Wann habe ich sie zum letzten Mal vorbeischweben sehen, in ihren orangenen Kutten, ihren transparenten Gewändern, in ihrer zugleich grotesk verrenkten und schwerelosen Trance? Kurzgeschoren, glatzköpfig, mit Klingglöckchen und der ewigen Kleinkind-Leier? Inmitten des Großstadtverkehrs, irgendeines Tumults irgendeiner Großstadt der letzten Jahrzehnte des letzten Jahrtausends, wo sie plötzlich auftauchten, wie hingehaucht, schmetterlingsflüchtig wie Seifenblasen, bunt hingehauchte Gespinste. Wo sind sie geblieben? Die viel Belächelten, die Lächerlichen?
Ich vermisse sie.
Warum tauchen sie jetzt auf, aus dem Nirwana meiner Erinnerung, gibt doch wirklich andere Themenschwerpunkte? Schweres. Relevantes. Aktuelles. Akutes. Warum taucht die Erinnerung an die Schwerelosen jetzt plötzlich auf, wo gerade alles so heavy und runterziehend ist? Warum taucht die Erinnerung jetzt plötzlich auf wie ein magischer Kontinent, ein versunkener Kontinent, der das Licht der Welt entdeckt? Oder das Licht der Welt entdeckt die Erinnerung, da schau! Eine Erscheinung! Eine Alterserscheinung!
Kino! Flashback auf Jungs mit Trömmelchen, Zimbeln, selig weggetretenem Lächeln; ein paar junge Frauen sind auch dabei. Die Lost Boys der Siebzigerjahre, wie es sie bei den Jesus Freaks gab, beim Patriarche in Frankreich, wie sie massenhaft von Bhagwan in Indien eingesammelt wurden, von all den sg. spirituellen Bewegungen, die Kost und Logis boten und Zucht und Ordnung, Gott und Göttinnen inklusive. Die Frauen waren weniger stark vertreten, sie hatten es ja auch leichter, sie bekamen Kinder und gründeten ihre eigenen kleinen Kommunen.
Kino! Flashback auf die Achtzigerjahre, Wien, WG, in der ein paar Künstlerinnen leben, auch luxemburgische, sie sind immer hungrig. Vorwiegend ernähren sie sich von weißen Brötchen, die hier Semmeln heißen. Nur sonntags gibt es anständiges Essen. Dann gehen sie zu den Krishnas. Der Koch der Krishnas, der ebenfalls aus Luxemburg kommt, heißt sie willkommen, im Zentrum der Krishnas ist es ruhig und friedlich und aufgeräumt, die hungrigen Künstlerinnen sind meistens allein mit anmutig sich schlängelnden Gött/innen und einem vollen Teller. Tischlein-deck-dich, nie tafelten sie besser und vermutlich auch nie gesünder. Die hungrigen Künstlerinnen werden gespeist und niemand will nichts von ihnen, nicht ihr Geld, das sie nicht haben, nicht ihre Körper und nicht ihre Seelen, niemand begehrt oder bekehrt sie oder belehrt sie auch nur, selbst die Zitar zirpt rücksichtsvoll, während sie sich die Bäuche vollschlagen. Heuchlerisch-höflich blättert Unterzeichnete in den Hochglanzbilderbüchern voll von blutrünstigen Göttern, geköpften Dämonen und komplizierten Horrorstorys, das bräuchte sie aber gar nicht, wie ihre ehrlichen Mitesserinnen meinen. Niemand hier würde von uns erwarten, dass wir unsere Schädel scheren, frohlockend durch die Lande ziehen und uns der endgültigen Krishna-Glückseligkeit hingeben würden.
Wo sind die Hare Krishnas geblieben? Warum suchen sie die Fußgängerzonen, die jetzt Begegnungszonen heißen, nicht mehr heim? Passt ihre Erscheinung nicht mehr? In das Erscheinungsbild? Oder passt sie so sehr, dass sie nicht mehr gebraucht wird? Haben sie uns aufgegeben? Haben sie uns lächerliche Verkörperungen aufgegeben? Weil wir es sowieso nie aus dieser materiellen Erscheinungswelt schaffen, wir trüben weltlichen Erscheinungen? Weil nicht mal die Engel der Einfalt diese mission impossible schaffen?
Verschwunden mit Sang und Klang? Wohin? Guggelguggel, staun, nur das analoge Herumgehüpfe ist out, die Missionierung findet jetzt im kosmischen Internet statt, und Hare Krishna Gruppen gibt es auf der ganzen Welt. Im Kriegsgebiet Ukraine gibt es Krishna consciousness. In Luxemburg sangen die Krishnas vor kurzem im Regen im Park. In Wien, so erfahre ich, gibt es sonntags Lesungen und Gesänge. Und Essen. Sonntagsessen.
Da können die Katholiken nicht mithalten. Da gibt es nur Hostien.