Das Arbeitsrecht spielt seit längerem kaum noch eine Rolle im Wahlkampf. Selbst die traditionell den Gewerkschaften nahestehende LSAP findet meist, dass man die Gewerkschaften getrost mit arbeitsrechtlichen Fragen alleine lassen soll. Diesmal könnte das etwas anders sein. Denn mit unterschiedlicher Begründung drängen viele Kandidaten auf eine Flexibilisierung des Lohnarbeitsverhältnisses. Dass das nicht jedem geheuer ist, zeigte sich am 1. Mai. OGBL-Präsident André Roeltgen verlangte, dass der normale Arbeitsvertrag besser geschützt und das Arbeitsrecht zum „Bollwerk gegen jede Form der Rechtslosigkeit in den Arbeitsverhältnissen“ werden müsse. Denn „digitale Plattformen wie Uber sind nur Spitzen des Eisbergs, um den Schutz der Arbeit grundsätzlich in Frage zu stellen“. In ähnlichen Worten forderte LCGB-Präsident Patrick Dury, dass unbefristete Arbeitsverträge die Regel bleiben, die Scheinselbstständigkeit verhindert werden und die obligatorische Sozialversicherung bestehen bleiben müssten.
Vielleicht war das auch ein wenig eine Antwort auf Premierminister Xavier Bettel, der vergangene Woche in seiner Erklärung zur Lage der Nation angekündigt hatte, „die Flexibilität weiter auszubauen und Modelle auszuarbeiten, bei denen Arbeitszeit und die Zeit mit der Familie sich optimal ergänzen“ würden. Der Staat solle „die Voraussetzungen schaffen, dass die Betriebe und die Lohnabhängigen sich besser auf neue Arbeitszeitmodelle einigen können“. Ein gesetzlicher Rahmen soll geschaffen werden, damit junge Eltern „ihren Alltag so viel wie möglich mit ihren Kindern verbringen können“, ohne dass das „auf Kosten ihrer beruflichen Aussichten oder auf Kosten der Produktivität das Betriebs“ gehe.
Familienministerin Corinne Cahen hatte auf dem DP-Parteitag vor 14 Tagen angekündigt, dass mit den „starren Arbeitszeiten, starren Vorschriften und starren Arbeitsorten“ Schluss gemacht werden soll. Möglicherweise ist nicht jedem aufgefallen, dass dies Schlüsselelemente sind, die laut Artikel 121-4 des Arbeitsgesetzbuchs zum Schutz der Beschäftigten Bestandteil jeden Arbeitsvertrags sein müssen und deshalb vor allem von den Unternehmen als „starr“ empfunden wurden.
Wirtschaftsminister Etienne Schneider hatte auf dem LSAP-Kongress vor einem Monat versprochen, dass „die 40-Stundenwoche ausgedient“ habe, da die Volkswirtschaft digital und nachhaltig werde, Jeremy Rifkin sei sein Zeuge. Der Minister wünschte sich, dass „alle an den Produktivitätsgewinnen beteiligt werden“ sollen. Der OGBL-Präsident schätzte zum 1. Mai, dass die Digitalisierung die Produktivität steigere, bis Arbeitszeitverkürzungen bei vollem Lohnausgleich möglich würden. So dass der Unternehmerdachverband und die Handelskammer bereits angestrengt vorrechnen, dass es hierzulande seit Jahren keine Produktivitätsgewinne mehr gebe.
Die DP beschwichtigt deshalb, dass die Flexibilisierung des Arbeitsrechts im Grunde eine Fortsetzung der Reform des Elternurlaubs werden soll, nachdem sie die Familien „in der Rush hour des Lebens“ als liebste Wahlklientel ausgewählt hat. Dass die Reform des Elternurlaubs, ihre soziale Vorzeigereform, zum Erfolg wurde, hat aber einen Preis: eine Verdoppelung der staatlichen Ausgaben auf 165 Millionen Euro vergangenes Jahr. Es ist nicht sicher, ob die DP genug Geld bereitstellen will oder kann, um statt der Verteilung von Produktivitätsgewinnen die sozialen Kosten einer Flexibilisierung des Arbeitsverhältnisses zu verstaatlichen. Denn familienfreundlich sind atypische Arbeitsverhältnisse bestenfalls für eine Minderheit der gehobenen Einkommensklasse. Den restlichen Familien droht die ständige Ungewissheit, wie lange sie ihren Urlaub, ihre Hypotheken oder die Studien ihrer Kinder bezahlen können.