LEITARTIKEL

Ons Stad

d'Lëtzebuerger Land du 03.03.2023

„Betteln verboten!“ soll in der Hauptstadt demnächst gelten. Zumindest an bestimmten Tagen zu bestimmten Uhrzeiten und an bestimmten Plätzen. Der DP-CSV-Schöffenrat will das in einer Änderung zum Polizeireglement der Stadt festschreiben lassen. Bislang untersagt es lediglich organisiertes Betteln. Der Entwurf zu der neuen Verordnung wurde am Dienstag in der kommunalen Reglementkommission vorgestellt. Vielleicht noch diesen Monat könnte der Gemeinderat darüber abstimmen.

Auf den ersten Blick ist das ein erstaunlicher Vorstoß. Immerhin ist es im Großherzogtum nicht mehr gesetzlich verboten, sich mit einem Pappbecher an einen Straßenrand zu setzen oder Passanten um „eng Mënz“ zu bitten. Die mendicité simple wurde aus dem Strafgesetzbuch gestrichen, als Luxemburg 2008 die EU-Richtlinie über den freien Personenverkehr in nationales Recht übernahm.

Juristisch gesehen, führt der Versuch, „einfaches Betteln“ auch nur einschränken zu wollen, sogar in Untiefen. Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg erklärte es vor zwei Jahren in einem Urteil zu einem Teil der Privatsphäre: Wer bettelt, bitte um Hilfe. Die Verfassungsrevision, die am 1. Juli in Kraft tritt, regelt das Verhältnis zwischen Gesetzen und kommunalen Verordnungen neu. Vor allem das mit jenen Verordnungen, die Freiheitsrechte einschränken. Sinngemäß darf es solche Einschränkungen per Verordnung künftig nur als Präzisierung gesetzlicher Bestimmungen geben. Da einfaches Betteln nicht mehr gesetzlich verboten ist, stünden Polizeireglements, die weiter reichen, dann auf schwächeren Füßen. Bisher fallen sie weitgehend unter die Gemeindeautonomie. Deshalb gibt es in Diekirch, Ettelbrück und Düdelingen schon seit Jahren ähnliche Bestimmungen, wie sie nun in der Hauptstadt eingeführt werden sollen.

Auf den zweiten Blick ist der Vorstoß des Hauptstadt-Schöffenrats nicht erstaunlich. Er passt zu seiner Kampagne für Law and Order. Er passt dazu, dass gesetzliche Grauzonen ausgenutzt werden, um Agenten privater Sicherheitsfirmen auf Patrouille zu schicken. Er passt zu den Erzählungen von DP-Bürgermeisterin Lydie Polfer über Schmuckdiebe auf der Plëss. Die Reglementkommission erfuhr am Dienstag, in „unserer Stadt“ solle man sich „wohlfühlen“ können und nicht „belästigt“ werden. Wer so argumentiert, dem kann es politisch nur nützen, wenn ein Reglement, das Betteln einschränkt, auf Probleme bei der Inkraftsetzung stößt. Im Wahlkampf lässt sich dann sagen: „Wir haben alles versucht!“

Im Wahlkampf kann es Stimmen verängstigter Bürger und verärgerter Geschäftsleute bringen und Ruhe und Ordnung schätzender Leistungsträger bringen, wenn Armut kriminalisiert wird. In Wirklichkeit glaubt der Schöffenrat vermutlich selber nicht daran, dass die Einschränkungen im Alltag viel bewirken würden. Vermutlich ist ihm sogar klar, dass eine so reiche Stadt wie Luxemburg nicht nur „Talente“ an hochwertige und gut bezahlte Arbeitsplätze zieht, sondern auch Menschen aus nah und fern anlockt, die vom großen Kuchen des Wohlstands ein paar Krumen abhaben möchten. Manche tun das, indem sie betteln.

Als der Straßburger Menschenrechtsgerichtshof im Januar 2021 sein Urteil fällte, trug auch der Luxemburger Richter Georges Ravarani es mit, begründete das aber zum Teil anders als die Mehrheit der Richter/innen. Unter anderem schrieb er, die bloße Tatsache, dass Bettelnde manche Menschen stören, mache aus Betteln keine rechtswidrige Aktivität. Das sei der Preis des Lebens in einer freien Gesellschaft. Kundgebungen im Freien würden manche Leute ebenfalls stören, während andere wiederum eine irrationale Angst vor Hunden hegten und ihnen beim Spazierengehen am liebsten nicht begegnen möchten. Gleichwohl würden weder Hunde noch Kundgebungen allgemein verboten.

Darin besteht die wirklichkeitsfremde Dialektik, die der DP-CSV-Schöffenrat zu vermitteln versucht: Als gebe es eine Rückkehr in eine Vergangenheit, in der die Hauptstadt genauso reich, genauso bevölkert, genauso dynamisch war wie heute, aber zugleich viel geordneter und aufgerümter. Wen seine Erinnerung nicht trügt, der weiß, dass es so eine Vergangenheit nicht gab.

Peter Feist
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