Zur Mehrheit an Enovos fehlen der öffentlichen Hand rund 6,55 Prozent. Würde der Staat den gleichen Preis zahlen wie Axa vor zwei Jahren, würde dieses Paket rund 92 Millionen Euro kosten
Pay and take
d'Lëtzebuerger Land du 18.04.2014
Diesmal will der Staat zugreifen. Anders als vor zwei Jahren, als der Stahlkonzern Arcelor-Mittal seine Anteile am nationalen Energieversorger Enovos verkauft hatte, will Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP) die Gelegenheit nicht verstreichen lassen, um der öffentlichen Hand im Kapital der Firma die Mehrheit zusichern. Eine einfache Mehrheit, wie er dem Land sagte. „50 Prozent und eine Aktie oder eventuell 51 Prozent sind das Ziel“, so Schneider, damit „der Staat das Sagen in der Gesellschaft hat“. Möglich wird dies, weil sich die beiden Stromkonzerne Eon und RWE, die zehn, beziehungsweise 18,36 Prozent der Enovos-International-Aktien besitzen, zurückziehen, wie die Konzernführung Ende vergangener Woche bestätigte. Eon und vor allem RWE mussten ihren Aktionären in den vergangenen Wochen schlechte Nachrichten überbringen. Bei Eon fiel der Gewinn 2013 im Vergleich zum Vorjahr um 46 Prozent auf 2,24 Milliarden Euro bei einem Umsatz von 122,4 Milliarden Euro. Eon hat schon Restrukturierungsprogramme hinter sich, trennt sich auch von anderen Beteiligungen in Europa. Der Sparkurs trifft alle Bereiche: Im März meldete Der Spiegel, der Energiekonzern werde das teuerste Gemälde seiner Kunstkollektion, einen Jackson Pollock ,verkaufen. Mit dem erhofften Erlös von 15 Millionen Euro soll das Kultur-Programm finanziert werden. RWE wiederum musste den ersten Verlust seit 60 Jahren melden: fast drei Milliarden Euro. Gleich mehrere Elemente bereiten den Energiekonzernen Probleme. Da ist zum einen die Energiewende und die großzügige Bezuschussung von erneuerbarer Energie in Deutschland, die dafür sorgt, dass immer mehr „grüner“ Strom im Netz ist, was konventionelle Anlagen zunehmend unrentabler macht. Anlagen, die dennoch nicht alle ohne Weiteres vom Netz genommen und geschlossen werden können, weil sie gebraucht werden, um Schwankungen auszugleichen, wenn kein Wind weht oder die Sonne nicht scheint. Obendrein ist der Energiebedarf durch die Wirtschaftskrise in den vergangenen Jahren in Europa gefallen. Das ist kein reines Umsatzproblem. Die Energiekonzerne sichern sich ihre Rohstofflieferungen, vor allem Gas, über langfristige, mehrjährige Verträge zum fixem Preis und bestimmten Liefermengen. Das Prinzip der „Take-or-pay“-Klauseln, wie sie in diesen Verträgen festgehalten sind, rückte erst vergangene Woche ins Rampenlicht, weil der russische Präsident Wladimir Putin der Ukraine vorwarf, daraus resultierende Strafen aus dem Jahr 2009 an Gazprom nicht gezahlt zu haben. Demnach müssen die Energiekonzerne den Fördergesellschaften auch das Gas bezahlen, das sie ihnen nicht abnehmen können. Wenn beispielsweise konjunkturbedingt die Endkunden in der Industrie weniger Gas und Strom brauchen, und die Energiekonzerne es deshalb nicht weiterverkaufen können. Wenn zudem die Energiepreise im täglichen Handel an den Börsen drastisch sinken, wird es eng für die Unternehmen, die vertraglich an feste Preise gebunden sind. Von dieser Problematik blieb auch der Strom- und Gaslieferant Enovos nicht verschont, wie der Blick in die Bilanzen der vergangenen Jahre zeigt. Der Gewinneinbruch der vergangenen Jahre, erklärt Etienne Schneider, sei größtenteils auf solche Take-or-pay-Klauseln zurückzuführen. Im ersten Jahr nach der Zusammenlegung von Cegedel, Sotel und Saar Ferngas verbuchte der Fusionsbetrieb Enovos einen Gewinn von 145 Millionen Euro, 2010 waren es noch 89 Millionen, 2011 40 Millionen und 2012 54 Millionen. Dabei müsste die Firma, sagt Schneider, der die Fusion als Beamter selbst eingefädelt hat, zwischen 110 und 120 Millionen Euro Gewinn abwerfen. Um 4,2 Prozent ging die Gasnachfrage der großen Industriekunden von Enovos Luxemburg 2012 zurück. Im Jahresbericht freut sich das Management, einen Großteil seiner Langzeitlieferverträge neuverhandelt zu haben, und kündigt an, damit auch im folgenden Jahr fortzufahren. Durch den Erwerb der Mehrheit an Enovos will man laut Schneider „verhindern, dass Privatinvestoren eine Mehrheit gegen die öffentliche Hand bilden“. Zum Beispiel, wenn es darum geht zu entscheiden, ob der Konzern Rücklagen bildet, um investieren zu können, oder den Aktionären Dividenden auszahlt. „Bis jetzt ging das gut, weil wir ein Abkommen zwischen Aktionären hatten“, so der Minister, „aber das war nicht einfach herzustellen, da musste ich als Minister selbst eingreifen und sagen ‚mehr gibt’s nicht’.“ Doch ob sich mit neuen Aktionären wiederum eine maximale Auszahlungsrate von 50 Prozent vereinbaren lässt? Da ist Schneider eher skeptisch. Aber wenn der Staat die Dividendenpolitik bestimmt, ist Enovos dann überhaupt noch interessant für Privatinvestoren? „Ich muss sie nicht finden“, sagt Schneider. Das müssen Eon und RWE. Laut Statuten darf nur die öffentliche Hand bei Enovos mehr als 33 Prozent der Aktien besitzen, allen anderen Aktionären bleibt die Sperrminorität ohne Zustimmung dreier Viertel der anderen Aktionäre versagt. Nach Schneiders Vorstellung sollen alle drei öffentlichen Anteilseigner Staat, SNCI und die Stadt Luxemburg (VdL), von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch machen. Aber wie viel genau wer kauft, müsse noch geklärt werden. „Ich glaube ja, dass es eher unwahrscheinlich ist, dass der Staat dies aus dem Haushalt zahlt, sondern eher, dass das Gros über die SNCI abgewickelt wird“, sagt Schneider mit Hinweis auf die Haushaltslage – wenn denn kein Klumpenrisiko für die SNCI entstehe. Zu „50 Prozent und einer Aktie“ fehlen der öffentlichen Hand rund 6,55 Prozent. Mehr muss sie nicht erwerben, das sehe die Aktionärsvereinbarung so vor, so der Wirtschaftsminister, und das ergebe auch keinen Sinn. Was er dafür zu geben bereit ist, will Schneider natürlich nicht sagen, damit die Unterhändler bei den Verhandlungen ein Pokerface aufrechterhalten können. Axa hatte Arcelor-Mittal vor zwei Jahren 330 Millionen Euro für seine 23,48 Prozent gezahlt; ein Preis, nachdem die Firma insgesamt auf 1,4 Milliarden Euro bewertet wurde. Daran gemessen würde das Paket, das Staat, SNCI und VdL nun kaufen sollen, rund 92 Millionen Euro kosten. Schneider hofft auf weniger, weil die Firma, aufgrund der Konjunktur und der Take-or-pay-Problematik seither an Wert verloren habe. Das sei auch schon beim Ausstieg von Arcelor-Mittal absehbar gewesen. Bereits damals hätten RWE und Eon ebenfalls Ausstiegsabsichten angedeutet. Schneider unterstreicht, auch deswegen sei es besser gewesen abzuwarten, um einen günstigeren Preis verhandeln zu können. Immerhin: Der Arcelor-Mittal-Axa-Bewertung zufolge hatte der Konzern bis 2012 seit der Fusion 2009 44 Prozent an Wert verloren. Damals hatten sich die Verhandlungspartner darauf geeinigt, dass Cegedel 1,1 Milliarde Euro wert sei, Saar Ferngas 510 Millionen und Soteg 490 Millionen; insgesamt 2,1 Milliarden Euro (d’Land, 29.01.2009). Seither ist die Firma eigentlich gewachsen, wurden die lokalen Energieversorger Leo und Luxgaz integriert. Enovos ist nicht die einzige Firma, an der RWE in Luxemburg beteiligt ist. Der Energiekonzern aus Essen hält außerdem Aktien an den Kommunikationsfirmen Artelis und Cegecom, wie auch an der Reinigungsfirma Comco. Die wichtigste Beteiligung ist allerdings die an der Société électrique de l’Our, die im Pumpspeicherwerk in Vianden Spitzen- und Regelstrom herstellt. Ob sich RWE auch aus anderen Firmen in Luxemburg zurückziehen möchte? „Davon ist mir nichts bekannt“, sagt RWE-Sprecherin Eva Wagner. Dass sich RWE auch von der Beteiligung an der SEO trennt, „glaube ich 100-prozentig nicht“, sagt Schneider – dazu sei die Beteiligung zu kostbar und der Staatsvertrag, auf dem das Aktionariatsgefüge der SEO beruht, zu komplex.
Michèle Sinner
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