Es werden Vergleiche gezogen. Die Wahl am vergangenen Sonntag in Sachsen-Anhalt. Die Wahl Ende März 2017 im Saarland. Damals hatte die SPD acht Wochen zuvor Martin Schulz als Heilsbringer auf den Schild gehoben und euphorisch zum Kanzlerkandidaten ausgerufen. Er schaffte es die Genossinnen und Genossen hinter sich zu vereinigen wie zuletzt wohl Willy Brandt in den 1970-er-Jahren. Die Wahl an der Saar war seine erste Bewährungsprobe. Er musste liefern. Und verlor. Zwar nur einen Prozentpunkt bei den Wählerinnen und Wählern im Saarland, doch damit auch die letzte Bundestagswahl. Denn in der Folge begann eine einmalige innerparteiliche Demontage des Kanzlerkandidaten Schulz, der bei der Wahl sang- und klanglos unterging.
Ein gleiches Menetekel befürchtet man nun für die Grünen. Nahezu enthusiastisch ist die Partei ins Wahljahr 2021 gestartet. Nach der Ausrufung von Annalena Baerbock überholten die Grünen sogar die Christdemokraten in den Meinungsumfragen und man war sich sicher, dass es nach der Bundestagswahl am 26. September nur eine Kanzlerin oder einen Kanzler einer Regierungskoalition geben kann, an der die Grünen beteiligt sind – wenn nicht gar eine grüne Bundeskanzlerin. Baerbock wurde als Alternative zum Männerzwist um die christdemokratische Kanzlerkandidatur zwischen Armin Laschet und Markus Söder wahrgenommen. Sie schien das Gegenmodell zum Weiter-so von CDU und SPD zu sein, für einen Wandel zu stehen und Aufbruch zu bedeuten.
Doch nun bekommt genau dieses Image erste Kratzer. Das schlechte Abschneiden in Sachsen-Anhalt. Schlecht kommunizierte politische Forderungen. Schließlich musste sie ihren Lebenslauf „in einzelnen Details anpassen“. Was gleichzeitig auch Armin Laschet (CDU) widerfuhr. Auch er musste seine Biografie korrigieren, was in den Medien weniger aufmerksam verfolgt wurde.
Die Grünen taten sich schwer, ihr Wahlergebnis von Sachsen-Anhalt zu kommentieren. Gerade mal 0,7 Prozentpunkte hatte sie hinzugewonnen, sind nun mit 5,9 Prozent und sechs Sitzen die kleinste der sechs Fraktionen im kommenden Magdeburger Landtag. So war denn am Sonntagabend das bekannte politische Schönreden angesagt: „Der Zugewinn“ der Grünen in Sachsen-Anhalt, twitterte etwa die Berliner Spitzen Grüne Bettina Jarasch, „zeigt, dass unsere Themen wie Klimaschutz mittlerweile in allen Regionen fest verankert sind.“ Am nächsten Tag steuerte sie nach: In Sachsen-Anhalt hätten viele Menschen aus Sorge vor der AfD die CDU gewählt. Und in der Tat hat Rainer Haseloff zum Ende seines Wahlkampfs auf eine starke Polarisierung und eine deutliche Abgrenzung gegenüber dem rechten Rand gesetzt: „Entweder wir oder die AfD“, so lautete sein Slogan in den letzten Wahlkampfwochen.
Augenfällig ist auch das gute Abschneiden der Liberalen. FDP-Chef erklärte den Erfolg seiner Partei damit, dass es zwischen der CDU und FDP keinen „Binnenwettbewerb“ gegeben habe. Eine Aussage, die auch für den kommenden Bundestagswahlkampf gelten werde: Man dürfe jetzt kein Porzellan zerschlagen zwischen CDU und FDP, so Lindner weiter. In anderen Worten: Es scheint einen Nichtangriffspakt zwischen den beiden Parteien zu geben. Lindner hofft inständig darauf, dass es Ende September für eine sogenannte Deutschland-Koalition im Bund reichen wird, ein Regierungsbündnis von CDU/CSU, SPD und FDP. Damit hätte er die Grünen als seinen wichtigsten politischen Gegner ausgebootet. Und wäre damit im Boot von AfD, CDU und SPD, die im beginnenden Wahlkampf auf Grünen-Bashing setzen. Das erspart es diesen Parteien drängende politische Themen auf Wahlplakat heben zu müssen.
In Magdeburg haben derweil die Grünen erste Konsequenzen aus dem Wahlergebnis gezogen. Sie werden nicht für die Fortsetzung des sogenannten Kenia-Bündnisses mit CDU und SPD zur Verfügung stehen. Warum auch, denn die Sitzverteilung zeigt, dass eine Koalition von Christ- und Sozialdemokraten zwar eine hauchdünne, aber immerhin eine Mehrheit hat. Der Dritte im Bunde wäre lediglich schmuckes Beiwerk. Als solches biedert sich die FDP in Magdeburg derweil an. Auch dies als Richtungsweis auf die Regierungsbildung nach der Bundestagswahl und in Umkehrung des FDP-Mantras von Lindner: Lieber schlecht regieren, als gar nicht regieren. Dies gilt auch für die Sozialdemokraten, die sich an jedwede Regierungsbeteiligung klammern wie Ertrinkende an den rettenden Strohhalm. Die Chance sich in der Opposition inhaltlich, programmatisch und auch personell zu erneuern, mag die SPD nicht ergreifen. Zu groß ist die Angst, in der Bedeutungslosigkeit einstelliger Wahlergebnisse zu versinken. Oder schlichtweg als Partei zu sterben, der die Wähler/innen und Themen abhandengekommen sind.
Nun ist es jedoch nahezu unmöglich, Landtagswahlen als Orakel für kommende Bundestagswahlen zu werten. Denn diese sind weitaus stärker von Persönlichkeiten geprägt, als die Abstimmungen im Bund. Die Menschen in Rheinland-Pfalz haben im März nicht die SPD gewählt, sondern Malu Dreyer. Genauso wenig wie die Bürgerinnen und Bürger von Sachsen-Anhalt für die CDU stimmten, sondern für Rainer Haseloff. Und so sicher wird es auch sein, dass in Mecklenburg-Vorpommern Ende September das Votum der Wähler zugunsten von Manuela Schwesig ausfällt – und nicht der SPD. In unsicheren Zeiten wie diesen, klammern sich die Menschen an bekannte Gesichter und gesetzte Größen. Man wählt das, was man kennt. Es ist nicht die Zeit für Experimente.
Schließlich gibt es noch die viel zitierte Bemerkung von Marco Wanderwitz, Beauftragter der Bundesregierung für die neuen Bundesländer, wonach ein Teil der Ostdeutschen „für die Demokratie verloren“ sei, da sie „diktatursozialisiert“ seien. In Sachsen-Anhalt ist die als rechtsextremistisch eingestufte AfD am stärksten in der Altersgruppe, die nach der politischen Wende im wiedereinigten Deutschland geboren wurde. Eine Randbemerkung: Welche Blüten der Wahlkampf derzeit treibt, zeigt sich in Berlin, wo Impftermine und Covid-Tests zu Wahlkampfveranstaltungen von SPD (impft) und CDU (testet) werden.