Die kleine Zeitzeugin

Soll er getötet werden?

d'Lëtzebuerger Land du 20.06.2025

Soll er getötet werden? fragt die RTL-Nachrichtensprecherin beim Anmoderieren der Nacht-News. Er, das ist bekanntlich ein ehrwürdiger alter Herr der uns weise, beinahe mild anschaut. Der most wanted man in the world, das derzeit gehypte Supermonster. Wir kennen das Halali, wir wissen, die Jagd ist eröffnet. Die Inkarnation des Bösen wird sie nicht überleben.

Aber wen fragt die Moderatorin, welche Jury, welche Geschworenen, welches Welt-Tribunal? Soll Trump Israel die Superbombe liefern? fragt Bild seine Leser*innen, alle dürfen mitdiskutieren. Demokratie. Wir wissen, wo er ist, lässt Superpower, allwissend, allmächtig, allgegenwärtig, verlauten, und die, die schon etwas länger da sind erinnern sich. Wie eine illustre Runde gebannt auf einen Bildschirm starrte. Bei all der Anspannung war eine stille Befriedigung zu lesen in den Gesichtern von Hillary Clinton und Barack Obama. Live zugeschaltet bei der Ausschaltung alias Ermordung des Osama bin Laden, in einem unscheinbaren Haus, irgendwo in Pakistan.

Die, die schon lange da sind, werden von Flashbacks und Déjà-vus heimgesucht. Da war einer, sonnenbebrillt, mit Vorliebe als Beduine verkleidet, von Amazonen bewacht und gut gebuchter Gast bei den Höfen, die die Welt bedeuten. Wo er gern den Hofnarren gab. Zirkuszelten vor dem Elysée, Koranlesungen vor Models, all diese liebenswerten Faxen. Liebkind der europäischen Polit-Schickeria. Nebenbei Hüter des Mittelmeeres und Verhüter von Migration. Dann spektakuläre Mutation zum Mega-Monster, schaudernd schauten wir in den Abgrund von Folterkellern, lauschten den Gräueltaten des Wüstenwüstlings. Abgeknallt wie eine Ratte endete er in einem Abflusskanal. In Bagdad polterte ein Götzenbild zu Boden, der in Ungnade Gefallene kauerte in einem Kerker, auf seine Hinrichtung wartend. Das Antlitz verwüstet wie das eines Heiligen. Die Fernsehwelt blickte auf Anlagen, in denen Vernichtungswaffen nur darauf warteten, auf uns gerichtet zu werden, genüsslich wurden die blutrünstigen Details der Schreckensherrschaft geschildert, die jetzt, Erlösung, Freiheit, Geschenk des Westens, endlich zu Ende ging. Der Westen jubelte sich zu, wie gähn schon so oft, Arabischer Frühling, Befreiung der Afghaninnen aus ihren vergitterten Zelten, usw., ach, es war immer schön. Diese Euphorie, wenn wir die Brüder und Schwestern befreiten.

Game changing, Regime changing? Es wird spekuliert, gewettet. Darf man, also der Westen, also die einzige Demokratie dort, Hort von Humanismus und Aufklärung, den Bösen einfach so die Könige aus dem Spiel nehmen? Weil es sind böse Könige. Und nebenbei, all incl., die Bauern, das Fußvolk das gerade versucht, sich in Autos zu quetschen, guter Tipp aus Amerika. Gewaltige Metallflächen, die sich meterweise nach vorne schieben, die Panik staut sich. Ist das ein Computer-Spiel, und alle dürfen mitfiebern?

Die bunkerbrechenden Bomben, ja oder nein, wir installieren uns schon mal vor CNN, mit Popkorn. Aber das kann lang dauern, was sagt Trump jetzt, ja oder nein, vielleicht geht Trump schlafen, vielleicht sollten wir auch schlafen gehen. Nur das Herumgezische der Raketen. Die Mondlandschaft einer Atomanlage. Während in Europa grübelgrübel mal wieder Fragen gestellt werden, jetzt kommen die wieder mit dem Völkerrecht. Dann kommen die andern und sagen das Völkerrecht sei flexibel. Das kann man so oder so interpretieren. So wie bei Gaza, während in den Gelehrtenstuben die Köpfe rauchen, ob Völkermord ja oder nein oder Völkermord light und sich um die offizielle beglaubigte Etikette streiten, geht es einfach weiter. Routine. Eselskarren. Blackout. Internet weg. Egal, sowieso immer das gleiche. Menschenschlangen. Mehlsäcke. Blut.

Das hier ist bitte ein anderes Niveau. Auge um Auge Augenhöhe. Das Übel an der Wurzel. Radikal. Bunkerbrechend. Die Inkarnation des Bösen wird die Jagd nicht überleben. Oder? Vielleicht doch. Deal? Wenigstens der inflationäre Gebrauch der Westlichen Werte bleibt uns derzeit erspart. Die Befreiung unterdrückter Frauen ist gerade nicht im Fokus, wenigstens das nicht. Befreiung durch Tod ist das, was die wenigsten Iranerinnen sich wünschen. Deal. Immer noch der zuverlässigste westliche Wert.

Michèle Thoma
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