In ihrer Not, die Pensionsrechte geschiedener Frauen zu verbessern, geht die Regierung alles andere als sozial selektiv vor. Aber sie hat kaum eine andere Wahl

Nachkauf statt Rentensplitting

d'Lëtzebuerger Land du 27.05.2016

Der nationale Frauenrat CNFL hatte sich von der DP-LSAP-Grüne-Koalition mehr erwartet. Vor einer Woche schrieb er enttäuscht, nach allem, was bisher über den Entwurf der Regierung zur Reform des Scheidungsrechts bekannt ist, seien die Regelungen über die Altersversicherung denen im Entwurf des damaligen CSV-Justizministers Luc Frieden von 2003 „ganz ähnlich“. Offenbar solle kein Recht auf Altersversicherung Geschiedener geschaffen werden, sondern nur eine „Möglichkeit“. Nach 13 Jahren sei das ein „Zurück auf Anfang“.

Die Frage der Rentenrechte nach einer Scheidung betrifft vor allem Frauen. Einerseits, weil die Sozialpolitik jahrzehntelang von einer christlich-sozialen Familienpolitik geprägt wurde, in deren Mittelpunkt das heilige Sakrament der Ehe eines männlichen Ernährers und einer erwerbslosen Hausfrau steht, die lediglich von ihrem Gatten „abgeleitete“ Sozialversicherungsrechte besitzt, von ihm bis ins Rentenalter wirtschaftlich abhängig bleibt und im Scheidungsfall die abgeleiteten Rechte einbüßt.

Andererseits sind auch Sozialversicherungskarrieren berufstätiger Frauen noch längst nicht immer vergleichbar oder gar identisch mit denen von Männern. Von den zwischen 2000 und 2005 frisch Pensionierten fehlte Männern, die eine vorgezogene Altersrente mit 60 antraten, nicht in einem Fall auch nur ein Jahr zu den 40 Beitragsjahren, nach denen ein Anspruch auf eine volle Rente besteht. Den neu pensionierten Frauen gleichen Alters fehlten im Schnitt sechs Jahre. Und hatten jene Männer, die damals erst mit 65 in Pension gingen, dies offenbar nicht selten auch getan, um ihre Beitragslaufbahn aufzubessern, weil sie sogar im legalen Renteneintrittsalter im Schnitt noch vier Jahre für einen Vollrentenbezug hätten vorweisen müssen, fehlten den 65-jährigen Neu-Rentnerinnen durchschnittlich 13 Jahre für eine volle Rente (d’Land, 13.04.2012).

Doch ganz so enttäuschend, wie der Frauenrat annimmt, ist das Rentenkapitel in dem am 4. Mai vom Regierungsrat verabschiedeten Reformentwurf nicht verfasst. Höchstwahrscheinlich, denn publik ist der Text noch nicht. Es war aber wohl nur eine unglückliche Formulierung im Pressedossier zu den großen Linien der Reform, die vor zwei Wochen ankündigte, es werde die „Möglichkeit“ geschaffen, für Ehepartner, die während der Ehe ihre Berufstätigkeit „aus familiären Gründen unterbrachen oder reduzierten“, im Scheidungsfall aus dem gemeinsamen Güterstand nachträglich Rentenrechte erwerben zu lassen: Möglich ist so ein Nachkauf aus „familiären Gründen“ schon seit 1999 und nicht nur im Scheidungsfall. Ihn jetzt noch einmal zu „ermöglichen“ suggeriert, der Scheidungsrichter werde darüber befinden, inwiefern der Güterstand zum Nachkauf benutzt werden darf. Das wäre tatsächlich dem Frieden-Entwurf nicht unähnlich. In dessen letzter Version war vorgesehen, den Richter über eine Teilung (Splitting) der Rentenrechte der Ehepartner entscheiden zu lassen. Sozialminister Romain Schneider stellt gegenüber dem Land aber klar, der Nachkauf aus dem Güterstand solle zu einer Regel werden, die im Sozialversicherungsgesetz verankert wird. Und noch ehe in einem Scheidungsverfahren eine weitere Gütertrennung vorgenommen würde, werde die Finanzierung des Rentenrechte-Nachkaufs an erster Stelle stehen. Es sei denn, die anspruchsberechtigte Person verzichtet darauf.

Einen gesetzlich geregelten Nachkauf aus dem Güterstand einführen zu wollen, ist kein ganz neues, aber ein ziemlich neues Moment in der Diskussion um die Altersversicherung Geschiedener. Bisher, und eigentlich schon seit Ende der 1980-er Jahre, kreiste die Auseinandersetzung um zwei Themen: um das Rentensplitting bei einer Scheidung und um einen Übergang zu generell „individualisierten“ Rentenrechten. Ein Rentensplitting gilt in Europa in Ländern wie Großbritannien, Deutschland, den Niederlanden und der Schweiz. Dabei werden im Scheidungsfall die Rentenrechte, die Ehepartner im Laufe der Ehe erworben haben, addiert. Die Summe wird anschließend halbiert und jeder bekommt eine Hälfte. Was eine Übergangslösung hin zu individualisierten Rechten ist, die jeder sich aufbaut und die die Ehepartner nach einer Scheidung einfach behalten. Reduziert einer der beiden aus familiären Gründen seine Berufstätigkeit oder gibt sie zeitweilig auf, wäre der andere verpflichtet, für dessen Weiterversicherung finanziell mit zu sorgen.

Man kann es bemerkenswert finden, dass das Splitting-Prinzip in überwiegend protestantisch geprägten Ländern besteht und dass sich in Luxemburg zuletzt auch die CSV weder der Diskussion über das Splitting verschloss, noch der über individualisierte Rechte. 2009 gelangte das Splitting in Luc Friedens Scheidungsrechtsreformentwurf. Dass es vom Richterspruch abhängen sollte, statt obligatorisch zu werden, beschloss der parlamentarische Justizausschuss nach zwei Jahre langen Debatten. Auf halbem Wege dieser zwei Jahre versprach CSV-Premier Jean-Claude Juncker 2008 in seiner Erklärung zur Lage der Nation ausdrücklich den Übergang zu individualisierten Rentenrechten. Wenn auch die CSV sich zuletzt mit eigentlich sozialistischen und liberalen Ideen zum Rentenrechte-Umbau anfreunden konnte, dann fragt sich, weshalb ausgerechnet die derzeitige Regierung neue Wege gehen will.

Die Gründe dafür scheinen weniger politischer als technischer und juristischer Natur zu sein. Das ist zwar weniger kurzweilig, wirft aber ein bezeichnendes Licht auf die Zusammensetzung der Berufstätigen Luxemburgs und auf sein Rentensystem.

Es war der Staatsrat, der 2010 in seinem letzten Gutachten zum abgeänderten Scheidungsrechtsreformentwurf Luc Friedens riet, auf das Rentensplitting zu verzichten und stattdessen den geregelten Rentenrechte-Nachkauf aus dem Güterstand einzuführen. Was der Staatsrat damit meinte, ging damals ziemlich unter: In Luxemburg ist ein Rentensplitting im Scheidungsfall nicht machbar und für individualisierte Rentenrechte stehen die Aussichten ebenfalls schlecht.

Einzusehen ist das nicht ohne Weiteres. Immerhin erhält jeder Rentenversicherungspflichtige Jahr für Jahr von der Sozialversicherung einen Bescheid über die geleisteten Beiträge mit der Post. Weshalb sollten die sich nicht teilen lassen und weshalb wäre es so schwer, zu individualisierten Rechten überzugehen?

Ein Grund ist, dass das Luxemburger Rentensystem nicht nach dem Kapitaldeckungsverfahren funktioniert, sondern die derzeit Aktiven die Renten der Pensionierten finanzieren. Würde für jeden Aktiven ein eigenes Rentenkapital angespart, wäre ein Splitting kein Problem und die Rechte wären leicht individualisierbar.

Stattdessen setzen die Rentenrechte sich aus einem Anteil zusammen, der auf die geleisteten Beiträge zurückgeht, aus einen zweiten, der sich nach der Dauer der Zugehörigkeit zur Rentenversicherung richtet, und drittens entsteht nach zwanzig Beitragsjahren ein Anspruch auf ein Complément, das nach der Pensionierung eine zu kleine Rente auf die Mindestrente anhebt. Diese Rechte sind nicht nur ausgesprochen persönlich. Soll über ihre Teilung nicht ein Richter entscheiden, sondern ein Mechanismus gefunden werden, der im Sozialversicherungsgesetz verankert wird und ein Recht begründet, dann müsste garantiert sein, dass sich durch ein Splitting keine Vorzugsbehandlung Geschiedener gegenüber nicht Geschiedenen ergibt. Das hält die Regierung für praktisch ausgeschlossen. Zumal auch ein Splitting zwischen Rechten organisiert werden müsste, die im Privatsektor erworben wurden, und Rechten aus dem öffentlichen Dienst, wo keine Beitragsobergrenze gilt. Und, noch komplizierter, auch eines mit Rechten auf Fünf-Sechstel-Beamtenpensionen im Übergangsregime – ohne dass daraus Bevorteiligungen entstünden.

Dass sich hinter dieser Haltung am Ende doch mangelnde politische Courage verbergen könnte, ist zwar nicht ausgeschlossen, aber wenig wahrscheinlich. Im Ländern im Ausland mit Splitting-Regel sind diese Probleme schon deshalb weniger groß, weil die Pensionssysteme dort weniger großzügig sind: In Deutschland gibt es zum Beispiel kein Mindestrenten-Complément, da können aus einem Splitting zwei „Hungerrenten“ entstehen. Und in den Niederlanden gilt eine bescheidene öffentliche Bürger-Rentenversicherung, deren Leistungen sich nur nach der Aufenthaltsdauer im Lande richten.

In Luxemburg dagegen wäre auch ein Splitting mit Rentenrechten aus dem Pensionssystem für EU-Beamte zu organisieren. Und es fragt sich, wie mit Grenzpendlern zu verfahren wäre, falls das Splitting zu einem Prinzip der Sozialversicherung werden soll: Würde ein in Luxemburg rentenversicherter Frontalier von seiner im Ausland lebenden Ehefrau geschieden und diese nicht ebenfalls in Luxemburg rentenversicherungspflichtig sein, müssten sich die Rechte beider dann ebenfalls splitten lassen? 80 Prozent der derzeit in Luxemburg beruflich Aktiven haben eine international gemischte Rentenversicherungslaufbahn. Vor allem angesichts der juristischen Probleme beim Umgang damit lässt die Regierung lieber die Finger vom Rentensplitting.

Die starke Präsenz von Grenzpendlern und „Wanderarbeitnehmern“, wie sie im EU-Jargon genannt werden, macht auch den Übergang zu individualisierten Rentenrechten so schwierig. Denkbar ist es schon, dass in Luxemburg die Individualisierung eingeführt und festgeschrieben würde, dass Eheleute oder in einer eingetragenen Partnerschaft Zusammenlebende mit aufzukommen hätten für eine obligatorische Weiterversicherung ihrer Partner, falls die aus familiären Gründen ihre Berufstätigkeit einschränken oder zeitweilig aufgeben. Aber müsste ein im Ausland berufstätiger und dort rentenversicherter Partner dann nicht aufkommen für die Weiterversicherung seines Partners, der in Luxemburg als Frontalier individualisierte Rechte aufbaut? Wie aber könnte das verlangt werden, solange es dafür keine EU-Regeln gibt?

Mit dem organisierten Rechte-Nachkauf scheint die Regierung das Maximum des Machbaren zu unternehmen. Bei gleichzeitig wachsender Dringlichkeit: Immerhin nimmt die Zahl der Scheidungen zu, lag sie 2011 bei 1 275, wurden im vergangenen Jahr 1 554 Ehen aufgelöst. Und obwohl sich immer mehr individuelle Rentenrechte dadurch ergeben, dass die Frauen-Beschäftigungsquote zunimmt, lag diese 2014 mit 65,5 Prozent noch immer niedriger als die der Männer mit 78,4 Prozent. Und arbeiteten 2014 von den rund 240 000 berufstätigen Einwohnern des Landes 44 000 Teilzeit, waren darunter 6 000 Männer und 38 000 Frauen, und für fast 60 Prozent der Teilzeitbeschäftigten waren die Kindererziehung beziehungsweise „andere familiäre Verpflichtungen“ der Grund dafür. Die Notwendigkeit, Rentenrechte aufzubessern, besteht trotz steigender Frauenbeschäftigung fort und auch die Hausfrauen-Ehe oder Hausfrauen-Partnerschaft ist so selten noch nicht geworden: Unter Paaren, die ohne Kinder zusammenleben, ist die Frauen-Beschäftigungsquote mit 61 Prozent am geringsten.

Allerdings ist organisierter Nachkauf das Gegenteil von „selektiver Sozialpolitik“. Vielleicht war das dem LSAP-Sozialminister peinlich, denn Rechenbeispiele zum Nachkauf gab Romain Schneider nicht auf der Pressekonferenz vor zwei Wochen an, sondern ließ sie nachträglich per E-Mail an die Redaktionen schicken. Ihnen ist zu entnehmen, dass nach einer zehnjährigen Unterbrechung einer Tätigkeit, für die der anderthalbfache Mindestlohn bezogen wurde, im Scheidungsfall 41 568 Euro aufgewandt werden müssten, um das Zehnjahres-Äquivalent eines 1,25-fachen Mindestlohns an Rentenrechten zu kaufen und nach 40 Beitragsjahren 2 442 Euro an monatlicher Rente beziehen zu können statt 1 911 Euro ohne Nachkauf.

In einer Abwandlung dieses Beispiels würden, um zehn Jahre Halbtagsarbeit zu kompensieren, 16 627 Euro für einen Nachkauf zum 0,75-fachen Mindestlohn-Äquivalent erforderlich, damit die monatliche Rente nach 40 Beitragsjahren 2 652 Euro betrüge anstelle 2 396 Euro ohne Nachkauf.

Das sind keine kleine Summen, obwohl der Staat ein weiteres Drittel der Nachkaufinvestition zuschießt, wie generell bei Nachkäufen seit 1999. Immer jedoch wird das Geld aus dem Güterstand einer Ehe zum Nachkauf nicht zur Verfügung stehen. Fehlt das Geld, ist keine andere Lösung von der Regierung vorgesehen. Schlimmstenfalls, wenn die Beitragszugehörigkeit zur Rentenkasse am Ende nicht die 20-Jahre-Schwelle überschreitet, nach der das Complément für die Mindestrente beansprucht werden kann, bliebe nur der Gang zum Sozialamt. Gegenwärtig sind 1 348 RMG-Empfänger Rentner, darunter 607 Frauen.

Dagegen können Paare, die sich den Nachkauf leisten können, den Aufwand als Sonderausgabe von der Einkommenssteuer absetzen. Und sie erwerben trotz hoch erscheinender Investitionen umfangreiche Rentenleistungen – sofern sie als Pensionäre nicht früh sterben. Für die Pensionskasse ist der Nachkauf auf jeden Fall defizitär. Ihr Präsident hatte vor vier Jahren in einer Stellungnahme zur Pensionsreform vorgerechnet: Schon auf einen Nachkauf von fünf Jahren Rentenrechten zum einfachen Mindestlohn hin könnte die Kasse doppelt so viel an Rentenleistungen ausgeben, wie sie durch den Nachkauf einnimmt. Aber nur, falls die Rente erst mit 65 angetreten wird. Würde durch den Nachkauf eine vorgezogene Rente ab 60 möglich, könnte bei einer Nachkaufsumme des Versicherten von rund 18 000 Euro und dem Staatszuschuss eines weiteren Drittels oder 9 000 Euro, dem Rentensystem eine Mehrausgabe von rund 210 000 Euro an Leistungen entstehen.

Wenngleich das Rechnungen aufgrund zahlreicher Annahmen waren, werden sie in der Größenordnung auch in Zukunft zutreffen. Luxemburg wird, statt neue Rentenrechte zu definieren, der Rentenkasse neue Kosten aufbürden. Vielleicht ist das eine Art ausgleichende Gerechtigkeit für die exorbitanten Einnahmen, die das Beschäftigungswachstum durch Migration und Grenzpendler seit fast vier Jahrzehnten in die Rentenkassen spült: Dadurch wird die Abkehr von traditionellen Sozialversicherungsmodellen schwer, obwohl sie politisch in Reichweite liegt. Also muss man sie sich von dem vielen Geld in der Kasse halt kaufen.

Das Sozialministerium geht davon aus, dass künftig pro Jahr auf an die 450 Scheidungen von Ehen mit durchschnittlich 13 Jahren Dauer ein Rentenrechte-Nachkauf erfolgen könnte. Den Ein-Drittel-Aufwand zur Staatsbeteiligung daran schätzt das Ministerium auf 2,5 Millionen Euro im Jahr. Und schon ohne die Scheidungsrechtsreform wird der Nachkauf immer öfter genutzt: 326 Mal war das im Jahr 2000 der Fall, 831 Mal im Jahr 2014.

Peter Feist
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