In Luxemburg war die Energieintensität zuletzt so klein wie seit zehn Jahren nicht. Mit Energiesparen hat das aber nicht viel zu tun

Ein Rekord in der Krise

d'Lëtzebuerger Land du 29.11.2013

Das sei ein Rekord, teilte das Statistikinstitut Statec Ende vergangener Woche mit. Im Jahr 2012 sei Luxemburg besonders wenig „energieintensiv“ gewesen. Der Energieverbrauch pro Einwohner habe nicht nur um 4,6 Prozent unter dem des Vorjahrs gelegen, sondern sei so klein ausgefallen wie in den vergangenen zehn Jahren nicht.

Ist Luxemburg unterwegs in Richtung mehr Energieeffizienz? Energiesparen sei immerhin „unsere wichtigste Energiequelle“, sagt Wirtschaftsminister Etienne Schneider genauso wie schon sein Vorgänger Jeannot Krecké. Krecké hatte 2007 in einem Gespräch mit dieser Zeitung noch erklärt, „wir gehören wohl“ zu den EU-Staaten, „die am meisten verbrauchen“ (d’Land, 2. März 2007). Da sieht es gut aus, wenn der Energiekonsum pro Einwohner sich um 4,6 Prozent verkleinert hat, während die Bevölkerung im selben Zeitraum um 2,4 Prozent wuchs.

Hinzu kommt: Zwischen 2005 und 2012 sank der Endenergieverbrauch aus sämtlichen Quellen, sei es Strom, Gas oder Treibstoffe, um insgesamt 6,7 Prozent. Auch das sieht nicht schlecht aus. Geht das so weiter, könnte Luxemburg sein Ziel aus dem ersten nationalen Aktionsplan für Energieeffizienz erreichen. Darin steht, zwischen 2005 und 2016 sollten neun Prozent im Endverbrauch eingespart werden, wenn nicht gar 10,4 Prozent, weil das „technisch möglich“ wäre.

Doch schaut man sich die Statec-Daten näher an, zeigt sich: Der Rückgang im Verbrauch um insgesamt 1,36 Terawattstunden war vor allem ein gesunkener Verbrauch an Erdölprodukten um allein 1,237 Terawattstunden. Das ist eine ganz schöne Menge – anderthalb Mal so viel wie sämtliche Luxemburger Haushalte im vergangenen Jahr an Treibstoffen und Heizöl konsumierten. Der Rückgang fand aber vor allem im Transportsektor statt. Dort gab der Ölproduktekonsum in Form von Treibstoffen sogar um 1,534 Terawattstunden nach, was in der Gesamtbilanz aber durch gestiegene Verbräuche an Heizöl kompensiert wurde.

Mit „Transport“ sind natürlich nicht zuletzt Automobile gemeint. René Winkin, der Generalsekretär der Fedil wie des Groupement pétrolier luxembourgeois (GPL), konstatiert: „In ganz Europa sind die Treibstoffverbräuche rückläufig. Die Autos werden effizienter, die Leute nutzen öfter den öffentlichen Transport, und der teilweise Ersatz traditioneller Treibstoffe durch Biofuel ist politisch gewollt.“ Letzten Endes, so Winkin, dürfte die Baisse im Treibstoffverkauf aber vor allem mit der europaweit anhaltenden Krise zu tun haben. „Es gibt einfach weniger Wirtschaftswachstum. In der ganzen Petrolbranche heißt es, die Verkäufe von 2005 seien kaum mehr zu toppen.“

Was vermutlich stimmt und an Luxemburg nicht vorbeigeht: Der gesunkene Treibstoffverbrauch im „Transport“ geht vor allem auf rückläufige Verkäufe an Auslands-Tankstellenkunden im Straßenverkehr (um 0,8 Terawattstunden) und auf einen kleineren Kerosinverbrauch (um knapp 0,6 Terawattstunden) in der Luftfahrt zurück. Dass Luxemburgs Energiebilanz im vergangenen Jahr so erfreulich aussah, ist damit tatsächlich weniger das Ergebnis einer zielgerichteten Effizienzpolitik als eine Folge der anhaltenden Wirtschaftskrise, in der zu Land und in der Luft weniger Güter transportiert werden und für LKW-Fahrer seltener Anlass zum Tanken hierzulande besteht.

Was nicht bedeutet, dass es eine Effizienzpolitk gar nicht gäbe. Da Eigenheimbesitzern für die energetische Sanierung eines Altbaus umfangreiche staatliche Investitionsbeihilfen winken und der Neubau von Niedrigenergie- und Passivhäusern ebenfalls großzügig bezuschusst wird, könnte der bei den Haushalten um 22,6 Prozent gegenüber 2011 gesunkene Erdgaskonsum auf einen Boom bei Sanierung und energieeffizientem Neubau zurückzuführen sein. Das wäre umso bemerkenswerter, als diese Entwicklung sich nur langsam bemerkbar machen kann und 2012 auch die Wetterlage den Heizenergiebedarf eher hätte steigern müssen: 2011 sei ein außergewöhnlich warmes Jahr gewesen, erklärt Olivier Thunus, Energiestatistiker beim Statec. Die Tagesgradzahl, mit der die Verteilung von Außentemperaturen von weniger als 20 Grad Celsius bezeichnet wird, habe 2011 bei 3 140 gelegen und 2012 bei 3 554. Der Durchschnitt über die letzten 20 Jahre betrug 3 564, so dass 2012 wieder Normalität herrschte.

Im Strombereich ist die Entwicklung mit ihren Ursachen auf den ersten Blick nicht so klar. Um 3,5 Prozent war der Stromverbrauch landesweit 2012 gesunken, mit 6,27 Terawattstunden lag er jedoch leicht über dem Stand von 2009 (6,11 Terawattstunden) und 2005 (6,15 Terawattstunden). Einen regelrechten Einbruch gab es aber in der Industrie: Dort wurde mit 2,57 Terawattstunden so wenig Elektrizität konsumiert wie noch nie seit der Jahrtausendwende und 20 Prozent weniger als 2011.

Hat das mit Effizienzanstrengungen zu tun? Oder eher mit der Abschaltung des Schifflinger Elektrostahlwerks von Arcelor-Mittal gegen Ende 2011? Die Pressestelle der Konzernzentrale kommentiert den Stromverbrauch des Stahlunternehmens nicht, der Fedil-Generalsekretär aber geht davon aus, dass der Produktionsstopp in Schifflingen seine Auswirkungen auf die Strombilanz der energieintensiven Industrie ebenso hatte wie etwa die Schließung der Fertigung bei Hyosung in Colmar-Berg. „Und darüberhinaus befindet sich die energieintensive Industrie in ganz Europa in einer Situation von Produktions-Überkapazitäten und schwierigen Überlegungen, was man an Standorten in der EU noch investiert.“ Doch bleiben Investitionen aus, sind gesunkene Energieverbräuche Resultat von weniger Aktivität und nicht von technologischer Innovation in Richtung höherer energetischer Performance.

Damit muss der Negativrekord in der Energieintensität eher Anlass zur Sorge sein. In der Industrie ist er Ausdruck eines Strukturwandels und einer Deindustrialisierungstendenz zumindest in energieintensiven Bereichen. Sie wird, das zeigen die Energiestatistiken auch, zum Teil kompensiert durch wachsenden Energieverbrauch im Tertiärsektor, wo zum Beispiel der Stromkonsum kontinuierlich wächst, 2012 um 19 Prozent gegenüber dem Vorjahr zunahm und mit 2 685 Terawattstunden erstmals den der Industrie übertraf. Das könnte, obwohl das niemand genau sagen kann, an der steigenden Zahl von Datenzentren und Serverfarmen für das Cloud Computing liegen, aber wird dieser IT-Boom dieselben Beschäftigungseffekte haben wie ihn die energiehungrigen Stahl- oder Flachglaswerke auszulösen vermocht hatten? Vermutlich nicht.

Liegen hinter dem gesunkenen Energieverbrauch der Industrie ernste wirtschaftspolitische Probleme verborgen, stellen sich mit der Baisse im Petrolproduktekonsum vor allem fiskalpolitische Fragen. Dass der Verbrauch von Treibstoff durch „non-résidants“, womit laut Statec-Lesart durchreisende LKWs ausländischer Spediteure, Busse, in Luxemburg tankende Grenzpendler und Touristen im Transit gemeint sind, um 0,8 Terawattstunden nachgab, ändert nicht viel daran, dass der Verbrauch in dieser Kategorie mit 20 614 Terawattstunden nach wie vor riesig ist und 2012 vier Mal so hoch war wie der Treibstoffverbrauch im Inlands-Straßenverkehr durch heimische Haushalte, die Industrie, den Tertiärsektor und die Landwirtschaft zusammengenommen. Ein Blick auf die Gesamt-Energiebilanz Luxemburgs zeigt: Der Import an Petrolprodukten ist in seinem Energiegehalt drei Mal so groß wie der Stromimport, doch nur ein knappes Fünftel der Petrol-Energiemenge wird in Luxemburg selbst genutzt. Ohne „Tanktourismus“, das wusste schon Jeannot Krecké vor sechs Jahren, wäre die Energiebilanz des Großherzogtums „nicht derart desaströs“.

So dass die Frage, wie viel Energieeffizienz man will und ob man Rekorde anstrebt, die nichts mit der Krise zu tun haben, nach wie vor und wie schon seit vielen Jahren vor allem die ist, ob das „Differenzial“ in den Diesel-Akzisen gegenüber den Nachbarländern beibehalten werden soll. Ob die neue Regierung darauf eine andere Antwort weiß als ihre Vorgänger, ist alles andere als sicher angesichts der rund eine Milliarde Euro, die das Tankstellengeschäft Jahr für Jahr an Einnahmen aus Akzisen, Mehrwertsteuer und Konzessionsabgaben in die Staatskasse spült: Fallen ab 2015 allein 700 Millionen Euro jährlich an Mehrwertsteuereinnahmen aus dem dann EU-weit harmonisierten elektronischen Handel weg, wird die Tankstellenmilliarde um so wertvoller – zumal das Gleichgewicht in den öffentlichen Finanzen herzustellen die große Herausforderung der neuen Legislaturperiode sein wird.

Peter Feist
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