Liebe Facebook Freund_innen, wer auch immer ihr seid, könnt ihr nicht endlich aufhören?! Mit eurer Toskana und eurem Bilbao und euren nackten Frühlingsstränden und den geilen, heruntergekommenen Straßenecken, für die Fortgeschrittenen. Und euren Antiquariaten an der Seine und den Graffiti in Moskau, in der U-Bahn, und der Hundekacke in, ach, keine Ahnung, irgendwo Poetischem, im Osten vermutlich, für die ganz Fortgeschrittenen. Mit euren Anden und Alpen und den unschätzbaren Kulturschätzen. Vor denen ihr entspannt repräsentiert, euch selber, und die Welt präsentiert. Mir zum Beispiel eurem Opfer, eurem Like-Opfer.
Ja, ich kann es nicht lassen. Ich stecke meine Nase ins Gesichtsverlierbuch, wo ich so gern meine Zeit verliere und sie so köstlich verplempere, ja, ich treib mich da gern herum. Zwischen den Hunden mit Hut und den aufrüttelnden Postings, ohne Bienen. Ich pflücke ein paar Blümchen, das ganz Traurige überklicke ich, Kinder ohne Haare, Tiere, aus denen Blut fließt. Ich bummele so rum, stecke mir einen Scherz ein, teile ihn sogar. Ich schnuppere und spioniere und blättere mich durch Alben von Unbekannten, ich strolche durch Bekenntnisse, manchmal erwerbe ich Kenntnisse. Ein bisschen abhängen und rumhängen.
Ich bin auf den Gemeinplätzen der Phantom-Community unterwegs, nehme Trends zur Kenntnis: Weltrettung zum Beispiel wird derzeit kaum geboten. Ich trolle gern, dann trolle ich mich. Dann poste ich furchtbar Wichtiges, Revolutionäres, extrem Lustiges, Supergeistreiches, also liebt mich jetzt! Gesichts- und Zeitverlierbuch, mein Lieblingsbuch.
Es ist ja auch wirklich nett, dass ihr eure Weltläufigkeit, wie man das mal nannte, mit mir teilt, die vollen Gläser auf entzückenden Terrassentischen, in touristischen Nischen. Aber manchmal kann es einem echt zu viel werden! An so genannten Feiertagen, also quasi immer. All diese buddhistischen Tempel, die animistischen, autistischen Rituale, dann wieder Chartres, zwar auch immer wieder schön.
Die Straßenlampe in, vermutlich, hm, Asturien, Asturien vielleicht, Asturien klänge gut, ok, liken, Mensch ist ja nicht so. Oh, das Meer! Noch mehr Meer, 54 Fotos. Nicht schlecht, gute Kamera, guter Blick, der unbekannte Facebookkamerad, ein Mensch von Stil und mit Gefühl, offensichtlich. Mit Lebens- Art geht es weiter, Kunst, Denkmäler, keine 08/15-mäßigen natürlich, es handelt sich um erlesene Facebook-Freund_innen, die posten keinen Eiffelturm, außer vielleicht einen mit Spezialeffekt. Aus einer Radikalyogaperspektive oder mit einem Flüchtling. Da geht es nicht um Zurschaustellung von Materiellem, gut, sie winken schon mal von einer Yacht, ihrer, aber mit Witz, hin und wieder schmuggelt sich ein mächtiges Gefährt vor ockeres Gestein, vielleicht irgendwo in, hm, wo auch immer, soll ich so was liken? Ich bin schon total ausgeliket, meine Likes sind echt zu billig, ich like Kirchtürme und Zehen leckende Wellen, die Hunde anbellen, und Bettlerinnen in Zentralasien. Falls es denn Zentralasien ist.
Denn das, liebe Gesichts- und Zeitverlierbuchfreunde, das frustriert mich wirklich! Nicht unbedingt, dass ihr eure ausgedrückten Eindrücke mit mir teilt, das halte ich noch aus, man kann ja nicht immer alles nicht aushalten, und es ist ja auch schön, und auch schön von euch.
Was ich wirklich nervig finde, ist dass ihr eure Fotogemälde in der letzten Zeit geheimniskrämerisch kommentarlos postet. Ein perlmuttfarbener See, ein Berg im Schnee. Wer ist so uncool, nachzufragen, wo das ist? Wer ist so eine Kulturbanausin, so eine Dorftrottelin, die nicht weiß, dass dieser kleine Platz sich in San Francisco befindet, und die kleine Bücherei, die mit dem Ingwersaft, nur zwei Ecken weiter. Dass dieser nebelzerfressene Weg ein Weg im Himmelalaya ist, und siebzehn Wolken weiter findest du den besten Buttertee überhaupt, lieber Freund, wir waren letztes Jahr da, sehr zu empfehlen. Und immer wieder Toskana, bröckeliges Mäuerchen, da wartet schon Enrico mit seinem selbst Angebauten, nur auf euch, ein Geheimtipp, grüßt ihn von mir.
So gehen kompetente Kommentare zu den möchtegerngeheimnisvollen Postings der globalen Möchtegern-Insider. Der Kommentator ist aber noch kompetenter als der Präsentator, er ist ihm immer schon zuvor gekommen. Mit der Harley Davidson oder dem Drahtesel oder altmodisch mit dem geleasten Auto. Er hat jede Menge hipper Tipps auf Lager. Das Yangbajantal, unbedingt! Aber gleich findet sich eine noch kompetentere, noch eingeweihtere Kommentatorin. Sie war auch schon da gewesen, mehrmals sogar, Grüße an den Yogayeti!
Nichts für die Welt-Anfängerin! Die ganz gern hätte, wenn sich Pestsäulen und Meere bei ihr vorstellen würden. Ganz altmodisch, mit Namen und Adresse.
Denn, liebe FB-Freunde, wenn ihr schon mit mir teilt, könnt ihr mir auch was mitteilen!