Nicht wenig stolz erklärte die grüne Parteiführung am Sonntag im Versammlungssaal des Mamer Schlass den fünf Dutzend angereisten Mitgliedern, dass die Grünen es sind, die die nationale Debatte über den Vertrag über eine Verfassung für Europa eröffneten. Das war nicht ganz falsch, auch wenn kein Zweifel über das Ergebnis der planmäßig um 16.30 Uhr durchgeführten Abstimmung herrschte. Irgendwie scheint der Verfassungsentwurf ziemlich rechts ausgefallen zu sein. Denn es sind die linken Parteien, die Kongresse organisieren müssen, um die Vor- und Nachteile abzuwiegen und sich zu einer gemeinsamen Haltung durchzuringen. Auf der Rechten scheint man sich so weit mit dem Papier zu identifizieren, dass keine Diskussion nötig ist. Bei der CSV drohte Premier Jean-Claude Juncker lediglich kurz seiner Partei und dem Land, den ganzen Krempel hinzuschmeißen, wenn der Vertrag abgelehnt wird. Bei der DP rief die Parlamentsfraktion am Dienstag in einer Presseerklärung dazu auf, den Vertragsentwurf mit einem „Ja aus Überzeugung" zu ratifizieren. Das sozialistische Ja soll „kritisch" werden, der Europaabgeordnete Claude Turmes drängte am Sonntag auf ein „kämpferisches" grünes Ja. Die anderen Parteien haben noch kein eingetragenes Markenzeichen für ihr Ja. Ob die liberalen Parteimitglieder alle ähnlich überzeugt sind wie die Parteispitze, ist nicht geklärt, denn sie wurden nicht gefragt. Dabei sind laut Meinungsumfragen die DP-Sympathisanten skeptischer gegenüber dem Vertrag als die CSV- und LSAP-Sympathisanten. Was sich vielleicht mit den mittelständischen und verbeamteten DP-Wählern erklären lässt, welche die ausländische Konkurrenz im Handel und Handwerk beziehungsweise im öffentlichen Dienst befürchten. Aber vor mehr als einem Jahrzehnt hatte die in die Opposition verbannte DP bereits einmal mit der Versuchung gerungen, den Maastrichter Vertrag abzulehnen, um nationalistische Stimmen zu sammeln. Das Experiment ludt nicht zur Nachahmung ein. Bei der LSAP ist es ganz anders und doch ähnlich. Denn alle Parteisprecher haben bereits lautstark aufgerufen, bei der Volksbefragung mit Ja zu stimmen. Obwohl erst am 13. März ein Kongress offiziell den Standpunkt der Partei festlegen soll. So als sei auch für die Sozialisten der Vertragsentwurf zu wichtig, als dass man ihn völlig unberechenbaren demo-kratischen Prozeduren ausliefern könnte. Und sei es nur, um den Genossen Außenminister, delegiertem Außenminister und Außenhandelsminister den Rücken frei zu halten. Außerdem ist man internationalistisch, und der Vorsitzender der Europäischen Sozialistischen Partei, Poul Nyrup Rasmussen, beglück-wünschte demonstrativ die französische Partei Anfang Dezember, als sie sich mehrheitlich für den Verfassungsentwurf ausgesprochen hatte. Damit die Debatte nicht außer Kontrolle gerät, führte die Regierungsmehrheit bereits wiederholt an, dass die Ratifizierung des Vertragsentwurfs nicht zu einem innenpolitischen Streit oder gar Parteiengezänk führen dürfte. Obwohl sie bei anderer Gelegenheit nicht müde wird zu betonen, dass Europapolitik Tag für Tag gelebte Innenpolitik sei. Dass es aber keine hohe, idealistische Europapolitik und niedere, kleinliche nationale Politik gibt, zeigen die Rücktrittsdrohung von Premier Jean-Claude Juncker und die Drohung von LSAP-Präsident Alex Bodry, im Fall eines Neins beim Referendum müsse das Parlament aufgelöst werden. Wenn es um Wichtiges geht, werden die immer wieder totgesagten Links-Rechts-Antagonismen sichtbar. So-gar bei den seit langem befriedeten Grünen zeichneten sich am Sonntag noch einmal die Schatten der linken und rechten Flügel ab. Die Schatten, denn die Parteirechte trat, wie bei der Konkurrenz, als smarte Pragmatiker auf. Und die Linke war, wie seit Jahren, zu Hause geblieben. Allein auf weiter Flur plädierte der in der Partei vor allem als leicht schrullig wahrgenommene Abgeordnete Jean Huss mit wiederholtem Verweis auf den Neoliberalismus gegen den Vertragsentwurf. Die Grünen hatten sich immerhin vorgenommen, die nationale De-batte im Reagenzglas vorzuführen. Den Sängerstreit eröffnete Fraktionssprecher François Bausch, der seiner Basis aus dem Abkommen herausgepickt hatte, was sie gerne hören wollte: dass darin ein „transversales Gleichsstellungsgebot" für Frauen und Männer festgeschrieben sei, dass Sanktionsmöglichkeiten bei Verstößen gegen die großen Prinzipien vorgesehen seien. Jeder Nichtregierungsorganisation und Gewerkschaft würden neue Möglichkeiten geboten, um ein humanes, soziales und ökologisches Europa zu befördern. Den Text abzulehnen, weil er neoliberale Elemente enthalte, nutze nichts, denn diese seien bereits durch die bestehenden Verträge in Kraft und blieben es, selbst wenn die Verfassung abgelehnt würde. Die Verfassung sei aber ein verbesserter Rahmen, den es mit Inhalten zu füllen gelte, was letztlich vom politischen Einsatz jedes Einzelnen im Saal abhänge. Für Jean Huss spiegelt der Vertragsentwurft dagegen die wirtschaftsliberale und konservative Mehrheit wider, die derzeit in Europa herrsche. Deshalb stünden die hehren sozialen und ökologischen Prinzipien teilweise im Widerspruch zu den konkreten Bestimmungen des dritten Teils, die immer wieder auf die ungezügelte Konkurrenzwirtschaft pochten. Besorgt müsse man um die Zukunft des öffentlichen Dienstes sein, aber auch eine allgemeine Aufrüstung befürchten. Drohungen, eine Ablehnung des Vertrags würde zu einer Katastrophe führen, tat Huss mit dem Hinweis auf die gescheiterte Welthandelskonferenz ab: die damals ebenfalls angekündigte Katastrophe sei ausgeblieben, die Neuverhandlungen seien zügig aufgenommen worden. Um so lehrreicher war die anschließende Debatte, da sie stellvertretend für die Verhältnisse in anderen Parteien erscheint: Sie war kurz, nur wenige wollten oder konnten mitdiskutieren. Die Befürworter sind die Parteiführung, sie argumentieren nicht überzeugt, sondern pragmatisch, das heißt taktisch. Es sind unter anderem Berufspolitiker, die den Vertragstext bestenfalls durchgeblättert haben, aber ohnehin wissen, dass sie dafür sein müssen. Weil Luxemburg es sich nicht erlauben kann, europapolitisch aus der Reihe zu tanzen. Weil sie fürchten, von den anderen Parteien in die nationalistische Ecke gedrückt zu werden. Weil ihre Partei sich nicht in der Fraktion des Europarlaments und im europäi-schen Dachverband isolieren kann - die Delegierten des Verbands europäischer grüner Parteien trifft sich am 17. Februar im Petra-Kelly-Saal des Brüsseler Spinelli-Gebäudes, um über eine gemeinsame Haltung zum Vertragsentwurf abzustimmen. Die Grünen müssen auch dafür sein, weil sie im Juni gerade wieder ein Mandat im Europaparlament erhielten - der so beglückte Claude Turmes wünschte sich am Samstag im Luxemburger Wort gleich Abgeordneter einer "zivilen Weltmacht" Europa zu werden. Und weil nur eine Partei, die den Vertragsentwurf gutheißt, in vier Jahren koalitionsfähig sein wird - und die Grünen sind nun im Alter, dass sie es wirklich probieren möchten. Die Gegner des Vertragsentwurfs zählen dagegen mehrheitlich zur anonymen Basis. Auch sie haben den Text höchstens durchgeblättert, aber nicht gelesen. Doch mit allem, was sie gehört haben, haben sie ein ungutes Gefühl. Jenes ungute Gefühl,das sie bei Panikwörtern wie Globalisierung und Neoliberalismus beschleicht. Weil es jedoch nur ein Gefühl ist, das sie nicht mit Textzitaten belegen können, halten sie sich in einer öffentlichen Debatte lieber zurück. So weit ihnen zumindest der Aufbau des Vertragsentwurfs geläufig ist, teilen sich Befürworter und Gegner den Text säuberlich auf, um ihre Standpunkte zu belegen. Die einen berufen sich auf die ersten 55 Seiten mit der Einführung und der Charta der Grundrechte der Union und loben diese als humanistischen, also antiamerikanischen Wertekanon, der ein neues Kapitel europäischer Politik beginne. Die anderen berufen sich auf die restlichen 420 Seiten aus alten Verträgen und Protokollen, um daraus ein bürokratisches Komplott im Dienste neoliberaler Multis herauszulesen. Bei der Abstimmung im Mamer Schlass über die Resolution, welche aufruft, den Vertrag über eine Verfassung für Europa gutzuheißen, waren zehn Grüne dagegen, acht enthielten sich. Die Befürworter wurden nicht gezählt; da zum Zeitpunkt der Abstimmung aber noch 60 bis 70 Teilnehmer im Saal waren, dürften es 70 bis 75 Prozent gewesen sein. Damit entsprach das Kräfteverhältnis im Saal etwa demjenigen an der Wählerbasis, wenn die entsprechenden Meinungsumfragen stimmen. Doch laut Meinungsumfragen ist ein Drittel der Luxemburger gegen das Abkommen oder unentschieden. Die offizielle Lehre ist, dass diese Wähler keine guten Gründe haben, sondern dass sie es lediglich nicht besser wissen. Diese Lesart soll verhindern, dass eine Partei die Interessen dieser Wähler aufgreift und sich zu ihren Fürsprechern macht; statt dessen sollen sie bis zum 10. Juni überzeugt werden, ihren Irrtum einzusehen. Doch alleine die Neinsager sind derzeit mit 16 Prozent so stark wie die DP bei den letzten Wahlen. Gibt es also keine Partei, die sich ihrer annehmen will? Als einzige Parteien erklärten bisher die Kommunistische Partei und déi Lénk, den Vertragsentwurf abzulehnen. Aber ihr Einfluss ist inzwischen so gering, dass sie sich kaum noch Gehör verschaffen können. Deshalb bleibt die einzige politische Unbekannte der Volksbefragung derzeit das ADR, das hin und her gerissen ist zwischen dem Wunsch nach Respektabilität und der Spekulation auf ein nationalistisches Wählerpotenzial. Nach der letzten Meinungsumfrage der ILReS waren 39 Prozent der befragten ADR-Sympathisanten für das Abkommen und 39 Prozent dagegen. Die Wählerbasis ist also so unschlüssig wie die Parteispitze. Für eine Partei, die wie kaum eine andere Volksbefragungen zu einem politischen Instrument machen will, ist das eher peinlich. Noch peinlicher ist, dass das ADR in seinem Programm zu den Europawahlen vom 13. Juni feierlich verkündet hatte: "Wir sagen JA zum europäischen Verfassungsvertrag!" (S. 7), nachdem Premier Jean-Claude Juncker Fraktionssprecher Gast Gibéryen dazu bewegt hatte, im Konvent an der Ausarbeitung des Vertragsentwurfs teilzunehmen. Am Freitag verabschiedete das Kabinett den Gesetzentwurf, der noch vor der Volksbefragung vom Parlament ratifiziert werden soll, um auch das ADR dazu zu zwingen, Farbe zu bekennen. Auch wenn es ihm ein Leichtes wäre, sich unter dem Vorwand zu enthalten, dem Wählerwillen nicht vorgreifen zu wollen. Bis dahin zögert das ADR, sein Einverständnis dafür zu geben, dass das Parlament nicht nur eine große Informationskampagne mit einem Dutzend öffentlichen Anhörungen und regionalen Podiumsdis-kussionen organisiert, sondern auch Werbekampagnen der Parteien finanziert, von denen es argwöhnt, dass alles nur eine verkappte Propagandakampagne für das Ja wird.
Sophie Delvaux
Catégories: Referendum sur la Constitution européenne
Édition: 03.02.2005