Es war einmal Kathmandu. Ein Losungswort, ein Geheimcode, in aller Munde. Kathmandu, du gehörst dazu. Zur Bruder- oder Schwesternschaft, zu denen, die über die Ameisenstraße krabbeln, mit Siddharta im Rucksack. Sonst möglichst mit nichts. Oder nur Erbetteltem. Wie Mönche. Das ist das Höchste, das Allerniedrigste zu sein. Frei wie Laub, wie Staub.
Daumen in die Luft, ein Auto wird kommen, noch eins, viele, Bahnen, Busse, die immer zusammengebastelter aussehen, voller, bunter, Länder, die immer bunter werden mit immer dunkleren Menschen. Die aber zunehmend erleuchtet sind. Auch wenn sie hungrig sind und nichts besitzen außer Kinder und Götter.
Kathmandu, raunt man einander zu. Es geht geradeaus, Berge und Flüsse und Afghanistan und der Iran, irgendwann sind die Sohlen abgelaufen, die Visen, die Devisen, es geht barfuß weiter, über Pässe, magere Menschen winken und lachen ohne Zähne, wie herzerwärmend ist das. Wanzen kommen auf Besuch, Kamele grinsen, Augen schauen gelb. Eine neue Dimension des Kotzens erschließt sich. Glaubst du, die bringen uns um? Dann wieder wird man eingeladen, auf einen Kefir in einem Hinterzimmer, wo sich ein Greis zwischen Teppichen über den Bart streicht, ein Teeschälchen wird gereicht.
So stapf denn weiter, o Fremdling! Kathmandu singt es in deinem Busen.
Sinnend kaut der Heimkehrer an dem vollkörnigen Reis, saugt an der Friedenspfeife, die die Runde macht in der Uucht. Er schüttelt bedächtig das zottelige Haupthaar, in dem sich weiße Fäden eingenistet haben wie sich Runzeln eingenistet haben in seinem würdigen Antlitz. Die Zuhörerinnen lauschen ergriffen dem Patriarchen, der die Welt gesehen hat, die wirkliche Welt, jenseits aller Täuschungen. Er war im Nepal. Da, wo die Häuser bunt sind und die Menschen niedlich und friedlich, da wo Dämonen und Freaks in den Straßen tanzen und Hippies neben Göttinnen lagern, einfach so. Er erzählt von heiligen Männern, denen er, wie man sieht, immer ähnlicher wurde im Lauf der Wunderschaft, mit dem Haarnest auf seinem Kopf und den ledernen Füßen. Heilige Männer, die Jahrzehnte lang, aber wer rechnet in profanen Zeiteinheiten angesichts der Ewigkeit, in originellen Posen posieren, denen dabei wichtige Körperteile verdorren, das bedeutet ihr höchstes Glück, wären sie nicht komplett immun gegen Glück. Das erstreben sie selbstverständlich nicht, sie sind keine Glücksstreber, sie wollen nichts, aber das konsequent. Der Rückkehrer hat sich zwischen Heiligen bewegt, Heiligen Männern, Heiligen Kühen. Die Frauen waren nicht heilig, nach seinen Schilderungen zu schließen aber ausnehmend angenehme Geschöpfe, ganz anderer Art wie die, die sich hier um ihn scharen, auch wenn die sich, das muss er anerkennen, redlich bemühen. Frauen, die Frauen sind, träumt der Patriarch, Yin, das die Yang-Energie vollkommen ergänzt, kosmische Einheit, träumt der Patriarch. In Tuch gehüllt, das in den sattesten Farben leuchtete, reichten diese richtigen Frauen mit anmutigen Bewegungen dem fremden Mann paradiesische Kost, die dieser freudig annahm. Sonst wären diese Menschen ja sehr gekränkt gewesen.
Tote werden verbrannt, Ziegen geopfert, Göttinnen gepudert. Irgendwann, niemand wusste, wie viele Staubkörner vom Wind über den Hindukusch und den Himalaya geweht wurden, waren die Nepalfahrerinnen ergraut und vergreist, Krankheiten hatten sie befallen, Räuber sie überfallen, allerlei Widrigkeiten waren ihnen begegnet. Das waren die Prüfungen, denen sich jeder, der sich auf die große Reise macht, stellen muss. Dann sind es richtige, echte Reisen, die gelten, Reisen in Fata Morganas und Labyrinthe, Reisen, huch, zu sich selber, wer soll denn das sein.
Alles nur Täuschung, murmelt die Reisende in die dampfende Suppe in der mampfenden Truppe im Pudding Shop.
Kathmandu, befiehlt es den Zurückgebliebenen, denen, die ein Jahrzehnt neben einem gepackten Rucksack hocken. Immer regnet es, oder sie verlieren die Brille oder den Pass oder die Lust, der Rucksack liegt unter einem Flipper, Kathmandu, sagen die Zurückgebliebenen, wenn einer sie fragt.
Wohin.
Was sollen sie auch sonst sagen?