Serge Allegrezza glaubt an grünes Wachstum. Man könne wirtschaftliche Wachstumsraten mit einer gleichzeitigen Treibhausgasreduzierung erreichen. Das sei zwar eine „enorme Herausforderung“, aber unabdingbar, um der ökologischen Krise und zugleich der Armut entgegenzuwirken. Der Ökonom und ehemalige Statec-Direktor verteidigte seine Position am vergangenen Freitag vor etwa 300 Zuschauern, die an einem Rundtischgespräch über die Wachstumsfrage teilnahmen. Organisiert wurde der Abend zum zwanzigjährigen Bestehen des Nachhaltigkeitsrats, der von Romain Poulles präsidiert wird. Doch reibungslos verlief die Debatte nicht. Der Makroökonom von der Universität Lausanne, Timothée Parrique, erwiderte verärgert: „Die Entkoppelung von Umweltschäden und Wirtschaftswachstum geht über die Frage von Treibhausgasen hinaus.“ Es gehe um Ressourcen im Allgemeinen: Solarzellen, Elektroautos und gut isolierte Häuser benötigen Energie, Mineralien, Wasser, Böden und viele Arbeitsstunden, um hergestellt und gewartet zu werden. „Wie kann ein so reiches Land wie Luxemburg sagen, man müsse noch mehr Energie und Materialien verbrauchen?“ Das Publikum klatscht, es stellt sich hinter Parriques Gegenwind. Aber auch Serge Allegrezza hat seine Mitstreiter; Aline Müller (Liser) und François Mousel (PWC-Direktor) argumentierten in die gleiche Richtung. Letzterer wirft dem aus der Schweiz angereisten Ökonomen vor, nicht mit der Realität in Kontakt zu sein – anders als PWC-Angestellte, die täglich im Austausch mit Unternehmen seien. Mit welchem Hut Mousel an der Debatte teilnahm, blieb unklar: PWC als Teil der Zivilgesellschaft; als neuer Dienstleister im Non-Profit Bereich (als Mitschreiber des ASBL-Gesetzes und Abwickler der Caritas)? Auf viel Sympathie stieß das Trio nicht, eine Frau verließ den Saal und rief ihm zu: „Seid ihr verrückt?“
Wie man eine Postwachstumsgesellschaft organisieren könnte, versuchte Timothée Parrique am Mikrofon von Radio 100,7 zu skizzieren: „Man müsste mit einem Inventar über den Ressourcenverbrauch beginnen, um – wie bei einer Diät – festzulegen, wie viele Kilos ich abnehmen will.“ Über eine gemeinwohlorientierte Politik sollen Subventionen und Maßnahmen bestimmt werden, die zu dem festgelegten Ziel führen. Darin zeigt sich sein positives Menschenbild; er geht davon aus, dass eine Mehrheit zum Zwecke des Umweltschutzes bereit sei, auf Konsum zu verzichten. 2023 war Luxemburg auf Rezessionskurs. Luc Frieden machte Wahlkampf mit Sätzen wie: „Verstitt mech net falsch, Ëmwelt ass extrem wichteg“, aber angesichts der Immobilienkrise müsse man handeln. Er verkündete Steuersenkungen für Unternehmen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Zusammen mit der DP gewann die CSV die Wahlen. Fällt die Kaufkraft, sind Umweltthemen bei Wählern schnell vergessen. Statt auf Verteilungsfragen setzen sie auf Wachstumsversprechen. Mittlerweile nennt sich Frieden „CEO-Premier“, weil er das Land wie ein Unternehmen regieren will. Offensichtlich besteht derzeit keine Mehrheit für Postwachstumsszenarien.
Und es stellt sich ein zweites Problem: Wie soll man aus einem Wirtschaftsmodell aussteigen, das negative Kaskadeneffekte verursacht, wenn es sich durch Wachstum nicht mehr selbst stabilisiert? Insbesondere in Luxemburg stellt sich diese Frage, denn das Großherzogtum hat seinen Sozialstaat an Wachstum gekoppelt, mehr noch, ist gänzlich von davon abhängig. Um diesen zu bezahlen, hat sich das Bruttoinlandprodukt in den letzten 40 Jahren nahezu verzwanzigfacht. Doch Postwachstumstheoretiker wie Timothée Parrique oder Ulrike Herrmann mahnen, die Rationierungsdebatte könnte sich künftig ungefragt von selbst aufdrängen. Nach Dürreperioden wird es zu Lieferengpässen, Wasser- und Getreidemangel kommen. Dann heißt es: Wer zuerst – Unternehmen oder Privathaushalte? Wenn überlebenswichtige Waren rar werden, komme der Markt zwangsläufig an seine Grenzen. Romain Poulles hat recht, wenn er im RTL-Radio sagt, man bedürfe eines „anderen Modells“, weil das aktuelle „nicht nachhaltig“ ist. Nur, wie und wohin umsteigen? Bei der Diskussion darüber darf man seine Zukunftsvisionen nicht mit dem Weg dahin verwechseln.