Glyphosat

Unkrautfreiheit

d'Lëtzebuerger Land du 22.04.2016

Freiheit ist wirklich etwas Schönes. Ständig führen wie sie im Mund spazieren, anscheinend ist sie spezifisch mit speziell uns verbunden. Wir sind extrem frei, pressefrei, meinungsfrei, es gibt kinderfreie Hotels und allergenfreie Nahrung. Und ein paar Old-School-Feministinnen bieten noch männerfreie Naherholungsgebiete an.

Unkrautfreiheit klingt besonders schön. Der freiheitsliebende Mensch verbindet damit Urwuchs, etwas Jähes und zugleich Zähes, etwas Vitales. Was ist denn tröstlicher als so ein Unkräutlein, das zwischen zwei Pf-Lastersteinen – falls es sowas noch gibt – sprießt, das, Achtung! Nostalgie!, hin und wieder ein kräftiger Urinstrahl begießt. Life itself, es ist einfach da. Tritt auf mich, ich hebe den Kopf, ich bin unsterblich. So ist das mit dem heiligen Unkraut, es ist frei von Natur aus, eine selbstverständliche Dauerpowerdemo.

Wie ich darauf komme? Leider habe ich eine Klartext-Sendung bei RTL gesehen, die mit Schweinchen anfing. Schnell wurde klar, worum es ging, worum es geht, ein globaler Krimi, eine endless story, in der nicht nur Schweinchen oder Unkräutlein verenden. Bei der Recherche stieß ich sofort auf den Begriff „Unkrautfreiheit“.

Back to Tatort: Die Schweinchen, die der Herr in Weiß aus der Truhe holt, sind gräulichrosa, sie haben keine Beinchen. Oder keinen Kopf, oder sonstwas nicht, oder sonst was, sonst etwas in Schweinchenkreisen Unübliches. Sie sind tiefgefroren, und der Herr im weißen Laboranzug, der als Bauer vorgestellt wird, als dänischer Bauer, erzählt Geschichten, die essende oder atmende Menschen zur Besorgnis anregen könnten. Falls sie, nach all den Weltkriegen und Tschernobyl und Terror noch nicht gegen all das geimpft sind, aber naja, eine neue Angst lassen wir uns doch gerne einpacken. Besonders wenn sie von Monsanto kommt, dann ist sie bestimmt echt, sagen wir begründet.

Der Bauer hat zwar keine Strohhalme im strohblonden Haar, er schaut schön sterilisiert aus wie ein Labormanager, ist aber vermutlich doch ein relativ Guter. Warum textet er auch so klar, hier bei RTL an einem Sonntagabend im Lenz, warum schauen wir uns nicht lieber die Prinzessin Marie-Astrid an, die vor 50 Jahren, mir ist, als sei es gestern gewesen, das Schiff Marie-Astrid Marie-Astrid taufte?

Statt dessen sehen wir traurige Mütter, gequälte Kinder und wissende Landwirte. Wir hören von einer Glyphosat Task Force, von unterwanderten Agenturen, von einer Europäischen Lebensmittelsicherheitsagentur, ein Agent heißt gar Orange. Er ist berühmt und böse, und die Bilder, die wir von den Kindern in Argentinien sehen, erinnern an andere Bilder. Vor langer, langer Zeit entlaubte Wälder. Dann geht es wieder um Lobbying, Bestechung, Studien. Gähn, die ewigen Studien! Eine von der WHO als hoch gefährlich eingeschätzte Substanz. Wir leiden heute, ihr werdet morgen leiden, sagt die Leiterin eines argentinischen Heims für schwerstbehinderte Kinder. Der übliche gepflegte Herr im Anzug beim Interview, sein gepflegter Schnurrbart vibriert. Wenn man ihn anschaut, sieht man gute Menüs vor sich und passende Weine.

In der Talkrunde später verabreichen dann aber Gottseidank der Präsident der Bauernallianz und der Landwirtschaftsminister die beliebte Luxemburgnarkosedosis.

Die Bildungswilligen, die sich unbedingt zwischen magischen Formeln, der Krallenfroschembryonalentwicklung und der Pubertät bei Kompostwürmern unter dem Einfluss von Glyphosat herumtreiben wollen, landen zuerst einmal bei Amazon. Und zwar, staunstaun, bei der Unkrautfreiheit. Einem hier allerdings leider keineswegs im bio-philosophischen Sinne verwendeten Begriff. À la Kunstmesse Kassel, ach, wer erinnert sich daran?, Kunst von gestern. Immerhin reklamierte dort unter dem Beifall der sich als solche definierenden Kunstwelt vor wenigen Jahren die Kuratorin die Gleichberechtigung der Hunde und das Wahlrecht für die Erdbeere, unter anderem natürlich.

Bei Amazon gibt es für die, die nach Unkrautfreiheit streben, lediglich das energische Turboclean, das profane Herbistop, das bedrohliche Finalsan. Sowie Bücher mit dem Wort „Katastrophe“ im Titel.

Und einen Klick weiter werden Erntehelfer_innen aus Rumänien angeboten.

Michèle Thoma
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