Die kleine Zeitzeugin

Es muss wirklich schlimm sein in Österreich!

d'Lëtzebuerger Land du 21.05.2021

Die Deutschen sagen das, die Deutschen schreiben das, dann muss was dran sein. Es fällt wie Schuppen von den Augen, anscheinend ist Osterreich so was wie eine Bananenrepublik. Titelt der Stern. Und Inquisitionsnervensäge Jan Böhmermann vom ZDF rückt es in die Nähe von Ungarn, wie unappetitlich. Eine Art Ungarn-light. Wegen diesen Korruptionsgeschichten der Kurz-Regierung. Wegen Falschaussagen. Naja, ja eh. Wissen wir eh. Weiß eh a jeder. Na und?

Was ist eigentlich mit den Deutschen los, es muss wirklich anstrengend sein, so deutsch zu sein? Irgendwie nicht lässig. Warum nehmen sie alles so ernst, warum spielen sie nicht? Warum sind die Deutschen so ja oder nein, so klar, so eindeutig? So wie das Leben ja gar nicht ist, das Leben ist ja so und so und dann genau das Gegenteil. Als könnten sie ein vieldeutiges, vielschichtiges Land wie Österreich je erfassen, dieses Land ist nicht zu fassen. Es ist ein Zustand. Der keiner ist. Österreich schlüpft den Deutschen durch all ihr Deutungsbesteck, es ist schlüpfrig. „Was hat diese Frau?“ rief die Zeit-Literaturkritikerin Iris Radisch vor den Wortkaskaden der späteren Nobelpreisträgerin Elfriede
Jelinek ratlos aus. Eben.

Von Zeit zu Zeit entdecken die Deutschen ein bizarres Land, es ist gar nicht weit weg, es ist aber sehr exotisch. Dirndl-Dekolletees, Gabalier-Waden, Kaiserkulisse, Speisen aus Mehl, das Wiehern der Lippizaner*innen, Geschrille aus Opernkehlen sind die traditionellen Zutaten deutscher Artikel über Osterreich. Und natürlich die exotischen Rechten, mit denen die Regierung tanzt, auf dem Glatteis, immer wieder, zu einem ewigen Refrain, der den Kopf verdreht, der Kopf dreht ihnen. Ein verdrehtes Land! Schnitzelförmiges Land von Tracht und Niedertracht, fasziniert beäugt von vernünftigen großen Brüdern und Schwestern aus dem Nordwesten, mit beneidenswert guten Giften, Wein, Kaffee, Süßem. Jetzt gar Bananenrepublik! Mit echten Oligarchen.

Beherrscht wird diese von einem Kanzlerknaben, der einst als Erlöser in Erscheinung trat. Das Mittelmeer schließen! Mit dieser großartigen Geste trat ein österreichisches Wunderkind vor das geblendete Europa. So einen bräuchten wir auch! titelte Bild trunken, als der Blender mit stolzgeschwellter Brust den Sieg über ein böses Virus verkündete. Kitzbühel? Das Virus ist ein Italiener!

Längst hatte er seine Alte-Weiße-Männer-Partei vom muffig klerikalen Schwarz befreit, die Österreichische Volkspartei nannte sich jetzt cool türkis, klingt doch gleich frischer. Seine Peer Group war in die Regierung eingezogen, der Finanzminister mit den toten Augen, junge Frauen, eine davon die Frauen- und Integrationsministerin, die endlich dafür sorgen würde, dass Frauen integriert würden. Es war alles so schön, beinahe heile Welt. Besonders die Koalition mit der Strache-Rechten. Die Böhmermann lächerlich mit der NPD vergleicht, die Deutschen können österreichische Verhältnisse einfach nicht einschätzen. Die Deutschen können Österreich nicht.

Vize-Kanzler Strache war kein kläffender Köter mehr, bei Pressekonferenzen neben dem Kanzlerknaben schnurrte er vor Behagen. Über sein Hundi sprach er jetzt viel lieber als über die armen Einheimischen, die wegen der Flüchtlinge noch ärmer wurden, er heiratete in einem Schloss, eine blonde Prinzessin, die alsbald eines Knäbleins genas. Es war wirklich alles schön.

Bis wieder die Deutschen kamen und alles vermasselten. So genanntes Recherchieren. Aufdecken. Ein lächerliches Video präsentierten, in dem der Vizekanzler Österreich an eine russische Jungoligarchin verscherbeln will, obschon ihn sein Instinkt warnte: dreckige Zehennägel!

Ende der Idylle. Doch das Flehen der Schauspielerin Christiane Hörbiger wird erhört, Sebastian Kurz möge das kleine, geliebte Österreich wieder in seine Hände nehmen. Die Grünen stehen ihm dabei treu zur Seite. Er kämpft gegen das Virus, dann gegen immer fiesere Anschuldigungen. Solche wie sie der Böhmermann verbreitet. Seine Mutter macht sich Sorgen. Wegen dem Umgang in der Politik, sie habe sich für ihren Sohn was anderes gewünscht. Der hisst die israelische Fahne auf dem Kanzleramt. Österreich wird von Erdogan verflucht.

Michèle Thoma
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