Das eh schon schwache Parlament wurde durch Covid-19 vor weitere Herausforderungen gestellt. Um die Kammer effizienter zu machen, setzt der neue Generalsekretär auf Entbürokratisierung

Zeit, Geld, Personal

d'Lëtzebuerger Land du 04.06.2021

Pandemie Als Paulette Lenert (LSAP) am 4. Februar 2020 den Eid als neue Gesundheitsministerin ablegte, wurde Laurent Scheeck (45) zum neuen Generalsekretär der Abgeordnetenkammer gewählt. Nur ein Monat später wurden in Luxemburg die ersten Corona-Infektionen detektiert. Viel Zeit zum Einarbeiten blieb dem gebürtigen Wiltzer, der seit 2010 im internationalen Dienst der Kammer tätig war, nicht. Am 18. März rief Premierminister Xavier Bettel (DP) den Ausnahmezustand aus, den die Kammer um drei Monate verlängerte. Das eh schon als schwach geltende Parlament wurde wegen der Pandemie weiter beeinträchtigt. Für die Kammerverwaltung wurde Corona zu einer logistischen und personellen Herausforderung.

In den ersten Wochen mussten die Abgeordneten auf mehrere Räume verteilt werden. Nach den Osterferien zog das Plenum in das Cercle Cité um, wo es noch immer tagt. Die Ausschusssitzungen werden bis heute über Videokonferenz abgehalten. Laurent Scheeck hofft, dass die Abgeordneten zur parlamentarischen Rentrée im Oktober wieder in den Sitzungssaal auf dem Krautmarkt zurückkehren können. Dann läuft die Konvention mit der Stadt Luxemburg aus. Für den Notfall gebe es aber eine Option auf Verlängerung.

Nach dem Ende des Ausahmezustands am 24. Juni begann die Arbeit erst richtig. Die sogenannten Covid-Gesetze mussten oft überhastet diskutiert und angenommen werden. Manchmal blieben den Abgeordneten nur wenige Tage Zeit, um sich mit neuen Maßnahmen zu beschäftigen. Wegen häufig unzureichender wissenschaftlicher Erkenntnisse kam es des Öfteren zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Mehrheit und Opposition. Die Abgeordneten mussten sich auf die (spärlichen) Informationen verlassen, die die Regierung ihnen lieferte. Für eigene Recherchen blieb selten Zeit. Reporter berichtete vor einem Monat, dass die Kammerverwaltung sogar mit der Erstellung von Ausschussprotokollen überfordert sei und auf einen externen Dienstleister zurückgreifen müsse.

Personalmangel Die These vom schwachen Parlament, die seit Jahren in regelmäßigen Abständen von früheren Abgeordneten (insbesondere von der LSAP) vorgebracht wird, enthält neben der politischen Diskussion um die Abschaffung des Ämterkumuls auch immer die Forderung nach mehr Personal. Nachdem die Fraktionen im November 2019 durch die Anpassung der Sekretariatszulage zusätzliche Mittel erhalten hatten, um Attachés einzustellen, hat nun auch die Kammerverwaltung ihre Personaldecke erhöht. Statt der geplanten zwei seien kürzlich vier neue Mitarbeiter/innen im Ausschussdienst eingestellt worden, drei weitere sollen folgen, erklärt Scheeck im Gespräch mit dem Land. Auch der Protokolldienst soll vergrößert werden.

Um die Sachkompetenz des Parlaments zu stärken, hat die Kammer eine Expertenzelle gegründet, die auf Anfrage unabhängige Recherchen durchführen kann. Dadurch müssten die Parlamentarier sich nicht ausschließlich auf die Informationen verlassen, die ihnen von den Ministerien geliefert werden. Kürzlich habe die Kammer einen Biologen, eine Veterinärin (die im Bereich der Übertragung von Viren auf Menschen spezialisiert ist) und eine Juristin eingestellt, erzählt Scheeck. Die Suche nach Expert/innen in Finanzfragen und im sozialen Bereich sei trotz 60 Bewerbungen erfolglos verlaufen.

Zusätzlich zu diesen internen Expert/innen strebt die Kammer eine Zusammenarbeit mit dem Fonds national de la recherche (FNR) an, um bei spezifischen Fragen oder personellen Engpässen auf externe Forscher/innen zurückgreifen zu können. Nicht zuletzt will die Kammer ihr Reinigungspersonal künftig wieder selbst beschäftigen. Vor einigen Wochen hatte die Abgeordnetenkammer eine entsprechende Resolution von déi Lénk angenommen

Staatliche Institution Scheeck hat aber noch andere Ideen, um das Parlament effizienter zu machen. Aus der Coronakrise habe er gelernt, dass die Kammerverwaltung mit ihren über 100 Mitarbeitern ganz gut funktionieren könne, wenn sie nicht überbürokratisiert sei. Um Zeit, Geld und Personal zu sparen, will er die Zusammenarbeit mit dem Staat ausbauen. Zur besseren Organisation ihrer Humanressourcen will die Kammer sich an das digitale Personalverwaltungssystem des Ministeriums für den öffentlichen Dienst anschließen. Für die Verwaltung ihrer Dokumente will sie die digitale Plattform des Service central de législation (SCL) des Staatsministeriums nutzen, wo die Regierung, der Staatsrat, die Berufskammern und andere Insititutionen Gesetzesentwürfe oder Gutachten hochladen können. Bislang sei es noch so, dass die Kammer alle Dokumente und Informationen zugeschickt bekommt und sie eigenhändig in ein informatisches System speist, um sie anschließend wieder zu verteilen, erzählt der promovierte Politologe dem Land. Als staatliche Institution wolle die Kammer auf funktioneller Ebene mehr mit anderen staatlichen Organen zusammenarbeiten, ohne ihre Unabhängigkeit aufs Spiel zu setzen.

Bereits 2014 hatte die Kammerverwaltung damit begonnen, ihre unübersichtliche Internetseite zu überarbeiten. Außer der neuen Seite für E-Petitionen hat sich noch nicht viel getan. Nach einer öffentlichen Ausschreibung im vergangenen Jahr wurde nun der kanadische IT-Dienstleister CGI (der eine Niederlassung in Bartringen betreibt) mit der Umsetzung eines neuen Internetauftritts beauftragt. Ein Panel mit Nutzenden soll dabei helfen, ein benutzerfreundliches Modell auszuarbeiten. Ende 2022 soll die neue Seite online gehen.

Künstliche Intelligenz Weitaus zeit- und kostenaufwändiger dürfte ein anderes Digitalisierungsprojekt sein, das die Kammer zurzeit mit dem Zenter fir d’Lëtzebuerger Sprooch, der Uni Lxemburg und der Universität des Saarlandes plant. Ein Programm, das auf künstlicher Intelligenz basiert, soll gesprochene (luxemburgische) Sprache in einen schriftlichen Text umwandeln und so Entwürfe erstellen, die als Grundlage für die Verfassung von Sitzungsprotokollen dienen. Auf diese Weise könnten die Berichte schneller veröffentlicht werden, sagt Scheeck. Bislang dauert es häufig Wochen (und manchmal sogar Monate), bis Protokolle verfügbar sind.

Das gilt auch für das Chamberbliedchen, das Anfang dieses Jahres in die Schlagzeilen geraten war, nachdem Reporter herausgefunden hatte, dass das Lëtzebuerger Journal als einziges digitales Medium den Kammerbericht als PDF-Datei veröffentlichen sollte. Bislang war dieses Privileg den gedruckten Tageszeitungen vorbehalten. Laut Scheeck war die Vergabe des Auftrags an den seit Anfang dieses Jahres nur noch online erscheinenden Journal ein Versäumnis der Verwaltung. Nach Erscheinen des Reporter-Artikels sei der Auftrag eingestellt worden. „Das Chamberbliedchen bleibt auch in Zukunft bestehen, doch die Verteilungsmodalitäten werden geändert“, sagt Scheeck. Land-Informationen zufolge gibt es innerhalb des Kammerbüros eine prinzipielle Übereinkunft darüber, dass der Bericht künftig nicht mehr den Tageszeitungen beiliegen soll. Interessierte Bürger sollen das Chamberbliedchen abonnieren können und bekommen es dann in gedruckter Form per Post oder digital per Email zugestellt. In den Zeitungen soll es nur noch zu strategischen Momenten (zum Beispiel anlässlich parlamentarischer Rentrées oder im Rahmen der Informationskampagne zur Verfassungsrevision) veröffentlicht werden.

Transparenz und Sicherheit Die Diskussionen darüber, ob neben den Plenarsitzungen auch die Ausschusssitzungen öffentlich sein sollten, hat schon vor über zehn Jahren begonnen. Im Oktober 2019 brachte die CSV eine Motion im Parlament ein, in der sie forderte, die Ausschusssitzungen künftig im Internet und auf Chamber TV zu übertragen. Erst zeigten sich alle Parteien damit einverstanden, doch inzwischen sind wieder Zweifel aufgekommen. Laurent Scheeck spricht von einer komplizierten Diskussion. Der Wille zur Transparenz sei durchaus vorhanden, andererseits gehe durch die öffentliche Übertragung der informelle Charakter der Ausschusssitzungen verloren. In den Kommissionen finde häufig ein Meinungsbildungsprozess statt, im Laufe dessen unterschiedliche politische Positionen sich erst herausschälen. Dieser Prozess könne gestört werden, wenn die Sitzungen öffentlich würden, befürchtet Scheeck. Im Huis-Clos könnten Minister/innen den Abgeordneten auch mal hochvertrauliche Informationen übermitteln oder sie über Projekte in Kenntnis setzen, die noch nicht spruchreif seien. Wären die Sitzungen öffentlich, bestehe insbesondere für Oppositionsabgeordnete das Risiko, dass sie solche Informationen nicht mehr bekommen, erklärt der Generalsekretär, der darauf verweist, dass auch Zwischenlösungen möglich seien.

Ein weiterer Schritt, um das Vertrauen der Öffentlichkeit in das Parlament zu stärken, könnte das Lobbyregister sein, das die Staatengruppe gegen Korruption des Europarats (Greco) in seinem Evaluationsbericht für die Abgeordneten (aber auch für Regierungsmitglieder und hohe Beamte) fordert. Ein Vorschlag für eine (zaghafte) Änderung des Kammerreglements liegt vor, doch CSV, DP und ADR zeigten sich verhalten, wie Radio 100,7 vergangene Woche berichtete .

Bei aller Öffnung und Transparenz dürfe aber die Sicherheit der Abgeordneten nicht vernachlässigt werden. Bislang seien die gewählten Volksvertreter nicht ausreichend geschützt, erachtet Scheeck. Wollte ein Mob wie beim Sturm auf das Kapitol in Washington die Kammer belagern, hätte er leichtes Spiel. Deshalb werden in allen drei Gebäuden umfangreiche Sicherheitsarbeiten durchgeführt. Neben Barrieren am Eingang und Panzerglas an manchen Fenstern stelle sich die Frage, ob ein bewaffneter Polizist oder zusätzliche private Sicherheitsbeamte die Kammer bewachen sollen.

Luc Laboulle
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