Die wettbewerbsfähige Nation

Weltspitze

d'Lëtzebuerger Land du 29.05.2015

Nichts weniger als „Luxemburgs Rückkehr in die Siegerliste der wettbewerbsfähigsten Nationen“ meldete die Handelskammer am Mittwoch triumphierend. Die Schweizer Privatschule International Institute for Management Development errechnet jährlich für jedes Land – in Luxemburg aus Statistiken und Umfragen der Handelskammer – , wie wirtschaftlich wettbewerbsfähig es im Vergleich zu allen anderen ist. Lange bescheinigte das World Competitiveness Yearbook dem Luxemburger Produktions­standort eine weltrekordverdächtige Wettbewerbsfähigkeit, bis sie durch die Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2008 im Vergleich zu anderen Ländern deutlich zurückging.

Doch innerhalb von zwei Jahren stieg die Wettbewerbsfähigkeit nun wieder von Platz 13 auf Platz sechs. Luxemburg ist damit wieder auf Vorkrisenniveau, nur fünf Staaten, angeführt von den USA, sind weltweit wettbewerbsfähiger, kein anderer EU-Staat ist so wettbewerbsfähig wie das Großherzogtum. Solche Nachrichten überraschen, weil die Wettbewerbsfähigkeit der einheimischen Volkswirtschaft im Ausland offenbar ganz anders eingeschätzt wird als hierzulande, wo man nur das ständige Gejammer von Politikern und Lobbys über einen nicht endenden Verlust der internationalen Wettbewerbsfähigkeit zu hören glaubt.

Die Autoren des World Competitiveness Yearbook lassen allerdings offen, ob dieser sprunghafter Anstieg der Wettbewerbsfähigkeit trotz oder wegen der Veröffentlichung in industriellem Maßstab hergestellter Steuer-Rulings stattfand. Doch weil die Aufstellung nationaler Rankings sowieso keine ernsthafte volkswirtschaftliche Beschäftigung ist, wird man den Verdacht nicht los, dass die Luxemburg bescheinigten Fortschritte seiner Wettbewerbsfähigkeit in Wirklichkeit eine fast mechanische Folge des Konjunkturaufschwungs sind, welcher den Umsatz vergrößert, die Auslastung und damit die Produktivität erhöht, die Staatsfinanzen verbessert und die befragten Unternehmer zuversichtlicher macht.

Es bleibt abzuwarten, ob die mit den gleichen Zahlen und nur leicht unterschiedlicher Gewichtung ebenfalls im Ranking-Geschäft tätige Konkurrenz vom Growth Competitiveness Index, dem World Economic Forum und dem Index of Economic Freedom das auch so sehen. Ihnen allen ist jedenfalls die einseitige Ansicht gemein, dass die Wettbewerbsfähigkeit des nationalen Produktionsstandorts gegenüber allen anderen Ländern der Welt inzwischen das einzige Staatsziel sei und jede politische Güterabwägung Feigheit vor dem Feind im globalen Wirtschaftskrieg gleichkomme.

Erstaunlich ist jedenfalls, dass das World Competitiveness Yearbook Luxemburg auf seinem sechsten Platz größere Wettbewerbsfähigkeit bescheinigt als jenen Ländern, die mit ihren jahrelangen liberalen Reformen und der systematischen Deregulierung ihrer wirtschafts-, arbeits- und umweltrechtlichen Rahmen stets als beneidenswerte Vorbilder zur Verbesserung der Luxemburger Wettbewerbsfähigkeit zitiert werden: Deutschland landete aber bloß auf Platz zehn, Irland nur auf Platz 16, Großbritan­nien gar auf Platz 19...

Fast könnte man meinen, dass ein im internationalen Vergleich umfangreiches Arbeitsrecht, hohes Lohnniveau samt automatischer Indexanpassung und eine ausgedehnte Kranken- und Altersversicherung gar kein Hemmnis für die internationale Wettbewerbsfähigkeit wären, ja möglicherweise sogar von Vorteil sein könnten. Ja, im Grunde muss es wohl so sein. Denn trotz aller aus der Befragung hervorgehenden, beinahe naiv klingenden Vorschusslorbeeren der Unternehmer für die liberale Regierung hat man bisher von Xavier Bettels wirtschaftsfreundlichem „Omnibus-Gesetz“ ebenso wenig gesehen wie von Jean-Claude Juncker „administrativen Entfesselungsgesetzen“.

Romain Hilgert
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