Schwimmverbände und Schwimmmeister warnen: Luxemburgs Kinder schwimmen immer schlechter. Was unternimmt der Staat?

Auf die Blöcke, los!

d'Lëtzebuerger Land du 01.06.2018

Das Thermometer zeigt sommerliche Temperaturen, die Badesaison hat begonnen. Bald füllen wieder Hunderte Familien und Kinder die Bäder im Land, planschen und schwimmen. Wenn sie e skönnen. „75 Prozent der Kinder, die ich im Becken sehe, können nicht richtig schwimmen“, warnt Joseph Grüneisen. Für den Schwimmmeister aus Monnerich steht fest: Schuld daran sei die „seit Jahren“ sinkende Qualität beim Schulschwimmen.

Den Sorgen und seinem Frust – und den der Kollegen – hat der Präsident der Association luxembourgeoise des instructeurs de natation (Anil) zuletzt mit einem Wutbrief an den obersten Bürger des Landes, Kammerpräsident Mars Di Bartolomeo, Luft gemacht. Der schrieb prompt zurück, der Tonfall sei der Sache nicht eben förderlich. Dass der ruhig wirkende Grüneisen einen harschen Ton wählte, erklärt er damit, dass seine Gewerkschaft „seit 2009 immer wieder versucht (hat), aber trotz Petition und Kampagne hat sich für uns nichts bewegt“. Mehrfach habe seine Gewerkschaft bei Beamten des Sport- und des Schulministeriums interveniert. Ohne Ergebnis. Viele seiner Kollegen hätten inzwischen resigniert.

Der Höhepunkt des Streits liegt drei Jahre zurück: Im Sommer 2015 waren die Schwimmmeister auf die Barrikaden gegangen. Ihre Vertreter, bei der Reform der Berufsausbildung in die Planungen einbezogen, als die dreijährige CATP- durch die modernisierte DAP-Berufsausbildung abgelöst wurde, wähnten sich gut mit dem Bildungsministerium. Dann aber habe die damalige Ministerin Mady Delvaux-Stehres (LSAP) die Schwimmmeister bei der Grundschulreform vergessen, sodass deren Rolle im Schulschwimmen unklar blieb. Das Schulgesetz von 2009 geht vom Grundschullehrer als „Allrounder“ aus: Eigentlich sollen alle Lehrkräfte sämtliche Fächer in ihrer Klasse selbst unterrichten.

Die Realität beim Schwimmen sah und sieht allerdings anders aus: Weil Kinder, wenn sie untertauchen, sich drehen und dabei schnell die Orientierung verlieren, schaffen sie es oft nicht allein zurück an die Oberfläche und können im schlimmsten Fall binnen Sekunden ertrinken. Vor einem Jahr war ein Kleinkind in Niederanven fast ertrunken und konnte in allerletzter Minute vom diensthabenden Schwimmmeister wiederbelebt werden. Im Baggersee bei Remerschen ertrank vor drei Jahren ein 16-Jähriger aus Malawi während eines Ausflugs. Viele Lehrkräfte scheuen daher das Risiko, größere Gruppen von Kindern im Wasser gleichzeitig zu betreuen, und geben den Schwimmkurs lieber an ausgebildete Leute vom Fach ab. Die sind vielleicht nicht immer pädagogisch optimal geschult, kennen sich dafür aber beim Schwimmen und Retten aus.

Die Reform von 2009 stellte diese friedliche Koexistenz von Lehrern und Schwimmmeistern in Frage. Der Schwimmmeister ohne Première durfte nicht länger Titulaire de classe sein und wurde auf die Rolle des Bademeisters zurückgestutzt. Der Schwimmunterricht blieb den Lehrern überlassen. Mit der Konsequenz, dass immer weniger Kinder hierzulande wissen, wie die Füße beim Brustschwimmen richtig halten oder wie atmen, und sich auch der nationale Schwimmverband besorgt zu Wort meldete. „Weil sich die Lehrer nicht sicher fühlten, haben entweder Chargés de cours den Schwimmunterricht gehalten, die oft nur einen Rettungsschwimmerschein hatten, oder Schwimmmeister. Rettungsschwimmen reicht als Ausbildung aber nicht aus, um einem Kind das Schwimmen beizubringen“, erläutert Nancy Kemp-Arendt, CSV-Abgeordnete, Präsidentin der Fédération luxembourgeoise de natation et de sauvetage (FLNS), Europacup-Siegerin im Triathlon und 1988 sowie 2000 Teilnehmerin der Olympischen Spiele in Seoul und Sydney.

Im Sommer 2015 platzte den Schwimmmeistern der Kragen: Ihre Gewerkschaft, die Anil, schaltete eine 50 000-Euro-Werbekampagne. Mit TV-Spot und Plakaten warb sie bei Eltern und der Öffentlichkeit, um Unterstützung und darum, das professionelle Schulschwimmen zu fördern. Ihre Petition erhielt 7 040 Unterschriften. „Das Grundschulalter eignet sich am besten, um Schwimmen zu lernen. Fehlhaltungen sind später schwer auszubügeln“, so Joseph Grüneisen, der die „langjährige Erfahrung“ und „tägliche Praxis“ seiner Kolleginnen und Kollegen beim Vermitteln von Schwimmtechniken unterstreicht. „Lehrer gehen vielleicht einmal wöchentlich ins Schwimmbad, für uns ist das der tägliche Arbeitsplatz.“

Doch wie seine Vorgängerin sieht auch Bildungsminister Claude Meisch (DP) hier die Lehrer in der Verantwortung. Seit 2016 bietet das Lehrer-Weiterbildungszentrum Ifen in Walferdingen neben dem Rettungsschwimmer, den jede Lehrkraft, die mit Schülern ins Wasser geht, bescheinigt haben muss und den die FLNS ausstellt, eine Einführung in die Methodik des altersgerechten Schwimmunterrichts. Die Handreichung stammt vom Schweizerischen Schwimmverband, der sich wie die FLNS sowohl um den Hochleistungs- als auch um den Breitensport kümmert, ist zweisprachig (Deutsch und Französisch) und so aufbereitet, Kinder spielerisch ans Schwimmen heranzuführen: Das geht von der Wassergewöhnung im Kleinkindalter bis zum Erlernen der verschiedenen Schwimmstile.

„Trotzdem kommen wir nur sehr langsam voran“, kritisiert FLNS-Generalsekretärin Christiane Meynen. Obwohl die Ifen-Kurse nachgefragt sind, wurden bisher vorrangig Vereinstrainer ausgebildet. 40 Lehrer haben bisher an der – freiwilligen – Fortbildung teilgenommen, sagt Trainer Christian Hansmann, Technischer Direktor des FLNS. Petingen war die erste Gemeinde, die ihr gesamtes Schulpersonal nach den Swiss-Swimming-Leitlinen schulen ließ. Als nächste will Esch-Alzette die Lehrkräfte und das Erziehungspersonal aus Kindergärten und Schulen in die Kurse schicken. Das soll Bürgermeister Georges Mischo (CSV) zugesagt haben. „So wie in Esch müsste es im ganzen Land sein“, lobt Meynen. Gehalten werden die Kurse von Schwimmtrainern mit A-Lizenz. Die Lehrer bekommen drei Theorie- und drei Praxiseinheiten sowie methodisch-didaktisches Material an die Hand, darunter ein Kartenset mit spielerischen Übungen, und den Schwimmpass. Im Pass sind vier Stile enthalten: neben Kraul-, Brust- und Rücken- das Delfinschwimmen und die Rollwende im Becken.

„Die Anforderungen sind zu hoch. Das brauchen Kinder in der Regel nicht“, sagt dagegen Joseph Grüneisen. Der Schwimmmeister ist überzeugt: Die 16-Stunden-Crashkurse reichten nicht, „um alle Schwimmstile korrekt zu vermitteln“, so wie er und seine Kollegen es tun: Neben Bädertechnikkenntnissen und Hygiene stehen in ihrem Ausbildungsplan Rettung und Sicherheit, aber auch die Vermittlung korrekter Schwimmtechniken. Das Bild vom Schwimmmeister, der barsch vom Beckenrand verschreckte Kinder ins Wasser abkommandiert, stimme nicht (mehr): „Heute lernen Auszubildende anhand von Videoanalysen und mit altersgerechtem didaktischen Material“, so Grüneisen.

So steckt hinter dem Tauziehen ein Streit darüber, wer besser geeignet ist, Luxemburgs Jugend das Schwimmen beizubringen: Die Schwimmmeister, die seit Jahrzehnten eben das getan haben und die sich jetzt ausgebootet fühlen und eine Entwertung ihres Berufs befürchten? Oder die Lehrer? Oder die Trainer der Verbände? Für Nancy Kemp-Arendt ist die Rollenverteilung klar: „Der Schwimmmeister ist als Bademeister für die Sicherheit im Bad zuständig.“ Er kümmere sich, dass die Wasserqualität stimmt, dass Badegäste die Hausordnung befolgten. Zudem wacht er als gelernter Rettungsschwimmer darüber, dass kein Kind und kein Erwachsener im Bad verunglückt. Im Schulalltag bedeutet diese Arbeitsaufteilung: Der Lehrer ist mit den Kindern im Wasser, für ihre Sicherheit aber ist der Bademeister zuständig, der am Beckenrand wacht, dass nichts geschieht. „Dann ist in Notsituationen nur ein Schwimmmeister für die Rettung da, eine Aufgabe, die zuvor auf mehreren Schultern lag“, warnt Grüneisen.

In Monnerich, eine von 27 Gemeinden im Land, die über ein Schwimmbad für Schulkurse verfügen, sind sie zu dritt: Je ein Schwimmmeister pro Klasse, oft sind zwei Klassen gleichzeitig im Becken, plus einen dritten, der die Aufsicht in der Halle hat. Im Notfall kann sich einer um einen Verletzten kümmern, einer um die Badegäste, der dritte um den Kontakt zu den Rettungsdiensten. Dass dieses Setting mehr Schutz bietet als zwei Personen leuchtet rechnerisch ein. Es kostet aber auch mehr. Statistiken darüber, wie viele Schwimmeister wann wo im Einsatz sind, wo sie anstelle der Lehrer unterrichten und wo Lehrer, gibt es nicht. Während in anderen Ländern Schätzungen darüber existieren, wie viele Kinder schwimmen können, ist das Ministerium hierzulande nicht mal in der Lage mitzuteilen, wie viele der drei Sportstunden wöchentlich in der Grundschule für Schwimmen verwendet werden. In manchen Schulen gehen Kinder durchgängig von ersten Zyklus bis zum vierten in die Schwimmhalle, in anderen wird die Schwimmlektion in zwei Zyklen erteilt. In zwei Monaten, wenn die Stundenabrechnungen für die Schwimmmeister vorliegen, lasse sich die Zahl extrapolieren, vertröstet Regierungsrat Pierre Reding das Land. Ihm zufolge ist der Schwimmunterricht in den über 150 Grundschulen landesweit gesichert. Nur beim Ersatz im Falle von Krankheit oder Urlaub gebe es Lücken.

Dieser Sichtweise widersprechen Schwimmföderation und Schwimmmeister jedoch vehement. Darin stimmen sie überein: dass bis heute, drei Jahre nach der Parlamentsdebatte und der Petition für einen professionellen Schulschwimmunterricht, das Ziel in weiter Ferne liegt. Einig sind sich beide Seiten auch darüber, wo die Schuldigen für die Dauermisere sitzen, obschon beide unterschiedliche Lösungsansätze vertreten: in der Politik respektive in den verantwortlichen Ministerien. „Alles ist fertig, das Ministerium muss nur die Dinge in die Hand nehmen, Nägel mit Köpfen und die Schulung für Lehrer verpflichtend machen“, ärgert sich Christiane Meynen, die eine koordinierte Vorgehensweise zwischen Sport- und Bildungsministerium auf der einen und Schulen und Vereinen auf der anderen Seite wünscht. Vor kurzem hatten Schulminister Claude Meisch (DP) und Sportminister Romain Schneider (LSAP) auf einer gemeinsamen Pressekonferenz betont, wie wichtig Sport zur Vorbeugung von Krankheiten sei. Meisch will verstärkt auf Bewegungserziehung in den Maisons relais setzen, die durch „Bewegungsräume“, in denen Kinder frei herumtoben, gefördert werden soll. Verbesserungsvorschläge für den Schwimmunterricht hatten beide Minister nicht dabei.

Auch in der Grundausbildung hapert es: Im Bachelor-Studiengang belegen Lehreranwärter zwar das Fach Sport, dort aber überwiegt die Theorie, die Schwimmpraxis kommt zu kurz. „Bei uns muss jeder ins Wasser“, betont Christian Hansmann. Die FLNS hat einen Vorschlag ausgearbeitet, um Schwimmen in der Lehrerausbildung zu stärken. „Schwimmen ist gut für die Motorik und für die gesamte kindliche Entwicklung“, sagt Christiane Meynen. Die vorgeschlagenen 63 Theorie- und Praxisstunden seien von den Uni-Verantwortlichen jedoch als zu umfangreich abgelehnt worden. Meynen hat noch einen Vorschlag, wie das Schulschwimmen verbessert werden könnte: einen Bachelor für Sportlehrer, der auch den Schwimmunterricht abdeckt. Da allerdings fragt sich dann, warum nicht gleich auf Schwimmmeister zurückgreifen: Ein reguläres Bachelor-Studium dauert drei Jahre, die DAP-Ausbildung zum Schwimmmeister ebenfalls.

Exzellente Badeseen

Von zwölf getesteten Badegewässern in Luxemburg haben alle eine exzellente Wasserqualität, schreibt die Europäische Umweltagentur in ihrem neuesten Länderbericht Luxemburg zur Wasserqualität. In der Hitliste enthalten ist auch der Stausee im Nordosten des Landes, ebenso wie die Baggerseen bei Remerschen. Dann kann es mit der Badesaison ja losgehen! Vergangenes Jahr im Spätsommer/Herbst hatte die Luxemburger Wasserschutzbehörde gefährliche Blaualgen in den Gewässern des Stausees von Esch/Sauer und in „Rommwiss“, Liefringen, „Burfelt“, „Fuussefeld“, Insenborn und Lultzhausen gemeldet und dort deshalb jeglichen Wassersport untersagt. ik

Ines Kurschat
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