Die kleine Zeitzeugin

Impflinge

d'Lëtzebuerger Land du 11.06.2021

Der Corona- Wortschatz bietet immer Neues, immer funkeln uns neue Sprachjuwelen an. Impfling zum Beispiel. Ein Ausdruck, der immer wieder mal fällt, wenn Fachpersonal sich austauscht, und der es auch immer wieder mal in die Medien schafft. Ganz sachlich und professionell wird er verwendet, wenn über Durchimpfungsraten und Impfprozeduren die Rede ist. Nebenbei kam, besonders in der ersten Corona- Phase, dann auch noch der Pflegling als Impfling zur Sprache. Dieses Lebewesen, das laut Duden von jemand umsorgt und gepflegt wird, etwa im Tierheim, beziehungsweise unter der Vormundschaft eines Pflegers steht.

Zum Impfling fällt dem Duden nicht viel ein außer, dass sein grammatikalisches Geschlecht maskulin ist und er eine geimpfte oder zu impfende Person betrifft. Also die meisten von uns. Wobei das Wort instinktive Abwehr hervorruft. Sich einreihen in die Impflingsherde, damit wir herdenimmun werden, kommt bei Zeitgenoss*innen nicht mehr wirklich gut rüber oder an. Herde, pfui! Ich bin nicht Herde, bin ich doch ein stolzes Individuum, das selbstbestimmt lebt und stirbt. Bevor sie es in den Mund nehmen, distanzieren sich die Moderator*innen dann auch ironisch geniert von ihm. Die pastorale Idylle, der heimische Stallgeruch, der diesem Begriff anhaftet, scheint nicht mehr verlockend, der Herde haftet ja auch so ein Schlachthausgeruch an.

Im Wortschatz liegt noch so manch alter Plunder herum, auch aufpoliert wirkt er untragbar bis unerträglich. Alles andere als stylig und marketingmäßig nicht wirklich gut durchdacht.

Diese -ling-Wörter, die waren doch schon mal auf sprachlichen Black Lists, -ling geht gar nicht. Häftling, Fiesling, Engerling, wirklich nicht sehr verlockend. Ein Lüstling will keiner mehr sein, selbst Häuptling werden ist out. Statt Flüchtling eher Flüchtend_e oder Geflüchtete. Dabei ist das klingende -ling doch so anmutig, dieses Sprachklingeling. Frühling, Schmetterling, Liebling. Bis O mein_e zu Liebende_r ausgesprochen ist, ist zu Liebende_r vielleicht schon weitergezogen, wir leben in einer schnelllebigen Zeit.

Viele Impflinge sind so wild entschlossen zur Durchimpfungsrate beizutragen, dass sie sich gar selber impfen. Ich impfe mich! hört man immer wieder. Das sind die extrem Impfwilligen, auch dieser Ausdruck missfällt der Politikwissenschaftlerin Ulrike Guerot, die in Talkdrüsenshows im Namen der Freiheit gnadenlos über alle drüber rattert. Ein mündiger Mensch muss nicht willig sein!

Deshalb ist er noch lange kein Corona-Leugner oder Corona-Verleugner, was dann immer wieder gebetsmühlenartig wiederholt wird. Manche legen gar ein Glaubensbekenntnis ab, der Glaube an den Impfgott.

Moralisch geht es schon die ganze Zeit zu, es ist nicht nur vom neuen Status, dem Impfstatus die Rede und dem Pass zur Welt, dem hoffnungsvoll grünen Impfpass. Es ist die Rede von Moral. Von der Impfmoral, die immer wieder durch Impfmüdigkeit gefährdet wird oder von Impfgegnern sabotiert wird. Es ist die Rede von Impfvordränglern und Impfneiderinnen, gar von Impfverweigerern und Impfsünderinnen. Impfmord und Kindsmord! schreien wiederum die, die sich vor der weltvernichtenden Impfkeule fürchten. Die Köpfe der Ethikrät_innen rauchen, wem darf oder muss als erstem der Stoff, aus dem die Träume sind, verpasst werden? Wer ist ein Prior, ein Impf-VIP, und wer muss Schlange stehen in der Impflingsherde? Wer kriegt was, first oder last class? Wer kommt an den Strand und wer dreht seine Runden um den Block? Wer darf, wer muss, und ist das Impfzwang?

In China werden Impflinge mit einem Korb Eiern beschenkt und in den USA mit Bier oder einem Joint. „Bei uns“ leider nur mit der Freiheit. Der Freiheit auf die nächste Terrasse zu ziehen oder in die Welt. Das Wort Impfköder ist nicht im Einsatz. Impfköder gibt es bisher offiziell nur gegen Tollwut. Eine braune, quadratische Masse aus Fischmehl und nicht pflanzlichen Fetten. Nicht besonders super.

Michèle Thoma
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