Sie krempelt beide Ärmel ihres Pullovers nach oben, Tattoos an beiden Armen werden sichtbar. Dann stützt sie die Ellenbogen am Tisch ab, ballt beide Hände zu einer Faust und beugt sich etwas nach vorne. „Wo soll ich anfangen?“
Die Geschichte von Cathy Goedert war lange eine success story. „Baked in Luxembourg“ stand während vier Jahren über ihrem Geschäft in der Dreikinneksgaass an der Ecke zur Rue Louvigny. Die Luxemburgerin hatte sich im Alter von 27 Jahren selbständig gemacht und ihre eigene Konditorei eröffnet. Sie hatte das umgesetzt, wonach die Protagonisten in der Serie 2 Broke Girls während mehreren Staffeln strebten. Und sie hatte gezeigt, dass im schwierigen und geradezu rigiden Umfeld der Hauptstadt, Geschäftsideen im Einzelhandel doch realisiert werden können – wenn auch mit großzügiger familiärer Unterstützung. Dementsprechend groß war der Hype als Cathy Goedert ihre Türen 2014 öffnete. Aber nicht minder groß war die Aufregung um die Schließung ihres Geschäfts im Sommer 2018, die mitunter in Häme ausschlug. Doch der Reihe nach.
Aufstieg Cathy Goedert lernte die Handwerkskunst des Patissiers nach ihrem Abitur am Lyçée de Garçons de Luxembourg an mehreren Stationen in Namur, Paris, New York und Freiburg kennen. Sie stammt aus gutbürgerlichen Verhältnissen, und es war auch der Vater, erfolgreicher Unternehmer im Automobilhandel, der sie anspornte und unterstützte bei ihrem Weg in die Selbständigkeit. „Der Schritt war keineswegs zu früh und wohldurchdacht“, so Goedert – unterbindet damit jeglichen Vorwurf, dass ihre Geschäftsidee an ihrem jungen Alter gescheitert sei. Sie habe sich über Monate mehrere Orte im Speckgürtel der Stadt Luxemburg sowie auf Limpertsberg angeschaut bis sich schließlich, die Adresse in der Rue Chimay anbot. Die Monatsmiete weit oberhalb von 10 000 Euro für das Lokal war natürlich eine hohe Bürde, aber sie dachte sich, mit dem richtigen Geschäftsplan sollte das klappen. Die Idee: eine Mischung aus Bäcker- und Konditorei, aus Süß- und Salzwaren mit Augenmerk auf das Brunch-Buffet an den Wochenenden.
Und es sah zunächst gut aus: Die Kunden blieben nicht aus, die Theken mit Kuchen, Brownees, Cup- und Cheesecakes sowie Brot und anderem Gebäck waren abends leer. Doch die Rechnung wollte dennoch nicht so recht aufgehen, am Ende des Monats klaffte ein Loch in der Kasse. Die Goederts mussten recht früh zur Kenntnis nehmen, dass ihre Strategie nicht funktionierte. Und Cathy Goedert stand mit ihrem Vater als Geschäftspartner vor einer Entscheidung: „Entweder wir wachsen oder wir lassen es sein.“ Da sie ihre Idee nicht gleich aufgeben wollte, entschied sie sich zu expandieren; suchte eine Kooperation mit Cactus und öffnete ein Zweiggeschäft in Marnach. Das geschah „eher widerwillig“, wie sie heute sagt, denn es sei nie der Plan gewesen, in Konkurrenz zu treten mit den großen Player des Backgeschäfts Oberweis, Namur und Fischer (siehe Artikel S. 29). „Ich wollte eigentlich nur mein eigenes Geschäft in der Innenstadt.“ Nicht mehr, nicht weniger.
Fall Heute sagt sie, dass es ein Irrtum war, zu glauben, man könnte mit einem Handwerksgeschäft in der Luxemburger Innenstadt überleben. „Das ist unmöglich“, so Goedert, die mittlerweile die Tattoos an den Armen wieder durch ihren Pulli verdeckt hat. „Der Einzelhandel in der Oberstadt ist nicht wirklich tragbar“, sagt sie. Warum sonst musste ein Traditionsgeschäft wie Tapis Hertz abziehen. Die einzige Möglichkeit: die Verluste in der Stadt durch besser florierende Geschäfte im Rest des Landes zu decken.
Doch es waren nicht nur die ungünstigen kommerziellen Begebenheiten, die das Geschäft zum Kippen brachten. Die Unternehmerin spricht auch von Personalspannungen. „Wenn fünf Mitarbeiter bei einem Unternehmen von 15 Mitarbeiterin gleichzeitig krankgeschrieben sind, dann hast du ein verdammtes Problem“, so Goedert. Dabei waren alle unternehmerischen Hürden nichts gegen das Fegefeuer der sozialen Medien. Als 2016 Fotos auf Facebook auftauchten von Brot, das den Maden, Würmern und dem mikrobakteriellen Leben der Mülltonne überlassen wurde, musste sie erfahren, was die geballte Kraft eines Shitstorms ist. Cathy Goedert wurde öffentlich an den Pranger gestellt, angeklagt für die Sünden und Dekadenz der westlichen Konsumgesellschaft. Sie habe sich damals eine Woche kaum aus ihrer Wohnung getraut.
Diese Episode war nicht entscheidend, aber dennoch mitprägend für den Entschluss, das Geschäft in der Oberstadt aufzugeben. Sie war froh, dass sie mit Cocotte einen Abnehmer fand, der auch alle Mitarbeiter übernahm. „Ich musste niemanden vor die Tür setzen“, so Goedert, der finanzielle Verlust hielte sich in Grenzen.
Katharsis Cathy Goedert hat Lehren aus ihrem Abenteuer gezogen. Sie verneint es, von „Scheitern“ zu reden, und spricht lieber von einer unternehmerischen Erfahrung. Denn die Marke Cathy Goedert lebt weiter. Heute ist sie weiterhin selbständig, nur eine Nummer kleiner. Gemeinsam mit einem ehemaligen Angestellten ihrer Konditorei stellt sie nun Backwaren für die Kaffees Knoppes und Glow sowie gegen Bestellung her. Zudem gibt sie Backworkshops. Ihre Konditorei befindet sich im Kellerbereich des Glow, einem Kaffee mit veganen und vegetarischen Speisen in Bonneweg, das ihre Schwester betreibt. Ob sie nochmal ein Geschäft in der Innenstadt öffnen wird, wenn sich die Gelegenheit dazu ergibt? „Ich denke nicht, aber ausschließen will ich nichts.“