Zunehmender Konsens

d'Lëtzebuerger Land du 03.10.2025

Erstaunliches ist derzeit im Großherzogtum zu erleben. Eine neoliberale Mitte-Rechts-Koalition wird allem Anschein nach zustimmen, die „Freiheit“ zum Schwangerschaftsabbruch in der Verfassung zu verankern, nachdem das ein Abgeordneter der Linken vorgeschlagen hat. Sollte die Zweidrittel-Mehrheit sich im Parlament finden, und die Zeichen stehen dafür, wird Luxemburg nach Frankreich als zweites Land dieser Welt fortschrittliche Schlagzeilen über den Erdball verteilen, während ein Abbruch im Nachbarland Deutschland grundsätzlich noch immer strafbar ist.

Hierzulande verlagerte die Diskussion sich schnell vom Schwangerschaftsabbruch an sich, der durch das Gesetz von 2014 geregelt wird, auf verfassungsrechtliche Termini. Denn Marc Baums (Linke) Vorschlag ohne Weiteres anzunehmen, hätte für CSV-Premier Luc Frieden einen weiteren Gesichtsverlust bedeutet. Als Frieden demnach die Formulierung „Freiheit“ der eines „Rechts“ vorzog, war das Teil des politischen Spiels, das Marc Baum angezettelt hatte. „Ech loossen et gäre rutschen, wann et da besser rutscht. Mir geet et ëm d’Saach“, sagte Baum im „Kloertext“ in RTL-Télé vergangene Woche.

Nachdem DP-Parteipräsidentin Carole Hartmann erklärt hatte, die Liberalen stünden einem neu formulierten Text positiv gegenüber, lag der Ball bei der CSV. Sie beriet darüber am Montag in ihrem Nationalrat und kam zu einem Konsens einer „großen Mehrheit“, die sich mit der neuen Formulierung anfreunden könne, sagt Françoise Kemp, Co-Generalsekretärin. Es habe unterschiedliche Meinungen gegeben, die aber „nicht geschlechtsspezifisch“ gewesen seien.

Die CSV-Abgeordnete Nancy Kemp-Arendt gibt an, sie werde die neue Formulierung mittragen, auch wenn es ihr „ein bisschen wehtut“ und sie sich „ein wenig durchkauen musste“. Auch Jean-Paul Schaaf ist einverstanden, tut sich jedoch schwer mit der „Überbewertung“: „Man braucht nicht in Panik zu verfallen. Es gibt keinen dringenden Notfall, keine Partei rechts von der ADR, die den Abbruch infrage stellt.“ Jeff Boonen wiederum, der den Vorschlag ebenfalls mittragen will, hat sich die Frage gestellt, wie viele Details man in die Verfassung schreiben soll. Er findet es schade, wie persönlich über jene hergefallen wird, die sich kritisch äußern. Womöglich wird die Entscheidung die einst in gesellschaftspolitischen Fragen wie Abtreibung konservative Volkspartei 2028 Wählerstimmen kosten. Aber: „Die Welt verändert sich, Parteien auch“, sagt Françoise Kemp.

Die Abgeordneten halten den Ball flach. Bisher tanzt niemand aus der Reihe. Der einzige, der sich bisher offen gegen die Einschreibung ausspricht, ist Gérard Schockmel von der DP. Dadurch hat er sich den Groll junger Feministinnen, aber auch von Frauen in der eigenen Partei, wie Barbara Agostino, zugezogen. Gegenüber dem Land erläutert er seine Position. Er sei nicht gegen Frauenrechte, sondern für das Recht auf Leben, das als Teil der Menschenrechtskonvention über allem stehe. Für die junge Generation seien die Frauenrechte „der heilige Gral“. Wer sie infrage stelle oder diskutieren wolle, komme einem Häretiker gleich. Dieser Reflex sei „nicht normal“. Wir existierten heute alle, „weil jemand uns am Leben gelassen hat“. Schockmel benutzt öfter den Begriff Verantwortung, erklärt seinen „tiefen Respekt vor der Ordnung des Universums und dem Leben“. Gläubig sei er nicht, sondern Agnostiker.

Eine Petition gegen die Einschreibung wurde bis Mittwochabend 1 005 Mal unterschrieben. Mehr als drei Viertel der Unterschriften sind anonym. Nächsten Montag wird im parlamentarischen Institutionenausschuss über das „Wording“ eines finalen Textes diskutiert.

Sarah Pepin
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