist vor allem die Presse, die mir diese Frage ständig stellt. Bei uns intern ist das gar kein Thema.

Die Presse hat dieses Gerücht ja nicht erfunden, sondern lediglich aufgegriffen. In genau einem Jahr sind Wahlen. Die Entscheidung, ob sie kandidieren wollen, müssen Sie wohl oder übel schon vorher treffen.

Ich war jetzt sieben Jahre Parteipräsidentin und aus meiner Erfahrung heraus kann ich Ihnen sagen, dass der Wahlkampf nicht schon ein Jahr vor den Wahlen beginnt, jedenfalls nicht bei der DP. Das würde ja bedeuten, dass wir ein Jahr von unserer Arbeit opfern.

Im RTL Radio und gegenüber Paperjam haben Sie durchblicken lassen, Sie hätten Interesse am Bürgermeisteramt.

Ich habe gesagt, dass ich meine Stadt mag. In diese Aussage wurden Dinge hineininterpretiert. Ich möchte mich jetzt nicht dazu äußern, damit man mir in einem Jahr nicht vorhalten kann, ich hätte was anderes gesagt. Natürlich bin ich ein Stater Meedchen und interessiere mich dafür, was hier läuft. Das war schon so, bevor ich Politikerin wurde.

Was interessiert Sie als Stater Meedchen denn besonders an der Stadt Luxemburg?

Mich interessieren unheimlich viele Dinge. Die Lebensqualität, das Zusammenleben und die Schulen. Die Fahrradwege, denn ich fahre ganz viel mit dem Rad. Mich interessieren auch Obdachlosigkeit und Barrierefreiheit. Dafür habe ich mich schon vor meiner politischen Karriere engagiert. Während der Flüchtlingskrise von 2011 bin ich mit Schlafsäcken durch das Land gefahren. Mich interessiert, wieso der obdachlose Mann vor dem Cercle Cité sitzt. Weshalb wir ihn heute nicht von da weg bekommen, welche Erklärungen es dafür gibt und was wir tun können, um ihm dabei zu helfen, wieder ein Lebensprojekt zu entwickeln. Dafür brenne ich.

Mich interessieren diese Dinge auch, aber Sie sind Politikerin und als solche ist es Ihre Aufgabe, etwas an diesen Missständen zu ändern. Können Sie diese Probleme besser auf lokalpolitischer oder nationalpolitischer Ebene angehen?

Man kann sich auch engagieren, ohne parteipolitisch aktiv zu sein. Das habe ich vor 2013 getan. Als Politikerin kann man sich natürlich umfassender einsetzen. Wir haben im Familienministerium das Housing First weiterentwickelt und massiv in Streetworker investiert. Aus Erfahrung weiß ich, dass es nicht reicht, einem Obdachlosen 1 000 Euro und eine Wohnung zu geben, und danach ist alles in Ordnung. Deshalb brauchen wir Streetworker, die jeden Tag mit den Menschen reden. Als Politiker müssen wir den Hilfsvereinigungen die notwendigen Mittel zur Verfügung stellen, damit sie ihre Arbeit machen können. Das heißt aber nicht, dass man Politiker sein muss, um sich zu engagieren.

Natürlich nicht, aber ich interviewe Sie ja als Politikerin...

Ja, aber Sie fragen mich, auf welcher Ebene man besser helfen kann. Man kann überall helfen.

Was würden Sie denn anders machen, wenn Sie auf kommunalpolitischer Ebene etwas zu sagen hätten? Die Armut scheint ein Problem in der Stadt Luxemburg zu sein. Am Wochenende haben zudem rund 1 000 Menschen für sichere Radwege demonstriert...

Ich war dabei, aber ich bin nicht mit durch die Stadt geradelt. Ich bin sowieso immer mit dem Rad unterwegs.

Es bleibt demnach noch viel zu tun. Wie würden Sie diese Versäumnisse angehen, wenn sie sich lokalpolitisch engagieren würden?

Wir sind ja hier in einer Interviewsituation mit sehr vielen Conditionellen. Es ist nun mal so, dass ich immer eine Meinung zu allem habe. Ich bin der Meinung, dass man in der Stadt Luxemburg weitergehen muss, was ja auch passiert, doch das geht nicht von heute auf morgen. Wenn Sie nicht in der Verantwortung sind, ist es immer einfach, doch wenn Sie in der Verantwortung sind, geht es nicht immer so schnell, wie Sie es möchten. Natürlich brauchen wir sichere Wege für Fußgänger und Radfahrer, und auch für Autofahrer. Ich finde, in der Oberstadt sollten keine Autos mehr durch die Rue du Fossé fahren. Es ist ja auch verboten, doch leider haben wir nicht genug Polizisten, die das kontrollieren. Ich könnte noch viele weitere Bereiche aufzählen, in denen wir auf dem richtigen Weg sind, wir uns aber noch anstrengen müssen. Die Stadt Luxemburg ist Vorreiter bei der Barrierefreiheit, doch das heißt nicht, dass sie nicht noch besser werden kann. Auch bei der Wohnungsnot und beim Leerstand von Geschäften sind noch Verbesserungen möglich.

RTL, Wort und TNS Ilres haben Lydie Polfer nach vier Jahren erstmals wieder in den Politmonitor aufgenommen, wohl nicht ohne Grund. Im Unterschied zu ihr haben Sie nicht besonders gut abgeschnitten. Macht Ihnen das was aus?

Ich habe noch nie gut im Politmonitor abgeschnitten. Was soll ich Ihnen sagen? Wenn ich sage, es mache mir nichts aus, wirke ich überheblich. Wenn ich sage, es mache mir etwas aus, bin ich eine Pleureuse. Es ist, was es ist: eine Bestandsaufnahme, für die eine gewisse Anzahl von Wählern befragt wurde. Viele davon wohnen nicht im Zentrum, nur wenige Befragte sind aus der Stadt Luxemburg.

Vor den Kammerwahlen 2018 waren die Umfragewerte sehr ähnlich wie heute, bei den Wahlen ließen Sie Lydie Polfer dann aber hinter sich. Könnten Sie sich vorstellen, im nächsten Jahr mit ihr zusammen in der Stadt Luxemburg zu kandidieren?

Nichts ist ausgeschlossen, aber es ist auch noch nichts beschlossen. Ich habe ein gutes Verhältnis zu Lydie Polfer, ich kenne sie schon sehr lange. Es gibt kein schlechtes Feeling zwischen uns, aber bislang sind wir noch nicht in einem Wahlszenario.

In der Stadt Luxemburg steht viel auf dem Spiel. Sollte die DP auch nur ein bisschen an Zustimmung verlieren, könnten CSV, LSAP und Grüne das als Legitimation für eine Dreierkoalition auslegen und die DP in die Opposition verbannen. Würden Sie mitgehen?

Jetzt sind wir noch weiter in den Hypothesen. Ich bin noch nicht einmal angetreten und Sie sehen mich schon in der Opposition. Ich will einen engagierten Bürgermeister, der das Herz am rechten Fleck hat und sich um die Stadt und ihre Einwohner kümmert. Bei den anderen Parteien sehe ich keinen, der das nötige Flair, die Dynamik und ein geeignetes Projekt dafür hätte. Man braucht aber ein Projekt, denn man kandidiert nicht bei Wahlen, um sein eigenes Ego zu befriedigen. Das brauche ich wirklich nicht und ich glaube auch nicht, dass ich noch irgendetwas beweisen muss.

Haben Sie denn ein Projekt?

Bevor ich 2013 mit der DP in den Wahlkampf zog, hatten bereits alle anderen Parteien mich gefragt, sogar die an den Rändern. Alle sind sie bei mir im Schuhladen defiliert, damit ich für sie bei den Kommunal-, National- oder Europawahlen antrete. Wieso habe ich mich schließlich zur Wahl gestellt? Weil ich ein Projekt hatte, für das ich gebrannt habe, weil ich die Work-Life-Balance verbessern wollte, weil ich mich gegen Armut und Obdachlosigkeit, für Menschen mit Behinderung und für ältere Mitbürger engagieren wollte. Wieso bin ich ins Familienministerium gegangen? Nicht weil mich jemand angerufen hat und mir gesagt hat, ich solle das tun. So war das nicht. Man hat mir ganz andere Ressorts angeboten. Aber das kam für mich nicht in Frage. Man muss brennen, wenn man Politik machen will. Das ist meine Meinung. Und die Stadt Luxemburg verdient es, einen Bürgermeister zu haben, der brennt und der ein Projekt hat; und nicht einen, der nur Politik macht, um wichtig zu sein.

War das jetzt Ihr Projekt für 2023?

Das ist kein Projekt, das ist nur meine Meinung.

Dann haben Sie kein Projekt?

Zurzeit ist mein allerwichtigstes Projekt, als Fami-lienministerin noch zwei Gesetze durch die Kammer zu bringen: das zur Qualitätssicherung in den Alters- und Pflegeheimen und das über die Organisation des Zusammenlebens.

Gegenüber RTL haben Sie bereits angekündigt, nach 2023 nicht mehr Familienministerin sein zu wollen...

Weil ich der Meinung bin, dass man nach zwei Mandaten sein Projekt umgesetzt haben muss. Wenn man es in dieser Zeit nicht schafft, braucht man auch kein drittes.

Also sind Sie der Ansicht, Sie hätten Ihr Projekt in der Regierung umgesetzt?

Ich habe alles umgesetzt, was ich mir vorgenommen hatte: Elternurlaub, Barrierefreiheit, ältere Menschen, der Kampf gegen die Armut. Das muss aber von anderen weitergeführt werden. Es ist ja nicht so, dass ich eine perfekte Welt hinterlasse. So etwas existiert gar nicht.

Seit 2013 haben Sie als Ministerin 23 Gesetzentwürfe auf den Weg gebracht. Andere Ministerinnen haben drei- bis viermal so viele Entwürfe deponiert. Herrschte in Ihren Ressorts Familie und Großregion so wenig Reformbedarf?

Im Familienministerium müssen wir ja nicht für jede Schulorganisation einen Gesetzentwurf schreiben. Unsere Projekte sind groß, von substanziellem Ausmaß. Dafür bedurfte es vieler Verhandlungen mit zahlreichen Partnern. Das Ressort Großregion hat keine legalen Kompetenzen. Dieses Ministerium ist eher ein Vermittler für die anderen Ressorts in grenzüberschreitenden Angelegenheiten.

2018 haben Sie die Aufnahme von Geflüchteten an Jean Asselborn abgegeben. Waren Sie damit überfordert?

Das hatte praktische Gründe. Die Hilfsvereinigungen haben uns darum gebeten, weil es während der Flüchtlingskrise von 2015 und 2016 für sie nicht immer gleich ersichtlich war, wer wofür zuständig ist. Deshalb ist es besser, wenn alle Dienste im Ministe-rium für Einwanderung versammelt sind.

Seit 2013 haben Sie sich ein Image als Sozialpolitikerin aufgebaut. Woher kommt dieses Bedürfnis, anderen Menschen zu helfen?

Ich baue mir kein Image auf, ich bin einfach ich. Im Bahnhofsviertel haben wir uns schon immer um Arme und Obdachlose gekümmert. Wir haben ihnen etwas zu essen gegeben, sie bei Bedarf eingekleidet. Wir wollten verstehen und helfen, wo es ging. Für mich und meine Kinder ist das eindeutig: Man kann nicht froh sein, wenn es anderen nicht gut geht.

Immer mehr Menschen in Luxemburg geht es trotz Arbeit nicht gut. Der Anteil an Working Poor ist der zweithöchste in der EU. Anstatt sich nur um Obdachlose zu kümmern, müsste die Regierung nicht besser darauf achten, dass sie gar nicht erst auf der Straße landen?

Man darf Working Poor nicht mit Obdachlosen verwechseln. Das sind zwei unterschiedliche Kategorien von Menschen. Das Hauptproblem sind die Wohnungspreise, die einen großen Teil der Löhne auffressen. Wir im Familienministerium haben geholfen, indem wir die Agence immobilière sociale massiv gestärkt haben. Es ist normal, dass Menschen anfangen, in Wohnungen zu investieren, wenn die Zinsen auf dem Ersparten ausbleiben. Aber es ist auch eine Verantwortung von Gemeinden, Staat und jedem Einzelnen, dafür zu sorgen, dass keine Wohnung leer bleibt.

Die DP stellte fünf Jahre lang den Wohnungsbauminister, 2018 hat Sie das Ressort an die Grünen abgegeben. Keine der beiden Parteien hat die Lage in den Griff bekommen. Wenn die Regierung sich eingesteht, dass sie nichts gegen steigende Wohnungspreise unternehmen kann, müsste sie dann nicht auf andere Weise dafür sorgen, dass jeder sich eine Wohnung leisten kann?

Wir bieten ja Hilfen an – Marc Hansen hat die Mietsubvention eingeführt –, doch der Staat kann nicht immer noch mehr Mittel zur Verfügung stellen. Im Idealfall kann man von seinem Einkommen leben. Für Alleinerziehende ist das aber oft nicht so einfach, deshalb müssen wir denen besonders unter die Arme greifen – nicht nur finanziell, auch organisatorisch. Mit der kostenlosen Kinderbetreuung und gratis Schulbüchern haben wir die Familien extrem entlastet. Dieses Geld können sie nun für andere Dinge ausgeben.

Ihr bislang wohl wichtigstes politisches Vermächtnis ist die Reform des RMG–Gesetzes. Den Erhalt des Revis haben Sie an strengere Bedingungen geknüpft. Ist der Staat lange Zeit zu großzügig umgegangen mit Menschen, die keine Arbeit finden?

Mich hat fundamental am RMG gestört, dass Menschen, die mehr als 20 Stunden „aktiviert“ waren (z.B. bei gemeinnütziger Arbeit, Kursen, Weiterbildungen; Anm.d.Red.), am Ende des Monats weniger Geld bekamen. Ferner bin ich der Meinung, dass Menschen, denen aus psychologischen, sprachlichen oder anderen Gründen der Zugang zum ersten Arbeitsmarkt verwehrt bleibt, nicht zuhause sitzen sollen. Man soll ihnen dabei helfen, ihre Probleme oder ihre Sucht in den Griff zu bekommen. Man fühlt sich ja wertgeschätzt, wenn man etwas schönes und nützliches tun kann. Nicht zuletzt stellen wir dem Comité national de défense sociale und anderen Partnern mehr Mittel zur Verfügung, um den Menschen zu helfen, die gar nicht mehr auf den ersten Arbeitsmarkt zurück können.

Mit der Sozialpolitik wollen sie nächstes Jahr abschließen. Dem Paperjam haben sie erzählt, sie fänden das Arbeitsministerium „sexy“. Was genau finden sie daran so anziehend?

Bei der Work-Life-Balance bleibt noch viel zu tun. Mit Nicolas Schmit haben wir in der ersten Legislaturperiode mehrere Reformen im Bereich des Elternurlaubes und des Zusammenlebens von Familien umgesetzt. Nach der Covid-Krise müssen wir die Arbeitswelt noch weiter an die Realität anpassen. Wir brauchen mehr Flexibilität.

Was verstehen Sie unter Flexibilität?

Ein Beispiel: Wenn Sie 40 Stunden pro Woche arbeiten, sieht das Gesetz vor, dass Sie in einem Zeitraum von sieben Tagen mindestens 44 aufeinanderfolgende Stunden Ruhezeit haben müssen. Manche Arbeitnehmer würden sich aber wünschen, dass sie diese Ruhezeit flexibler aufteilen könnten. Auch die Unternehmen würden sich mehr Flexibilität wünschen. Das müsste man zusammen mit den Sozialpartnern angehen.

LSAP-Arbeitsminister Georges Engel hat mit der 38-Stunden-Woche ja schon einen interessanten Vorstoß im Hinblick auf die Verbesserung der Work-Life-Balance gemacht. Unterstützen Sie sein Vorhaben?

Das ist ein ganz anderes Thema. Flexibilität heißt, dass man mehr arbeitet, wenn man Zeit dafür hat, und weniger arbeitet, wenn man – aus welchen Gründen auch immer – Zeit für sich braucht oder wenn das Unternehmen etwas ruhiger läuft. Das hat nichts mit Arbeitszeitreduzierung zu tun.

Arbeitnehmer müssen aber gesetzlich vor Ausbeutung geschützt sein. Schließlich stehen sie in einem Lien de subordination zu ihrem Arbeitgeber. Im aktuellen Koalitionsabkommen steht geschrieben, dass die „Gesetzgebung in Sachen Tarifverträge“ überarbeitet werden soll, was aber bislang nicht passiert ist. Würde die DP diesen Punkt übernehmen, wenn sie den nächsten Arbeitsminister stellen würde?

Für die DP ist es eindeutig, dass der beste Sozial-
dialog in den Betrieben geführt wird. Man kennt sich, man sieht sich jeden Tag und alle Beteiligten wissen, was auf dem Spiel steht.

Das heißt, Sie wollen das Kollektivvertragswesen stärken?

Das hängt immer vom Wirtschaftsbereich ab und wie der Interessenverband des jeweiligen Sektors das sieht. In den Betrieben funktioniert der Sozialdialog am besten.

Ich habe Sie ja aber nach der Tarifvertragsgesetzgebung gefragt, nicht nach dem Sozialdialog.

Der Tarifvertrag ist ja der Sozialdialog.

Gibt es noch andere Ressorts, die Sie interessieren würden?

Ich habe nie behauptet, dass ich morgen Arbeitsministerin werden will. Ich habe das nur gesagt, weil ich von Paperjam zu dieser Aussage gedrängt wurde. Ich kann Ihnen lediglich sagen, welche Ressorts für mich nicht in Frage kämen. Zum Beispiel die Entwicklungszusammenarbeit. Ich mag es nicht, zu reisen, ich bin gerne bei meiner Familie, ich mache lieber hier Politik.

In der Entwicklungszusammenarbeit könnten Sie auch armen Menschen helfen.

Absolut.

Würde es Sie reizen, Luxemburgs erste Premierministerin zu werden?

Daran habe ich noch nicht gedacht. Ich glaube nicht, dass diese Frage sich stellen wird.

Sie halten sich mit Äußerungen über Ihre politische Zukunft sehr zurück. Andere DP-Mitglieder gehen offensiver vor. Barbara Agostino hat sich bereits als neue Bildungsministerin empfohlen. Was sagt Claude Meisch dazu?

Barabara Agostino hat gesagt, sie träume davon, Bildungsministerin zu werden.

Ja, aber sie hat ihr Kita-Imperium aufgegeben, um eine politische Karriere anzustreben. Das scheint schon mehr als nur ein Traum zu sein. Hört Claude Meisch nächstes Jahr auf?

Am Ende entscheidet noch immer die Partei, wer auf den Wahllisten steht. Und als Noch-Parteipräsidentin kann ich Ihnen sagen: Ich gehe fest davon aus, dass alle Mandatsträger für Oktober 2023 gesetzt sind.

Bei den letzten Umfragen im November hat die DP nicht besonders gut abgeschnitten. Müsste sie 2023 in die Opposition, würden Sie diesen Weg mitgehen?

Einerseits bin ich der festen Überzeugung, dass Xavier Bettel Premierminister bleiben wird. Ich sehe keinen anderen, der das so gut machen könnte wie er. Es wäre nicht vorteilhaft für das Land, wenn in dieses Amt Menschen kämen, die Schwierigkeiten damit haben, Entscheidungen zu treffen. Andererseits brenne ich für Politik. Ich bin nicht einfach als Quereinsteigerin in die Regierung berufen worden. Ich habe mich 2013 zur Wahl gestellt, um der ersten Gewalt zu dienen, und das ist nun mal das Parlament.

Im Zentrum ist die DP mit Xavier Bettel, Yuriko Ba-ckes, Ihnen und unter Umständen Lydie Polfer gut aufgestellt. Mit Paulette Lenert könnten Sie nun starke Konkurrenz bekommen...

Sie wohnt doch in Remich...

Sie kann trotzdem im Zentrum kandidieren.

Natürlich, aber ich habe noch nicht gehört, dass das der Fall ist. Deshalb frage ich Sie.

Sie hat ja noch nicht einmal bestätigt, dass sie überhaupt antreten wird. Wie so viele zurzeit.

Ich habe Ihnen gesagt, dass bei der DP alle Mandatsträger gesetzt sind. Sehen Sie, wir sind schon ein Stückchen weiter.

Empfinden Sie die Konkurrenz durch Paulette Lenert als Bedrohung für ihre politische Karriere?

Ich habe Respekt vor jedem, der sich politisch engagiert.

Dafür, dass Sie Politik nicht machen, um ihr Ego zu befriedigen, vermarkten Sie sich ziemlich geschickt auf den sozialen Netzwerken. Xavier Bettel und Paulette Lenert tun das auch, andere Regierungsmitglieder sind da etwas zurückhaltender. Gehören die täglichen Selfies heute zum politischen Geschäft dazu oder machen das nur Minister, die politisch nichts vorzuweisen haben?

Das ist eine interessante Frage. Ich bin schon seit 2007 auf Facebook angemeldet. Seitdem habe ich mein Social-Media-Verhalten nur geringfügig verändert, weil ich als Ministerin nicht mehr so frech und direkt sein darf. Sonst hat sich nichts geändert. Außer, dass ich mich noch bei Instagram angemeldet habe, weil es das 2007 noch nicht gab. Ich war auch schon vor 2013 extrem viel auf Facebook. Ich bin ich, und ich setze mich ein, egal ob ich Ministerin bin oder nicht. Das ist mir wichtig.

Sie meinen, Sie waren auch schon vor 2013 eine Selfie Queen?

Absolut. Nachweislich. Ich mache aber nicht nur Selfies.

Manchmal lassen Sie sich auch mit und von anderen fotografieren.

Ja. Manchmal poste ich sogar Fotos, auf denen ich nicht zu sehen bin. Das kommt aber selten vor.

Am Samstag wählt die DP auf ihrem Kongress eine neue Parteispitze. Mit Lex Delles (37) für das Präsidentenamt und Carole Hartmann (35) für das der Generalsekretärin kandidieren zwei Politiker, die zehn bis 15 Jahre jünger sind, als Sie. Braucht die DP diesen Generationswechsel?

Eine Partei ist nichts Statisches, sie muss permanent erneuert werden. Für mich sind zwei Mandate als Parteipräsidentin genug. Das ist sehr viel Arbeit.

Anders als bei den Grünen und der LSAP existiert bei der DP keine Trennung zwischen Regierung und Partei. Ist diese Konzentration von Macht demokratisch?

Die LSAP hat ihre Statuten vergangenes Jahr dahingehend geändert, dass ein Regierungsmitglied Parteipräsident werden darf...

... in einer Doppelspitze mit einem Nicht-Regierungsmitglied. Die LSAP hat aber bislang nicht davon Gebrauch gemacht.

Unsere Gremien sind absolut demokratisch. Es ist sogar von Vorteil für die Partei, wenn der Präsident bei Regierungsverhandlungen dabei ist.

Führt das nicht dazu, dass Mitglieder ohne Mandat es schwerer haben, sich politisch zu profilieren?

Nein, im Comité directeur sitzen viele Mitglieder ohne Wählermandat. Im Bureau exécutif auch ein paar. Politik macht man nun mal nicht für sich selbst. Wer Politik machen will, muss eben auch gewählt werden.

Luc Laboulle
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