Wenn ein greiser Häuptling das Zeitliche segnet, schreckt die angeblich jugendwahnsinnige Gesellschaft kurz auf. Was, der Patriarch desertiert von der Arche!? Darf er das, geht das, wer soll ihnen denn jetzt vom Alterssitz etwas zurufen, vielleicht sogar etwas Aufmunterndes?
Wer wird jetzt murren, knurren, ein bisschen poltern, nicht zu sehr, bitte, Weltlauf, nimm ein bisschen Rücksicht auf den Kreislauf. Wer wird friedensstören, von unheilbaren Utopien befallen, altersstörrisch? Welche absonderlichen Dinge er aber auch immer wieder absonderte! Oder kriegt er gar einen Tobsuchtsanfall? Wenigstens regte ihn sein Lieblingsfeind zuletzt nicht mehr auf, der seine Werke genüsslich zerriss, auf dem Spiegel-Cover und überhaupt.
All das, obschon er ja angeblich ein Denkmal war. Tod eines Monuments, titelte RTL Luxemburg zum Beispiel etwas sinnfern. Jemand, der sich linientreu blieb, uns nicht verwirrte, sein Geschlecht nicht verwechselte und sich nicht immer in unterschiedlichen Dressings präsentierte. Wo das drin war was drauf war, da wusste man, was auf den Tisch kam. Katzen, Mäuse, Wildhühner, Rättinnen, Butte. Gute deutsche Hausmannskost. Die vor langer Zeit, damals, als es noch Parteien gab, auch richtig deftig schmeckte. Später entsprach das dem Geschmack der Zeit nicht mehr wirklich.
Dennoch... was gibt es Trauteres für kopflos herum irrende Nachgeborene, als wenn ein grantiger Großvater in der Uucht im Fernsehen die Leviten liest? Denn wer wird jetzt die Pfeife stopfen, die keineswegs eine Friedenspfeife ist, ein bisschen in ihr rum stochern, dabei über den Rand der Augengläser lugen, in den Abgrund. Und dann doch noch mal eine Salve abfeuern, vielleicht trifft sie ja.
Wer wird uns jetzt den Krieg und den Frieden erklären, sinnen Nachgeborene wehmütig infantil vor sich her, wenn wieder ein Patriarch sie sitzen lässt. Wer wird jetzt unser Welterklärer sein? Einer hält noch die Stellung. Häuptling Schmidt kommt angerollt, pafft Rauchkringel in die Fernsehstudioluft, die Talkshow-Moderatorin schaut das in Wolken gehüllte Orakel gebannt an. Er wird zum Fernsehvolk sprechen! Zwischen langen Zügen, er lässt sich Zeit, er hat ja Zeit, sein ferner Blick taucht in die Zukunft, oder ist es die Vergangenheit, oder die Ewigkeit. Was die Zukunft anbelangt, so wird sie natürlich, so prophezeite es auch Peter Scholl-Latour in seinem letzten Satz bei seinem letzten Fernsehauftritt, schwer sein. Schwere Zeiten werden uns bevor stehen, so verabschiedete sich Scholl-Latour von seinem Fernsehgefolge, bevor er sich endgültig auf dem Feldherrenhügel niederließ. Stéphane Hessel empfahl den Jungen immerhin noch, sich zu empören, bevor er sich empfahl.
Welterklärer sterben aber bestimmt nicht aus. Thronen sie nicht an jedem Stamm- oder Küchentisch? Treiben sie sich nicht in großer Zahl in den sozialen Foren herum, wo sie gern penibel pedantisch törichte Jungfern zurecht weisen. Manchmal schon etwas ungehalten, indem sie auf Zusammenhänge verweisen, die sich in ihrer Komplexität dem gemeinen, begriffsstutzigen Facebook-Fußvolk nicht auf den ersten Klick erschließen.
Alte Männer, die das dringende Bedürfnis haben, ihren Mitmenschen zu erklären, worum es geht, und wo es lang geht, sterben ganz bestimmt nicht aus. Die Zeitzeugin wagt eine optimistische Prognose: Da gibt es reichlich Nachwuchs.
Fragt sich nur, wo die Damen bleiben mit ihren Kommentaren zum Lauf der Dinge. Warum sich so selten Damen mit Rollator in das Licht der Scheinwerferwelt schieben um uns mal zu erklären, was Sache ist. Dabei gibt es von ihnen, von uns, überproportional viele, gar im gesegneten Alter.
Oder gehören sie einfach noch der Generation an, die leise weise in den Pudding seufzte, sich höchstens anmaßte, Liebe zu erklären, aber doch nicht gleich die Welt?
Zeit, dass ein paar Wahrsagerinnen unter den ehrfürchtigen Blicken von Moderator_innen Platz nehmen und über etwas plaudern, das nicht aus dem Nähkästchen kommt.
Es könnte ja mal was Neues sein.