Nach dem schönen Thronwechsel gibt es von Gilles Roth den schönen Staatshaushaltsentwurf

Alles wird gut, oder?

Der Finanzminister unterwegs ins Kammerplenum
Photo: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land du 10.10.2025

CSV-Finanzminister Gilles Roth versteht sein Amt sehr politisch. Kein Wunder, dass er für seine Budgetsried am Mittwoch im Parlament das Momentum des Thronwechsel-Wochenendes benutzt. Die Inszenierung Luxemburgs als Insel der Glückseligen, mit dem neuen Großherzog und der neuen Großherzogin inmitten aller – nicht als abgehobene Monarchen, sondern als Ehrenbürger mit besonderem Auftrag. 56 Mal kommt in Roths Rede das Wort Mateneen vor. „Matenee wuessen“ ist das Motto des Haushaltsentwurfs 2026. Doch die Wirtschaft, die vermutlich wachsen soll, kommt auf den 55 Seiten Budgetsried erst ab Seite 35 vor. An vordere Stelle hat Roth das Soziale gesetzt. Was nicht weiter Aufsehen erregend sein soll, denn: „Eise Sozialmodell an eise Wirtschaftsmodell sinn zwou Säite vun eisem Lëtzebuerger Wuesstemsmodell. Zwou Säite vun enger Medaill, déi sech net trenne loossen.“ Das sei „de Lëtzebuerger Wee“.

Was natürlich Aufsehen erregend ist. Nach fünf Monaten angespannten Sozialdialogs, ab Premier Luc Friedens Ankündigungen im état de la nation zu den Renten, über die Kundgebung der Gewerkschaften am 28. Juni, bis hin zu den drei Sozialrunden. Die Regierung hat Bedarf, die Herzen der Wähler/innen zurückzugewinnen. Die CSV muss das besonders wollen, denn ihre Umfragewerte in der am Dienstag erschienen Sonndesfro sind schlecht. Weil Gilles Roth ein politischer Finanzminister ist, kündigt er „een Neiufank als Stäerkung vun eisem Mateneen“ an. Der Neuanfang habe mit dem Thronwechsel begonnen. Was vorher war, soll am besten vergessen sein. Vielleicht bis auf Roths Versprechen der Einheitssteuerklasse. Dass die zum 1. Januar 2028 eingeführt werde, daran hält er fest, sofern das „konsensfäeg“ ist.

Dabei sieht die Makroökomie gar nicht gut aus. In der ganzen Eurozone nicht, und Haupthandelspartner Deutschland macht zwei Jahre hintereinander eine leichte Rezession durch. Das Luxemburger Bruttoinlandsprodukt wuchs vergangenes Jahr um 0,4 Prozent. Für dieses Jahr geht das Statec von einem Prozent aus, vor zwölf Monaten hielten die Statistiker noch 2,7 Prozent für wahrscheinlich. Nächstes Jahr könnte es zwei Prozent mehr BIP geben, aber das ist „unsicher“. Der Beschäftigungszuwachs könnte 2026 bei 1,5 Prozent liegen. Das wäre ein halber Prozentpunkt mehr als im vergangenen Jahr und wahrscheinlich auch in diesem. Und weit weg von den im Schnitt drei Prozent jährlich seit 1995.

„Eis Finanze si robust genuch“

Was sich natürlich auf die öffentlichen Finanzen auswirkt. Die schwache Beschäftigungsentwicklung zum Beispiel drückt auf die Kassen der Sécu, aber auch auf die Einnahmen aus der Lohnsteuer. Der Finanzminister sagt: „Jo, 2026 gëtt méi ee schwiregt Joer. Mä eis Finanze si robust genuch fir enger Welt am Ongläichgewiicht Rechnung ze droen.“

Das ist die politische Linie. „Méi netto vum brutto“, wie von der CSV im Wahlkampf versprochen, gilt weiterhin. Der Haushaltsentwurf hält fest, der Erhalt der Kaufkraft sei ein Kernanliegen der Regierung. Auf Seite 54 wird allerdings konstatiert, dass die Schätzungen über die besteuerbare Gehältermasse schon für 2025, und darüberhinaus bis 2029 um je 2,5 Prozent nach unten korrigiert werden mussten. Die Einnahmen aus der Lohnsteuer sind mit geschätzten 7,18 Milliarden nächstes Jahr auch weiterhin die mit Abstand wichtigsten aus direkten Steuern. Vor den aus der Körperschaftssteuer mit 3,43 Milliarden, in die der um einen Prozentpunkt gesenkte Steuersatz eingepreist wurde. Doch die Körperschaftssteuereinnahmen hängen in erster Linie von der Finanzbranche ab, 2024 zu 63 Prozent. Ziemlich stark auswirken kann sich, für welchen Zeitpunkt „un seul contribuable“ entscheidet, Voraus- und Restzahlungen an die Steuerverwaltung zu tätigen. Im Jahresschnitt bis 2029 wird dennoch von einem Einnahmenzuwachs um je 3,2 Prozent ausgegangen. Bei der Lohnsteuer sogar einer um 7,3 Prozent jährlich, weil unterstellt wird, dass der Beschäftigungszuwachs sich nach und nach erhöht. Wenngleich nur auf 1,9 Prozent im Jahr 2029.

„Wat eis ze Sennéng virgezeechent gouf“

Weil hinter den Steuerschätzungen „incertitudes propres à une petite économie ouverte, particulièrement dans le contexte macroéconomique actuel, instable et vulnérable“ stecken (S. 21), greift Gilles Roth in seiner Rede zum Vergleich mit den Zahlen „vu Sennéng“. Also dem, was CSV und DP im Oktober 2023 bei den Koalitionsverhandlungen vorgelegt wurde. Ein Defizit von 3,25 Milliarden Euro im Zentralstaat für 2024 stand in der note au formateur. Am Ende waren es nur 228 Millionen. Für 2026 wurde ein Minus von 2,69 Milliarden vorhergesagt. „Ganz wäit ewech“ davon seien die nun veranschlagten 1,49 Milliarden.

Über Roths rhetorischen Kniff wird der LSAP-Abgeordnete und Ex-Wirtschaftsminister Franz Fayot sich Stunden später in einem Post auf Linkedin aufregen: Die Daten in der Note an formateur Luc Frieden seien „complètement farfelues et fantaisistes“ gewesen. Was aus heutiger Sicht stimmt: Die kombinierten Kriseneffekte aus Covid-Pandemie, Lieferketten-Unordnung, Ukraine-Krieg und ex-
tremen Energiepreisen waren fortgeschrieben worden. Treffsichere Schätzungen waren schwer zu haben.

Gilles Roths Problem ist, ein Bild von einem Haushalt zu zeichnen, den er im Griff hat, und in dem das Mateneen nicht aus dem Aufruf bestehen soll, gemeinsam Kürzungen auszuhalten. Das will die Regierung, wie die Dinge seit dem 28. Juni liegen, lieber nicht riskieren.

Aber die Ausgaben im Zentralstaat sollen nächstes Jahr auf 32,6 Milliarden Euro und mit einem Zuwachs um 5,7 Prozent nun mal schneller steigen als die Einnahmen (+4,9%), die 31,1 Milliarden erreichen sollen. Das sich daraus ergebende Defizit von 1,49 Milliarden würde, zusammengerechnet mit einem kleinen Überschuss von 85 Millionen im Gemeindesektor und einem Plus von 966 Millionen in der Sozialversicherung, zu einem Defizit von 408 Millionen im Gesamtstaat, was ungefähr 0,4 BIP-Prozent entsprechen würde.

Das ist weit entfernt vom Drei-Prozent-Limit in den Maastricht-Kriterien. Doch man kann sich fragen, wieso es nicht mehr sind. Immerhin stehen im Haushaltsentwurf eine halbe Milliarde Euro mehr an Militärausgaben. Die wurden nach dem Nato-Gipfel im Juni beschlossen. Neu sind auch 150 Millionen für die Subvention von Stromnetz-Kosten für Haushalte und Betriebe. Sowie 190 Millionen, auf die der Finanzminister den „verantwortungsvollen Invest an de soziale Fridden“ nach der Sozialronn vom 3. September beziffert. Allein auf diese alles in allem rund 900 Millionen Euro, die der Mehrjahreshaushalt vom vorigen Jahr nicht noch enthielt, sei knapp mehr als die Hälfte des Ausgabenzuwachses 2026 zurückzuführen, erklärt Gilles Roth.

Kommunizierende Röhren

Dass das Gesamtdefizit nächstes Jahr 408 Millionen Euro betragen soll, während für dieses Jahr mit einem Minus von 706 Millionen gerechnet wird, verwundert auf den ersten Blick. Ein Teil der Antwort dürfte in der kleinen Rentenreform zu finden sein, die von der Regierung am Ende der Sozialronn vom 3. September verordnet wurde. Die drei Bereiche der öffentlichen Finanzen verhalten sich zum Teil wie kommunizierende Röhren. Der Rentenbeitragssatz soll zum 1. Januar um drei Mal einen halben Prozentpunkt steigen. Der Transfer aus der Staatskasse an die Rentenkasse CNAP steigt automatisch mit, von 2,7 Milliarden auf 2,98 Milliarden Euro. Die höheren Beiträge der Beschäftigen und der Betriebe bringen der Rentenkasse natürlich ebenfalls mehr Einnahmen; sonst hätte die Regierung vor den nächsten Wahlen die automatische Rentenanpassung kürzen lassen müssen. In der um einen Monat verlängerten Beitragszeit, ehe eine vorgezogene Rente mit 60 angetreten werden kann, werden hohe Gehälter am Karrierenende angezapft. So kommt es, dass die Sozialversicherung Ende 2026 einen Überschuss von 996 Millionen ausweisen soll, dagegen dieses Jahr nur 633 Millionen Euro. Das Gesamtdefizit sinkt.

Offen bleibt, was kommenden Montag die Krankenkassen-Quadripartite beschließt, um die Krankenversicherung vor einem Milliardenloch zu bewahren. Im Haushaltsentwurf steht nur, dass die Pauschalzahlung des Staates an die CNS, die Mutterschafts-Leistungen mitfinanzieren soll, von 20 auf 59 Millionen Euro im Jahr steigt. Viel bringt das der Krankenkasse nicht. Dass Gilles Roth den Haushalt nach der Quadripartite ändern lässt, zum Beispiel falls der Krankenkassen-Beitragssatz erhöht wird, ist möglich. In seiner Budgetsried macht er dazu keine Andeutungen, der Haushaltsentwurf macht auch keine.

Stattdessen lässt Roth Ausgaben fast jedes Regierungsressorts Revue passieren, nennt die Minister/innen mit ihren Namen und würdigt die von ihnen definierten Prioritäten. Weil der Eindruck entstehen kann, im Haushalt 2026 sei für jeden in der Gesellschaft was dabei, ist die Budgetsried wie eine Erklärung zur Lage der Nation mit vielen guten Nachrichten und keiner richtig schlechten. Der schöne Anschluss nach dem Thronwechsel.

Luftabwehr, Drohnen, Feldlazarett

Dabei gibt es zwischen den Darstellungen des Finanzministers und denen im Haushaltsentwurf die eine oder andere Nuance. Etwa, wenn es um die Militärausgaben geht: Die halbe zusätzliche Milliarde gehe „an den Ausbau vun eise Kompetenzen. An d’Satelliten, d’Cyber-Verdeedegung an an d’Fuerschung“, kündigt Gilles Roth an. Das klingt nach Hightech und nicht nach Krieg. Der Haushaltsentwurf ist weniger rücksichtsvoll: Zwar sei beim Ausbau der Verteidigungskapazitäten ein „retour économique“ eine Priorität. Die Kapazitäten selber jedoch bestünden aus Luft- und Raketenabwehr, ferngesteuerten bewaffneten Drohnen, einem mobilen Treibstofflager und einem Feldlazarett, wie die Nato das im Frühjahr vorgegeben hat. Der „domaine spatial“ wird einer unter anderen genannt, die die Regierung selber entschieden habe, weiterzuentwickeln.

Um das viele Geld für die Militärausgaben zusammenzubekommen, die bis 2035 auf fünf Prozent des Bruttonationaleinkommens steigen sollen, und nicht den Gedanken aufkommen zu lassen, beim Sozialen werde gekürzt, verspricht Gilles Roth „eng innovativ Finanzéierung“. Zum Beispiel durch einen „Defence Bond“, von dem schon die Rede war und der laut Roth der erste seiner Art in Europa sein soll. 150 Millionen Euro über drei Jahre. In diese Obligation sollen die Leute sich einkaufen und das von der Steuer absetzen können. Ein weiteres Beispiel: ein Fonds der SNCI für die Entwicklung von „Dual-use Gidder“.

Gilles Roths Ausgaben-Aufzählung reicht von zwei Milliarden Euro für den Wohnungsbau über die nächsten vier Jahre, ein um zehn Prozent auf fast eine halbe Milliarde erhöhtes Gesundheits-Budget, über ebenfalls zehn Prozent mehr für die Bildung, bis hin zu 14 Millionen Euro mehr für den Musikunterricht und 5,4 Millionen zusätzlich für Studentenbeihilfen. Als er bei der Wirtschaft angekommen ist, kündigt er nach der Senkung des Körperschaftssteuersatzes um einen Prozentpunkt nächstes Jahr „e weidere Schrëtt“ für 2027 an. Weil Luxemburg „Tech-Pionéier“ werden soll, würden bis 2029 zusätzliche 424 Millionen für „KI-Strategie, Cloud an Data“ bereitgestellt. Für Start-ups soll ein neues Regime für Optionen auf Aktien dieser Firmen geschaffen werden. Gilles Roth verspricht: „Ouni d’Abuse vum Stock-Options-Regimm aus der Vergaangenheet.“

„Anti-zyklesch“ und „Mateneen“

Wie der Finanzminister sich einen Spielraum erhalten will, um all diese Ausgaben mit nicht gerade sicheren Einnahmen abstimmen zu können, sagt er nicht. Aus dem Haushaltsentwurf geht es ebenfalls nicht explizit hervor, die Rede ist nur vage davon, dass eine „Marge“ wichtig sei und eine Prioritätensetzung. Werden am Ende Investitionen verschoben oder unterbleiben ganz? Gilles Roth insistiert in seiner Rede, die Investitionsausgaben würden 2026 mit „ronn 500 Milliounen Euro méi ewéi d’Moyenne aus de leschte Joeren“ sogar „rekordverdächteg“. Schließlich sei der Haushalt „anti-zyklesch“ und vom Mateneen getragen. Abgeordnete der Grünen hegen aber schon den Verdacht, womöglich werde an Ausgaben für den Umweltschutz gespart. Nicht an der Klima- und Energietransition, sondern an Maßnahmen zum Erhalt der Biodiversität zum Beispiel.

Anleihen aufzunehmen, bleibt auch als Option. Wie die über 2,5 Milliarden Euro vor drei Wochen, um dem Staat ein Liquiditätspolster zu verschaffen und dem Haushaltsdefizit dieses Jahr entgegenzuwirken. Als Finanzminister ist Gilles Roth nicht mehr so orthodox wie als Oppositionsabgeordneter, der fand, die Staatsschuld über 30 BIP-Prozent steigen zu lassen, wäre eine Abkehr von Haushaltsdisziplin. Doch wenn Haushalt 2026 und Mehrjahreshaushalt 2025-2029 so eintreffen, wie geschrieben steht, würde die Staatsschuld auch in vier Jahren bei rund 27 BIP-Prozent verbleiben. „Däitlech ënner 30 Prozent“, betont Roth in der Budgetsried. Als könne die „Marge“ darin bestehen, den Drei-Prozent-Abstand auzunutzen. Der Haushaltsentwurf sieht auf Seite 141 vor, eine Kreditaufnahme von bis zu sechs Milliarden Euro in den Jahren 2026 und 2027 zu genehmigen. Doch das sei „aucune indication quant au besoin de financement effectif ou prévisible au cours des exercices en question“.

Nicht schön ist, was im Haushaltsentwurf zu den Tabakakzisen steht. Nächstes Jahr sollen sie 1,53 Milliarden Euro einbringen und 1,67 Milliarden im Jahr 2029. Dass in der EU die „lutte contre le tabagisme“ an Fahrt gewinnt und die EU-Kommission Verhandlungen über eine neue Tabaksteuer-Richtlinie aufnehmen lassen will, sei ein „risque“ und könne einen „impact non négligeable sur les recettes“ haben. Das steht natürlich im Widerspruch zu den Bekenntnissen der Regierung für Prävention. Doch die Einschätzung kommt von der Zollverwaltung, und die äußert sich nicht politisch. Gilles Roth sagt zum Tabak lieber nichts. Seine Kabinettskollegin Gesundheitsministerin hat es schwer genug im Moment.

Note de bas de page

Peter Feist
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