Frauen können künftig selbst entscheiden, ob sie eine Schwangerschaft fortsetzen wollen oder nicht. Die Fristenlösung ist der Startschuss für das Modernisierungsprojekt von Blau-Rot-Grün

Wenn sie will

d'Lëtzebuerger Land du 11.04.2014

Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Kaum hatte Premierminister Xavier Bettel (DP) während seiner Erklärung zur Lage der Nation angekündigt, die Reform des Schwangerschaftsabbruchs zügig auf den Weg zu bringen, fuhren die Gegner ihre Geschütze auf. Das Luxemburger Wort, in der Vergangenheit zuverlässige Plattform katholischer Abtreibungsgegner, publizierte in der Wochenendausgabe einen Leserbrief, in der die Autorin den Schwangerschaftsabbruch mit der Todesstrafe verglich. Am Dienstag legte Wort-Journalist Marcel Kieffer nach, als er in einem Kommentar gegen die „schlimmste Grenzüberschreitung, die sich diese Regierung anmaßt“ und die „Arroganz einer ‚modernen’ Politikerkaste“ giftete, deren „alleinige Fixierung auf Liberalitätsprinzip und Ansprüche von Selbstbestimmung und Selbsterfüllung des Menschen als fortschreitende Hybris“ ihm Angst mache.

Am gleichen Tag hatte die Wort-Politikjournalistin Danielle Schumacher in einem Gespräch mit dem saarländischen Rundfunk zu Recht festgestellt, dass der „Sturm der Entrüstung“ über die Reform des erst im September vergangenen Jahres mit den Stimmen der damaligen Mehrheitsparteien CSV und LSAP geänderten Schwangerschaftsabbruchsgesetz bei der Opposition bislang ausgeblieben ist.

Die CSV hat noch kein offizielles Statement abgegeben, auch nicht, nachdem Justizminister Felix Braz auf dem Briefing am vergangenen Freitag vor Journalisten weitere Details bekanntgab. Kernpunkte der Reform der Reform: Der Schwangerschaftsabbruch wird bis zur 14. Woche straffrei, die umstrittene zweite obligatorische Beratung entfällt. „Der Staat orientiert die schwangere Frau nicht mehr, sondern er begleitet sie bei ihrer Wahl, wenn sie es wünscht“, erklärte Felix Braz im Land-Gespräch die Philosophie des Textes, den der Grüne in enger Zusammenarbeit mit Gesundheitsministerin Lydia Mutsch (LSAP) verfasst hat. „Wir gehen davon aus, dass Frauen selbst entscheiden können.“ Künftig werde der Schwangerschaftsabbruch „eine Frage der öffentlichen Gesundheitsversorgung sein“, bekräftigte Mutsch, die sich freut, dass die Beratungen der Dreierkoalition „unproblematisch und direkt auf einer Linie“ gewesen seien.

Der neunseitige Entwurf, der dem Land vorliegt, ist die erste von mehreren versprochenen gesellschaftspolitischen Reformen der blau-rot-grünen Regierung und eine klare Absage an die paternalistische Haltung, die noch die Vorgängerregierung geprägt hatte. Gleichwohl stimmt die Aussage von CSV-Parteipräsident Marc Spautz, dass es sich bei vielen der Reformpläne, die die Dreierkoalition versprochen hat, um Projekte handelt, die noch die „Unterschrift“ von der Vorgängerregierung tragen.

Nicht so allerdings der Entwurf zum Schwangerschaftsabbruch, der den Einwänden der damaligen blau-grünen Opposition (und einiger Sozialist/inn/en) Rechnung trägt. Der Vorgängertext war ein mühsam verhandelter Kompromiss zwischen Sozialisten und Christlich-Sozialen gewesen. Mehr Liberalisierung hatte sich die CSV nicht getraut, obwohl sogar in ihren Reihen nicht alle glücklich mit der zweiten Beratung waren. Der alte Text gestand Frauen, die ihre Schwangerschaft abbrechen wollten, die Entscheidung über ihre Notsituation zu – um ihnen dann per Pflichtberatung ins Gewissen reden zu wollen. Der Eiertanz stieß nicht nur Frauenorganisationen und enttäuschten Sozialistinnen bitter auf, auch die Menschenrechtskommission und der Staatsrat übten Kritik.

Der Konflikt zwischen gesellschaftlicher Modernisierung und katholischer Tradition schwelt in der Partei weiterhin. Zumal Fraktionspräsident Jean-Claude Juncker anlässlich der Vorstellung des Regierungsprogramms im Dezember als „freier Mann“ der Opposition eingeräumt hatte, persönlich sei er gegen die Pflichtberatung und die neue Regierung solle sich „frei machen von der Idee, dass wir (die CSV, d. Red.) nicht bereit sind, das Gesetz in einzelnen Punkten zu revidieren“. Wo genau hatte der Premier offen gelassen, aber mit der Aussage, man könne sogar beim heiklen Thema Abtreibung ein „gutes Stück des Weges“ zusammen gehen, macht er es seiner Partei schwierig, sich zu positionieren – ohne frontal gegen ihn zu gehen.

Mit dem Ausscheiden von François Biltgen, Marie-Josée Jacobs und Marie-Josée Frank hat der konservativ-katholische Flügel wichtige Leitfiguren verloren und an Einfluss eingebüßt. Nun bleiben als Hardliner noch Michel Wolter und eventuell Marc Spautz, aber sie halten sich (noch) bedeckt.

Für die katholische Kirche und ihre Anhänger wird, nach dem Euthanasiegesetz, einmal mehr deutlich: Auf die CSV als Hüterin ihrer Werte kann sie nicht uneingeschränkt bauen, dafür ist der Einfluss der Modernisierer in der Partei zu stark geworden. Sie muss andere Wege gehen, ihren moralischen Führungsanspruch zur Geltung zu bringen – und findet den in dem ADR-Abgeordneten Fernard Kartheiser, der bereits die letzte Reform verdammt und per Blog Jean-Claude Juncker aufgefordert hatte, doch das C für Christlich aus dem Parteinamen zu streichen.

Kartheiser war es auch, der in Ermangelung an Unterstützern im eigenen Land, Kontakte zu ausländischen Lebensschützern und Erzkonservativen aufnahm, und hoffte, so den Funke einer reaktionären Revolution à la Frankreich importieren zu können. Daraus wurde nichts, aber die Idee lebt seitdem weiter: Weil die CSV ihnen kein Zuhause mehr ist, äußern sich die Erzkonservativen über andere Kanäle. Via Leserbriefe im Wort und dem von der neuen Regierung reformierten Petitionsrecht (s. Seite 5) versuchen sie gezielt, die öffentliche Meinung in ihrem Sinne zu beeinflussen.

Noch liegt keine Unterschriftenliste gegen die Reform des Schwangerschaftsabbruchs vor, allerdings hat die Initiative Schutz fir d’Kand des Anwalts Jean-Jacques Lorang eine Petition gegen die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare eingereicht. Zu den Erstunterzeichnern gehören neben dem Philosophielehrer und Präsidenten der nationalen Ethikkommission, Pol Kremer, der Richter Alain Thorn sowie der umtriebige Religionslehrer Hubert Hausemer, der sich mehrfach in Leserbriefen gegen die Abtreibung ausgesprochen hat.

Die Verfasser der „Anti-Homoehe“-Petition betonen das „natürliche Recht des Kindes, einen Vater und eine Mutter zu haben“ und unterstreichen die „Wichtigkeit der komplementären mütterlichen und väterlichen Funktionen“. Sie warnen davor, dass mit der Homoehe die „progressive Zersplitterung des öffentlichen Interesses und der Solidarität zugunsten von Partikularinteressen einhergehen.“ Wie sich das verträgt mit der gesellschaftlichen Tatsache, dass immer mehr Mütter und auch Väter ihre Kinder allein erziehen, Kinder bereits heute in homosexuellen Partnerschaften aufwachsen, dass gerade heterosexuelle Paare sich Reproduktionstechnologien zunutze machen und was das mit Solidarität und Kinderschutz zu tun hat, darüber schweigen die Autoren.

Bemerkenswert ist, dass mit Alain Thorn ein, möchte man meinen, zur Unabhängigkeit verpflichteter Richter die Petition unterzeichnet hat. Wie vereinbar ist überdies das Amt als Präsident der Ethikkommission damit, derartige Petitionen zu unterschreiben? Offenbar haben jene Stimmen Recht, die bemängeln, die Kommission sei vor allem ein U-Boot konservativer Kräfte: Dort sitzt neben Religionslehrer Hubert Hausemer und Pol Kremer auch der reaktionäre pensionierte Wort-Chefredakteur Leon Zeches.

„Die Petitionen sind eine Form, sich in unserer Demokratie zu Wort zu melden. Es gibt Menschen, die sind gegen den Schwangerschaftsabbruch und gegen die Öffnung der Ehe“, sagt Viviane Loschetter. Die grüne Vorsitzende des parlamentarischen Justizausschusses, in der die Reform verhandelt wird, plädiert für Gelassenheit und für eine sachliche Auseinandersetzung. „Sicherlich werden sich die altbekannten Meinungsverschiedenheiten in der parlamentarischen Debatte widerspiegeln“, glaubt Loschetter.

Für Diskussionen könnte sorgen, dass die Dreierkoalition die im Ursprungstext von 1978 ausdrücklich festgehaltene Gewissensfreiheit der Doktoren – nach längerer interner Beratung – beibehalten hat, mit der Einschränkung, sollte „eine schwere Bedrohung für die Gesundheit oder das Leben der Schwangeren“ bestehen, der Abbruch durchzuführen ist. „Der Fall ist eher theoretisch. Welche Frau würde zu einem Gynäkologen gehen, der sich weigert, den Eingriff vorzunehmen?“, fragt Felix Braz. Die Beratungsstelle Planning Familial hatte für eine Liste mit Doktoren plädiert, die einen Abbruch durchführen würden, der Vorschlag wurde aber nicht zurückbehalten. Der Europarat in Straßburg hatte 2010 versucht, die Gewissensfreiheit von Ärzten einzuschränken, dies vor dem Hintergrund, dass es in Ländern mit katholischer Prägung wie Polen oder Irland für Frauen extrem schwierig ist, einen Arzt zu finden, der den Eingriff vornimmt. „Die Situation haben wir hier nicht“, betont Braz, der wie Mutsch meint, der Passus „müsste nicht im Text stehen“. Dass es ihn doch gibt, kann als kleines Zugeständnis an all jene gewertet werden, die ethische Bedenken gegen den Schwangerschaftsabbruch haben.

„Wir setzen um, was wir unseren Wählerinnen und Wählern versprochen haben.“ Die luxemburgische Gesellschaft sei „viel weiter, als die katholische Kirche oder andere“ es glauben machen wollen, sagt indes Viviane Loschetter. „Der Text wird auf eine große Grundakzeptanz in der Bevölkerung stoßen“, ist auch Gesundheitsministerin Lydia Mutsch überzeugt. Die Nagelprobe, ob die Luxemburger Gesellschaft die Liberalisierung unterstützt, kommt bestimmt: Der Entwurf soll Ende dieser Woche hinterlegt werden.

Ines Kurschat
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