Das Institut für Immunologie unter Claude P. Muller amLaboratoire national de santé verfolgt seit acht Jahren dieAusbreitung des Vogelgrippenvirus H5N1 in Afrika und gehört zu den Forschungseinrichtungen weltweit, die am meisten darüberpubliziert haben. Was das Institut Anfang 2006 über die H5N1-Migration herausfand, ging als Nachricht um die ganze Welt und wurde im renommierten Wissenschaftsmagazin Nature veröffentlicht. d’Land hat sich mit Claude P. Muller über die Vogelgrippe, aber auch über die Influenza im Menschen unterhalten.
d’Land: Statistiken der WeltgesundheitsorganisationWHOzufolgetrat die Vogelgrippe H5N1 beim Menschen in diesem Jahr weniger häufig auf als in den Jahren zuvor. Zieht das Virus sich zurück??Claude P. Muller: Das kann man nicht sagen. Wir haben gelernt, besser mit dem Virus umzugehen, wenn es beim Geflügel ausbricht. Dadurch werden Fälle beim Menschen weniger wahrscheinlich.Aber solange es diese Fälle gibt, muss man der Epidemie großeAufmerksamkeit schenken, weil sie das Potenzial hat, in eine globale Influenza-Pandemie umzuschlagen.
Davor wurde schon vor Jahren gewarnt. Hätte es nicht längst zur Pandemie kommen müssen??Dass die Medien viel weniger darüber berichten als vor zwei Jahren,ändert nichts daran, dass noch immer gilt: Es ist nur bisher nicht zurPandemie gekommen. Jede Konferenz, die mit der Hühnergrippe zutun hat, geht nach wie vor davon aus, dass die Pandemie kommen wird.Vielleicht morgen, vielleicht in einem Jahr, vielleicht noch später. Und sie muss nicht von H5N1 ausgehen. Es gibt noch ein zwei andere Viren, H7 und H9, die ebenfalls pandemischesPotenzial haben. Wir können nicht so tun, als wäre es vorbei, und müssen sehr wachsam bleiben.
Sie sprechen von Hühnergrippe, nicht von Vogelgrippe wie der allgemeine Sprachgebrauch. Ist das nur eine Nuance??Gemeint ist das gleiche, das eine bei Hühnern, das andere bei Vögeln. H5N1 ist ein Subtyp der aviären Influenza, der Vogelgrippe. Hühner werden nach Infektion mit dem Virustatsächlich krank. Das Reservoir, in dem H5N1 leben kann, ist dagegen viel größer und umfasst auch Wildvögel und Wasservögel. Bei Wasservögeln kommen alle möglichen Subtypen der aviären Influenza vor. Diese Vögel werden aber nicht unbedingt krank. Das heißt, dass das Virus in diesen Vögeln existieren und von dort aus immer wieder auch Hausgeflügel infizieren kann, und letztlichauch den Menschen.
Das würde heißen – einmal Vogelgrippe, immer Vogelgrippe??Ich denke, wir müssen uns darauf einstellen, dass es sie gibt und dasssie potenziell immer den Mensch infizieren kann.
Könnte es sein, dass das Virus mit der Zeit eine für den Menschen weniger pathogene Form annimmt? Seinen Wirt umzubringen, ist ja für ein Virus, dassich maximal verbreiten will, nicht gut.
Stimmt, es ist ausgesprochen dumm. Aber wenn Viren von einer Wirtsspezies auf eine andere überspringen, sind sie häufig ganz virulent und töten die neue Spezies. Geschieht das oft genug, passt das Virus sich an und verliert an Virulenz. Denn immer wenn ein Wirt umkommt, sterben die virulenten Viren mit. Ist in einemanderen Wirtstier das Virus weniger virulent, kann es länger mit dem Wirt existieren und hat größere Chancen, sich auch auf andere Wirtsspezies zu übertragen. Insofern könnte es schon sein, dass H5N1 sich zu einer weniger virulenten Form entwickelt. Aber noch spielt der Mensch für die Übertragung von H5N1 keine Rolle, undbisher wurden nur wenige hundert Menschen infiziert.
Wäre, falls es zu einer Pandemie kommt, die Verbreitung eines weniger virulenten Virus ein Glück für die öffentliche Gesundheit??Nicht unbedingt. Falls die Krankheit lediglich langsamer verliefe, dieKomplikationsrate und die Mortalität jedoch weiterhin hoch wären,hätte das Virus Zeit, andere zu infizieren und in ihnen ebenfalls fürhohe Mortalität zu sorgen. Bei einem aggressiven Virus dagegen würden die Erkrankten eher auffallen und könnten schneller isoliert werden.
Hat das Virus sich in all den Jahren gar nicht verändert??Doch. Bisher aber ist es weder zu einem humanem Influenzavirus mutiert, noch hat es sich mit einem saisonalen Influenzavirus genetisch rekombiniert. Sonst wäre die Pandemie schon da. Die Viren, die aus Südostasien über Russland nach Afrika gelangten,haben allerdings eine Reihe Mutationen, die sie möglicherweisegefährlicher machen als jene Viren, die man am Anfang in Südostasien fand. Ich bin der Meinung, dass die Zukunft von H5N1 und die Pandemie-Frage sich in Afrika entscheiden wird. Deshalb beobachten wir H5N1 insbesondere dort.
Was genau tun Sie da? Im Südwesten Nigerias haben wir vor rund acht Jahren mit Unterstützung des Kooperationsministeriums und gemeinsam mit der Universität Ibadan ein Überwachungsnetzwerk eingerichtet. Wir bieten Geflügelfarmern an, ihre Tiere, falls es Gesundheitsproblemegibt, auf Hühnerviren testen zu lassen. In Südwest-Nigeria ist, das muss man wissen, das Gros der Geflügelproduktion des Landes angesiedelt. Die Farmen sind riesig, mit 200 000 bis 400 000 Tieren, manchmal noch mehr. Man kann sich vorstellen, welcher Schaden einer solchen Farm entstünde, falls H5N1 dort auftritt, und welche Ansprüche man an die Bio-Sicherheit stellen muss. Doch nicht alle Farmen sind so professionell geführt, deshalb unser Netzwerk. Wir haben auch Burkina Faso durch den Aufbau eines entsprechendenLabors geholfen, sich auf H5N1 vorzubereiten. Der Verantwortlichein diesem Land wurde in unserem Institut in den entsprechendenDetektionsmethoden ausgebildet, lange bevor die Vogelgrippe sein Land befiel. Ähnliches gilt für Niger.
Hat all das Erfolg??Ja, das kann ich sagen. Vor zweieinhalb Jahren trat im subsaharischen Afrika H5N1 erstmals auf. Wir konnten damals in Nigeria sehr schnell ein spezialisiertes Labor einrichten und haben Farmer und Tierärzte in H5N1 unterwiesen. Schaut man sich heute die Karte von Nigeria mit allen vom Virus befallenen Bundesstaatenan, dann sieht man, dass im Südwesten noch vor einem Jahr wirklich viel, viel weniger H5N1 anzutreffen war als im Rest des Landes.Ich meine, das kann man darauf zurückführen, dass wir da ganz frühzeitig aktiv waren. Und es ist, wie gesagt, der für die Geflügelproduktion bedeutendste Teil des Landes.
Ist H5N1 in Afrika gefährlicher geworden??Das könnte sein. Anfang 2006 haben wir gezeigt, dass das Virus, das in Südwest- Nigeria auftauchte, ein anderes war als das im Norden des Landes. Insgesamt gab es drei verschiedene Linien, die anschließend auch in allen anderen afrikanischen Ländern, einschließlich Ägypten, Sudan und Djibouti, aufgetaucht sind. Das haben wir weiterverfolgt und im vergangenen Jahr festgestellt, dass zwei der drei Linien, die wir zuvor gefunden hatten, verschwunden waren. Auch Kollegen anderer Labors konnten sie nicht mehr nachweisen. Stattdessen hatte sich aus diesen zwei Linien eine neue durch Austausch von Gensegmenten gebildet. Eine Reassortierunghatte stattgefunden. Erstaunlicherweisekommtderzeit praktischin ganz Afrika nur noch diese Kombination vor.
Eine Anpassungsleistung??Möglichweise an das spezielle Klima. Zurzeit versuchen wir, das zu klären. Wir gehen davon aus, dass das neue Virus überlebensfähiger ist als das alte. Die drei ursprünglichen Linien kamen aus Zentralasien und Südsibirien, wo es ziemlich kalt werden kannund es ein ganz anderes Ökosystem gibt als südlich der Sahara. Auch beim ersten Fall von H5N1 im Menschen im subsaharischen Afrika, in Lagos, war so ein reassortiertes Virus im Spiel, das Gene zweier verschiedener Linien besaß und zu mindestens einem Todesfall im Menschen geführt hat.
An H5N1 wird viel geforscht. Hat das eigentlich von anderen Influenza-Typen abgelenkt??Nein, die Influenza generell bekam dadurch mehr Aufmerksamkeit –nicht nur die in Hühnern oder Vögeln, auch die saisonale Influenza.Das Risiko einer Reassortierung aus einem Vogelgrippevirus und dem der saisonalen Influenza besteht ja immer. So eine neue Kombination wäre das typische pandemische Virus. Das Institut für Immunologie beschäftigt sich derzeit auch mit der saisonalenInfluenza in Luxemburg. Es gibt hierzulande Viren mit einer relativ hohen Resistenz gegen eines der wichtigsten Influenza-Medikamente, Oseltamivir. Das untersuchen wir im Moment gemeinsam mit der Abteilung für Mikrobiologie im LNS.
Sind diese Resistenzen in Luxemburg einzigartig hoch??Sie sind recht hoch, aber anderswo noch höher. Und offenbar sind sie unabhängig davon, wie oft Oseltamivir verschrieben wurde. In Ländern, wo es ganz zurückhaltend und nur bei besonderen Indikationen verschrieben wird, wie bei uns, gibt es sehr resistente Viren. Verschiedene andere Länder, in denen Oseltamivir viel häufiger benutzt wird, haben dennoch keine höheren Resistenzen.Wir stellen uns derzeit sehr grundlegende Fragen: Fand eine einmalige Einführung der resistenten Viren statt oder geschah das mehrfach? Wie sind sie miteinander verwandt? Und zeigen die nicht resistenten vielleicht doch Ansätze zur Resistenz?
Noch eine Frage zu H5N1: Warum, meinen Sie, wird es sich in Afrika entscheiden und nicht in jenen asiatischen Ländern, wo es die allermeisten Infektionen im Menschen gibt??Vietnam, Indonesien und China sind einfach deutlich besser organisiert und haben viel längere Erfahrung mit H5N1 als Afrika. In vielen Ländern Afrikas ist H5N1 erst kürzlich aufgetreten, und das hat alle überrascht. Die Überwachung der Infektionen im Menschen ist in Afrika ebenfalls viel, viel schlechter als in Asien. Wir habendas Virus auch in Gegenden Afrikas gefunden, wo die Regierungen nicht darüber reden. Wird das nicht gemeldet und treten an so einem Ort Humaninfektionen oder eine Pandemie auf, dann kann man sich unschwer vorstellen, wie es ausgeht: Zunächst bekommt keiner es mit, es wird vielleicht verheimlicht, und eine Pandemie erhält einen Vorsprung und kann sich erst einmal ausbreiten.